Bauhäusler mit aufgespießtem Herz
VON Jochen Stöckmann | 29.12.2013
Den „Muster-Bauhäusler“ skizzierte Herbert Bayer 1923: eine Gelenkpuppe im Frack, gesichtslos, im Kopf ein Fragezeichen und in der Rechten die Turnierlanze mit aufgespießtem Herz. Im feinen Spott schwang Selbstironie mit, denn der Zeichner war selbst Meister der neu eingerichteten Bauhaus-Klasse für „Typografie und Werbung“. 1928 allerdings sagte er Dessau und dem Bauhaus ade. Herbert Bayer zog nach Berlin und versuchte sich in der freien Wirtschaft. Mit Erfolg, der Bauhaus-Künstler avancierte zu einem der am besten bezahlten Werbegrafiker. Bayers „Berliner Jahre – Werbegrafik 1928 - 1938“ illustriert eine Ausstellung des Berliner Bauhaus-Archivs anhand neuer Funde, unter anderem zu seiner Tätigkeit als Leiter der Agentur Dorland. Vor allem aber sorgt der Kurator Patrick Rössler für weit mehr als nur ein Katalogbuch: Seine Bayer-Biographie verdeutlicht in vielen Facetten die Probleme und Anfechtungen eines „Gestalters“, der mit hochfliegenden künstlerischen Ambitionen nicht nur den kommerziellen Broterwerb bestritt, sondern auch zwischen Bauhaus-Idealen und Nazi-Diktatur lavierte, lavieren musste. Für ein Selbstporträt von 1928 nutzt Bayer, dem es zeitlebens um eine Verbindung zumindest aller angewandten Künste ging, als Fotograf ganz virtuos Montagetechnik und Mehrfachüberblendung. Er ist nicht einfach zu fassen, legt sich nicht auf eine individuelle Handschrift fest. Die Gestaltung von Werbeplakaten oder Buchumschlägen, Ausstellungspavillons und Inseraten folgt nicht einem „Bayer-Stil“, sondern wechselt mit den Zielen seiner Auftraggeber. Das Cover für „Bauhaus“, die Zeitschrift für Gestaltung, zeigt ihn 1928 noch als konsequenten Interpreten der Dessauer Gestaltungsdoktrin: In der Kombination von Fotografie, Schriftsatz und Collage entsteht eine bildmächtige Collage. Die stilisierte Beschränkung auf Grundmuster wie Rechteck und Quadrat, auf monochrome Balken, Kontrastfarben und die für die Schriftgießerei Berthold entwickelten Bayer-Typen ergeben schlichte und gerade deshalb hervorstechende Reklamemotive. Und noch in der eher konventionellen Werbung für die neue Adler-Limousine „Modell Gropius“ wird erkennbar, wie sehr der ehemalige Bauhäusler sich auf ein Netzwerk und grundlegende Ideen aus Dessauer Zeiten stützt. Private Fotos vom Zusammensein mit Ise Gropius, der mit Bayer eng befreundeten Ehefrau des Bauhaus-Direktors, mit Xanti Schawinsky und Marcel Breuer belegen diese Wahlverwandtschaft, die in der neusachlichen Ästhetik des Plakates für die „Section Allemand“ auf der Werkbundausstellung 1930 in Paris Gestalt annimmt. Auf der anderen Seite stehen Gelegenheits- oder Brotarbeiten wie die Kolumne „Aus dem optischen Notizbuch“ für „Das illustrierte Blatt“ 1929, aufgeschnappte Fotos aus dem Großstadtalltag, aber im biederen Layout der gar nicht mehr so „wilden“ ausgehenden Zwanziger. Oder Tourismuswerbung für den „Teutoburger Wald“, „Das schöne Extertal“ und „Ganz Lippe eine Sommerfrische“, weite Landstriche vor der Figur eines einsamen Wanderer – es ist niemand anderes als Herbert Bayer selbst. Dieser Hang Bayers zur Selbstbespiegelung zeigt sich gleich zu Beginn in zwei Fotowänden mit den bekannten Collage-Motiven einer sich selbst demontierenden Schaufensterpuppe und mit den Augen in den weit geöffneten Handflächen vor Berliner Häuserfassaden. Zwischen diesen beiden surrealistischen Arbeiten aber wird der Blick des Betrachters gelenkt auf die Stirnseite der Schau, dort prangt ein Eichenlaubkranz auf blauem Grund, das Plakat für die Ausstellung „Deutsches Volk Deutsche Arbeit“ von 1934. Zwischen diesen Polen bewegte sich Herbert Bayer nach 1933, nach der Machtübergabe an die Nazis. Einerseits beklagt der ehemalige Bauhaus-Künstler sich im Dezember 1937 bei Ise Gropius, in privater Korrespondenz mit seinem Erkennungszeichen, der radikalen Kleinschreibung: „meine malerei ruht vollständig, es wäre das einzig aufrechte für meine ausgedörrte seele.“ Andererseits betrachtet der nach eigener Auskunft zutiefst „unpolitische“ Gebrauchsgrafiker die tägliche Routine nicht nur als Fronarbeit: „was ich mache könnte schlechter sein, nur um gut zu sein ist es zu wenig. Das will ich nicht verschreien, denn augenblicklich sind einige nette sachen in aussicht.“ So entstehen unterm NS-Regime Drucksachen für große Propaganda-Ausstellungen wie „Das Wunder des Lebens“ (1935) und „Deutschland“ (1936). Und den Werbungen für „Michels Stoffparadies“, Wohnbedarf wie „Das federnde Alu-Möbel“, regenabweisende Kleidung von Adefa Regnol oder die Cinzano-Schorle ist ihre Entstehung in einem diktatorischen Regime nicht direkt anzusehen. Es scheint, dass die Nazi-Bürokratie Elemente der „Neuen Sachlichkeit“ nicht dezidiert verboten hatte, sondern im Gegenteil für ihre Zwecke eingespannt sehen wollte. Als wolle er es allen recht machen, gestaltet er dann 1936 eine Katalogdoppelseite für die Propagandaschau „Deutschland“. Drei idealtypische „arische“ Gesichter von Bauer, Arbeiter und Soldat sind auf der Fotomontage aus einer Masse von Köpfen herausgehoben – nebst Reichsadler und Hakenkreuz, dazu das Textinsert „der Führer spricht und Millionen hören“. Nach seiner Auswanderung in die USA dazu gefragt, flüchtet der Grafiker sich in eine rein formale Behandlung dieses Themas, preist diese eindeutige Propaganda-Arbeit sogar als „sehr interessant“ an, weil sie „ausschließlich mit Fotografie und Fotocollage gestaltet wurde und in Duoton gedruckt“. Man sollte das titelgebende Brief-Zitat „mein reklame-fegefeuer“ aus dem Jahr 1937 also nicht allzu politisch interpretieren. Zumal Bayer selbst nicht davor zurückschreckte, für die an sich harmlose Produktwerbung „Gesunde Haut mit Vasenol“ athletische Gestalten in Riefenstahl-Manier aufmarschieren zu lassen. Als er dann in die USA übergesiedelt war, konnte er sich neben der notwendigen Reklamearbeit ohne große Einschränkungen auch ganz der Kunst widmen: Bereits 1938 verantwortete Herbert Bayer die erste und umfassende Bauhaus-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Arts. Mein Reklame-Fegefeuer Katalog zur Ausstellung: |