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NEW WORK
Kommunikationsmaschine

Der neue Medien Campus von OMA für die Axel Springer-Verlagsgruppe versteht sich als gebaute Hypothese für das Ende klassischer Bürostrukturen. Dass wir im digitalen Zeitalter dringend neue Räume für Kommunikation und Austausch brauchen, dürfte die aktuelle Pandemie noch einmal bekräftigt haben.
von Jeanette Kunsmann | 12.02.2021

Es passt nicht zusammen. Einerseits findet Arbeit in bestenfalls konzentrierter Atmosphäre am Computer statt. Andererseits sollen Kommunikation, Interaktion und Agilität die neuen Zauberwörter der Arbeitswelt sein. So stellte auch die Axel Springer SE im Jahr 2013 mit einem Architekturwettbewerb zum Bauvorhaben die Frage, wie diese Gegensätze zu vereinen seien. Neben ihrem an sich schon hohen Symbolwert sollte die Architektur des mächtigen Solitärs in zentraler Lage Berlins einzigartig und wegweisend werden. Mit seinem Entwurf habe Rem Koolhaas "eine spektakuläre Antwort vorgeschlagen, die den zukünftigen Nutzern eine Arbeits- und Kommunikationslandschaft eröffnet, die es so noch nicht gegeben hat", lobte Jurypräsident Friedrich von Borries den Preisträger im März 2014. Koolhaas wolle mit diesem Projekt eine Lösung "für ein zentrales Dilemma des modernen Bürolebens" finden, "in dem das Arbeiten am Computer überwiegend eine leise und zurückgezogene Atmosphäre erfordert". Vor Baubeginn betonte der Stararchitekt: "Wir wollen zeigen, wie man unter diesen Bedingungen eine Arbeitsumgebung schaffen kann, die sowohl Konzentration als auch lebhafte Zusammenarbeit fördert."

Gebaut wurde im Oktober 2016 auf einem 10.000 Quadratmeter Parkgelände, unmittelbar auf dem ehemaligen Todesstreifen zwischen Schützen- und Zimmerstraße in Berlin-Kreuzberg und direkt neben dem goldenen Axel-Springer-Hochhaus. Dass sich der frühere Grenzverlauf somit quer durch das Gebäude zieht, greifen Rem Koolhaas, OMA-Partner Chris van Duijn, Projektleiterin Katrin Betschinger und das Planungsteam von OMA in ihrem Entwurf entsprechend auf und spielen die Teilung bis ins Detail weiter: wie in einem zweigeteilten Farbkonzept. Elf Geschosse für 3.500 Arbeitsplätze trumpfen an der Lindenstraße auf und entfalten als unübersehbarer Kubus ihre Wirkung. Mit einem bis zu 42 Meter hohen Atrium öffnet sich der Neubau zur Umgebung und schenkt Berlin mit einer begrünten Dachterrasse, die nach Corona auch öffentlich zugänglich sein soll, einen neuen Ort mit fantastischer Aussicht über die Stadt – inklusive der Bar "Rem", benannt nach Architekt Rem Koolhaas. Der Deal: Die öffentliche Parkfläche zur Bebauung freigeben, wenn der Dachgarten zum öffentlichen Raum wird.

Im Inneren formt sich in diesem Riesenblock eine Art Canyon, dessen Topographie durch Brücken, Terrassen und kleine Bürolandschaften, die zwischen den Säulen an Zellstrukturen erinnern, bestimmt ist. Weil sich das Glasfassadennetz hier in kleinen Dreiecken zu einem Schaufenster faltet, wird dieser offene Bereich optimal mit Tageslicht versorgt. Man wisse gar nicht, ob man drinnen oder draußen sei, erzählt Mathias Döpfner zur Einweihung im Oktober 2020. Der Eingangsbereich im Erdgeschoss fungiert als Mischzone mit Personalrestaurant und bildet dabei einen fließenden Übergang zum offenen Coworking-Raum. Büro-, Redaktionsflächen und Learning Lab verteilen sich auf insgesamt 52.000 Quadratmetern, wobei etwa 75 Prozent feste Bürostrukturen und 25 Prozent informelle Arbeitsbereiche beinhalten.

"Wenn man sich die Bürosituationen von heute anschaut, sieht man meist Menschen hinter Computern, an langen Tischen, die kaum miteinander kommunizieren, Kopfhörer tragen und isoliert sind wie in einer Blase. Die Radikalität dieses Gebäudes liegt darin, dass sie diese Arbeitsweise herausfordert", kommentiert Rem Koolhaas das Konzept. Durch den offenen Atriumraum soll jeder Bereich des Gebäudes für alle anderen Bereiche sichtbar sein. "Auf diese Weise wird das Gebäude zu einer Art Kommunikationsmaschine, die die Isolation aufbricht, welche aktuell noch Teil der Digitalisierung ist." Bürostrukturen vernetzen sich im analogen Raum und mit ihnen die Menschen. Denn visuelle Verbindungen erzeugen nicht nur beim Einzelnen das Gefühl, Teil eines Größeren zu sein, sondern lassen auch beiläufige Möglichkeiten der Zusammenarbeit entstehen.

Wie aber sieht die Gestaltung für die neue Berliner Medienavantgarde aus, wenn in der digitalen Kultur eigentlich so gut wie keine Ortsverbundenheit herrscht? Die kollektive Bürolandschaft im Springer Campus setzt sich aus verschiedenen, zum Teil multifunktionalen Modulmöbeln zusammen, die in kleinen Gruppen zwischen den programmatischen Architekturwelten der Maschine stehen. Ein Großteil des Interieurs basiert auf Sonderanfertigungen, die nach Entwürfen von Rem Koolhaas und OMA vom italienischen Hersteller UniFor und dem niederländischen Designmöbellabel Lensvelt produziert worden sind.

Weiche runde rosafarbene Schaumstoffsofas schlängeln sich so um runde Tischchen und Säulen, wobei die Sitzflächen mal einladend nach außen geöffnet sind oder nach innen gerichtet und vom Treiben der Maschine abschirmen. Lensvelt haben zusammen mit OMA insgesamt zwölf verschiedene Sofatypologien von der Ein-Mann-Sitzinsel bis hin zur meterlangen Sitzbank für den Springer-Neubau entwickelt und produziert. Daneben finden sich auch die abstrakten Module der Linie "Family Blocks", die OMA und Lensvelt auf der Mailänder Möbelmesse 2019 vorgestellt haben sowie eine Reihe anderer Designermöbel. Das multifunktionale "Stealth Cabinet" von Wiel Arets ist ein guter Raumtrenner, die "AVL"-Büro- und Besucherstühle von Atelier von Lieshout oder die schwarzen Maarten van Severen-Stühle ergänzen Coworking- und Lounge-Bereiche. "Es sollte eine flexible und verspielte Möblierung werden", erzählt Lensvelt-Projektmangagerin Gwenda Gieseler. Da viele der Sofas Rollen haben, lassen sie sich leicht verschieben und immer wieder neu konfigurieren – den Mitarbeitern sind kaum Grenzen in der Gestaltung ihres Arbeitsplatzes gesetzt. Wie nach der Pandemie im neuen Springer Campus tatsächlich gearbeitet werden wird, kann bisher niemand sagen. Noch herrscht eher Stille, denn für den Großteil der Mitarbeiter ist Homeoffice angesagt.