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Arles Parc des Ateliers

Ein lebender Organismus

Spannende Persönlichkeiten wie Ai Weiwei, Ernesto Neto, Catherine De Wolf oder Joachim Gauck treffen sich bei den Engadin Art Talks vom 27. bis 29. Januar 2023 im schweizerischen Zuoz, um über das Thema "Hoffnung" zu diskutieren. Bas Smets – einer der profiliertesten Landschaftsarchitekten unserer Zeit – wird ebenfalls auf dem Podium sprechen. Im Interview sagt er uns, warum wir mit Blick auf den Klimawandel die Hoffnung nicht aufgeben dürfen.
27.01.2023

Bettina Krause: Was assoziierst Du in Deiner Profession mit dem Begriff "Hoffnung"?

Bas Smets: Wir befinden uns aufgrund des Klimawandels und des Verlusts der Artenvielfalt in einem kritischen Stadium. Ich verwende den Begriff der Hoffnung, wenn ich mir eine andere Zukunft unserer Städte vorstelle, denn es sind die Städte, die die Umwelt am meisten verschmutzen, weil viele Menschen dort leben. Wir können zwei Dinge tun, um die Ursachen des Klimawandels zu mindern: Die CO2-Produktion reduzieren und Natur in die Städte bringen, um CO2 zu absorbieren. Mit unseren Projekten versuchen wir Städte in urbane Ökologien umzuwandeln. Ich nenne das Stadtökologie – eine Ökologie also, die mit dem künstlichen Klima und der künstlichen Umgebung der Städte zurechtkommt. Ich versuche, die Stadt als eine neue Art von Natur zu lesen, die es gilt, entstehen zu lassen. Wir müssen die Natur zurück in dieses künstliche, vom Menschen geschaffene Klima der Stadt zu bringen. Für mich gibt es da viel Hoffnung, weil diese Herangehensweise neu ist. Uns fehlt das ökologische Denken für Städte. Sie sind nur für uns gebaut und wir haben nicht daran gedacht, wie man Pflanzen ansiedelt, wie man sinnvoll mit Regenwasser umgeht. Wir haben die Städte sehr funktional gebaut und müssen das gründlich überdenken, damit sie für den Klimawandel gerüstet sind und zur Lösung des Klimaproblems beitragen können.

Bist Du optimistisch, dass uns genug Zeit bleibt, diese Ideen umzusetzen?

Bas Smets: Nein, ich bin nicht optimistisch, dass wir das Problem lösen können, aber ich denke, wir haben die moralische Verpflichtung, es zu versuchen. Ob ich glaube, dass wir es lösen können? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Aber ich weiß, dass wir sofort alles versuchen müssen, um eine Chance zu haben, zu überleben. Es geht darum, dringend die Stadt neu zu denken. Wir haben nicht die Zeit, um Wettbewerbe zu veranstalten, sondern sollten Wege finden, unsere Städte möglichst schnell umzugestalten.

Wo siehst Du die größten Herausforderungen in unseren Städten, wenn es um den Klimawandel geht?

Bas Smets: Das sind im Wesentlichen zwei Dinge: Es geht um die Erde und das Wasser. Früher wurden Städte immer in der Nähe von Wasser und fruchtbarem Boden gebaut, weil das die Nahrungsgrundlage sicherte. Mit der Ausdehnung der Städte haben wir in den letzten 50 Jahren den Boden als undurchlässige Schicht versiegelt und darauf gebaut. Diese undurchlässige Schicht spült das gesamte Regenwasser schnellstmöglich weg. Wir müssen diese Schicht aufbrechen und das Regenwasser nutzen, um es im Boden zu absorbieren damit wir eine fruchtbare Basis haben, auf dem Pflanzen wachsen, die das Regenwasser wieder in die Atmosphäre bringen und die Temperatur kühlen können, während sie CO2 absorbieren. Es ist also eine sehr einfache Gleichung, die wir umsetzen müssen, um unsere Städte zu verändern. Als Erstes müssen wir also den Boden wiederfinden. Aber wenn man in der Stadt einen Bürgersteig aufbricht, sind andere Strukturen im Weg – wir haben da die Kanalisation, U-Bahn-Stationen, Strom-, Gas- und Wasserleitungen. Wir müssen also an eine neue Art der Urbanisierung des Untergrunds denken, um wieder Boden zu finden. Und wir brauchen die Pflanzen für die CO2-Absorption, um Mikroklimata zu schaffen. Jedes Blatt zählt gewissermaßen.

London Sunken Garden
London Sunken Garden

Erlebst Du, dass PolitikerInnen und EntscheiderInnen das begriffen haben und wissen, was jetzt geschehen muss?

Bas Smets: Wie üblich sind einige Städte vorausschauender als andere. In Paris zum Beispiel hat die Stadt an Klimaplänen gearbeitet und überlegt, wie man überall in der Stadt kühlere Orte schaffen kann. Andere Städte haben das auch schon getan oder sind offen dafür. Manche brauchen noch ein bisschen mehr Überzeugung. Die große Veränderung besteht darin, dass es früher noch Klimaskepsis gab, die sich inzwischen verflüchtigt hat. Ich denke, nach allem, was wir in den letzten drei, vier Jahren erlebt haben, verstehen alle, sowohl die Einwohner als auch die Politiker, wie dringend es ist, unsere Städte anzupassen. Wir haben wohl in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein Zeitfenster, um die Städte zu verändern und ich fürchte in 20 Jahren wird es viel schwieriger werden.

Du erwähnst Paris – dort sollen auch weniger Autos fahren?

Bas Smets: Ja, in den letzten zehn Jahren wurde der Platz für Autos reduziert. Wenn es weniger Straßen und Parkplätze gibt, nutzen die Leute ihr Auto weniger. Zugleich haben wir ein gutes öffentliches Verkehrssystem und eine Infrastruktur für Fahrräder. Als ich 2000 nach Paris zog nutzte niemand sein Fahrrad. Jetzt fährt die halbe Stadt mit dem Fahrrad.

Vue aérienne du parvis
Vue sur le parc des berges

Du hast den Wettbewerb zur Umgestaltung der Notre Dame Umgebung gewonnen. Was planst Du dort?

Bas Smets: Notre Dame liegt auf einer Insel im Zentrum der Stadt. Victor Hugo schrieb, das sei die Wiege von Paris. Dieser Satz und sein Buch haben mich sehr inspiriert. Wenn Paris an jener Stelle gegründet wurde, bedeutet das Überdenken dieses Ortes gewissermaßen, über die Zukunft der Stadt nachzudenken, oder? Als wir uns die Räume rund um die Kathedrale ansahen, ergaben sich fünf Haupttypologien: den großen Platz vor der Kirche, die Straße mit den Baumreihen, die Böschungen, ein Park hinter der Kathedrale und ein kleinen Platz davor. Wir fragten uns, wie wir diese Typologien überdenken können, um sie klimaverträglicher und kollektiver zu gestalten, als einen Ort, der sowohl von Bürgern als auch von Touristen genutzt wird. Außerdem sollte ein Ort entstehen, der die Temperatur abkühlt. Es geht also darum, die Schönheit der Kathedrale zu inszenieren, den öffentlichen Raum klimafest zu machen und eine bessere Beziehung zum Zentrum zu schaffen.

Du arbeitest für deine Projekte oft mit WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen zusammen. Was sind deine Erfahrungswerte daraus?

Bas Smets: Die Art, wie KünstlerInnen die Realität betrachten und das Denken anderer verändern kann, ist für mich sehr inspirierend. Auch der Blickwinkel der Wissenschaft ist wichtig, wie beispielsweise das Wissen um die symbiotische Mykorrhiza-Verbindungen zwischen den Baumwurzeln. Ich versuche mich mit den neuesten Forschungsergebnissen von Wissenschaftlern wie Susan Simard oder Stefano Mancuso vertraut zu machen, in meinen Projekten umzusetzen und auch experimenteller zu werden. Die Dringlichkeit ist so groß, dass wir experimentieren müssen. Wir können nicht dieselben Modelle verwenden, die wir in den letzten 50 Jahren eingesetzt haben – weil sie einfach nicht funktionieren. Wir sollten uns verpflichten zu experimentieren und uns erlauben auch mal zu scheitern.

Welche Idee hat Dich zuletzt fasziniert?

Bas Smets: Nächste Woche werde ich einen Kurs an der Harvard University hierzu beginnen namens "Biospheric Urbanism - Changing Climates" und versuche, diesen Ansatz mit den StudentInnen noch weiter voranzutreiben. In der Landschaftsarchitektur wird das, was zu lange auf Dekoration reduziert war, zu einer Art Notwendigkeit für das weitere Leben. Wir müssen unsere Städte als einen Ort neu denken, an den Pflanzen zurückkehren. Ich habe das sehr inspirierende Buch "Finding the Mother Tree" von Susan Simard gelesen. Diese Idee, von der Natur zu lernen, um unsere Umwelt zu verbessern, hat mich in der letzten Woche wirklich beschäftigt.

Paris La Défense, Trinity

Mir gibt es Hoffnung zu hören, das diese Ideen an der Harvard University weitergedacht werden.

Bas Smets: Deshalb habe ich auch beschlossen, einen Teil meiner Zeit dem Unterrichten zu widmen. Unser Büro ist trotz all der unterschiedlichen Projekte zu klein um wirklich etwas zu verändern. Ich denke, dass die Lehre die Verbreitung dieses Wissens beschleunigen kann.

Die Bedeutung der Landschaftsarchitektur ist allgemein immer noch etwas unterschätzt, oder?

Bas Smets: Sie ist vollkommen unterschätzt und komplett missverstanden. Sie ist zu einer Art Blumendekoration geworden. Dabei sind LandschaftsarchitektInnen in der Lage, die Stadt neu zu denken, denn wir betrachten sie als einen lebenden Organismus. Ich hoffe, dass sie diese Gelegenheit nutzen werden, um wirklich etwas zu verändern. Ich denke oft darüber nach, dass man beim Pflanzen eines Baumes hoffnungsvoll sein muss, weil es Zeit braucht. Man pflanzt ihn nicht für die nächste Generation, sondern für die danach. Und das ist verbunden mit der Idee, dass es keinen anderen Weg gibt, als Bäume zu pflanzen. Wir haben jetzt keine andere Wahl, selbst wenn wir nicht wissen, ob es genug sein wird.

Wer Bäume pflanzt, hat Hoffnung.

Bas Smets: Ja, es gibt keine andere Wahl. Das ist es, was ich sagen will: Wir sind moralisch verpflichtet, optimistisch zu sein.


E.A.T. / Engadin Art Talks
27. bis 29. Januar 2023

Hall at Plazz, Village Square
7524 Zuoz, Schweiz

Bas Smets