Target, das ist ein Laden wie Karstadt: Diätjoghurt, Schuheinlagen, Miederhöschen, DVDs und Toaster teilen sich die Regale, bis Average Joe, der amerikanische Otto Normalverbraucher, sie in seinen Einkaufswagen packt. Target ist aber auch wie H&M und Ikea, denn Target bringt - in Kooperation mit Stars wie Michael Graves, Philippe Starck oder Marcel Wanders - eigene Designlinien heraus. Doch während das in Europa als Design zweiter Klasse gilt, hat Target für sein Programm „Design for all" den wichtigsten Designpreis der Vereinigten Staaten verliehen bekommen, den National Design Award.
Seit zehn Jahren vergibt das Cooper-Hewitt National Design Museum in New York diesen Preis für Arbeiten aus verschiedenen Bereichen wie Mode, Grafik, Produkt-, Umwelt-, Interactive und Corporate Design, Architektur, Landschafts- und Innenarchitektur. Je ein Preis wird außerdem für ein Lebenswerk vergeben, an Mäzene oder Unterstützer - Boutiquehotelier André Balasz etwa - und an Theoretiker, Kritiker oder Kuratoren wie zum Beispiel Paola Antonelli, die Designkuratorin des Museum of Modern Art.
Zum runden Jubiläum hat das New Yorker Designmuseum seinem Award nun eine eigene Ausstellung gewidmet: „Design USA. Contemporary Innovation". In sechs Räumen werden die prämierten Arbeiten von mehr als 75 Entwerfern und Gestaltern aller Preiskategorien vorgestellt. In schlichten Metallregalen sind die Porzellanarbeiten der 103 Jahre alten Eva Zeisel ebenso zu sehen wie ein Kleid von Ralph Rucci oder ein Film des Künstlers Ned Kahn über poetisch sich im Wind wiegende Fassadenelemente. Eine iPod-Applikation des Designstudios 2x4 - auch sie sind Preisträger - führt durch die Ausstellung, die nicht nach Disziplinen geordnet ist, sondern danach, wie und wodurch die Arbeiten Wirkung zeigen. „Wir haben dafür archaische Begriffe gewählt, deren Sinn klar zu sein scheint", sagt Kuratorin Jeannie Kim, „aber wir hoffen, dass ihre Bedeutung nach dem Besuch der Ausstellung weiter geworden ist."
Target etwa findet sich in der Kategorie „Experience", die danach fragt, wie Design genutzt und wie es erlebt wird. Die Antwort der Handelskette ist zutiefst amerikanisch: gemeinsam mit abertausenden anderen US-Bürgern. „Ich glaube nicht, dass eine Firma wie Target in Europa Erfolg hätte", sagt Jeannie Kim, „aber hier haben wir eine einzigartige Konsumentenkultur, die es uns erlaubt, Design zu produzieren, das günstig und für jedermann zu haben ist." Design in Amerika war immer etwas für die Masse, und bis heute ist es, viel mehr als in anderen Ländern, vom tiefen Wunsch beseelt, die Welt zu verbessern. Wenn also beispielsweise Charles Harrison für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, dann genügt dazu die Erklärung, dass er mit seinen Küchengeräten für Sears, Roebuck & Company die Lebensqualität von Millionen Amerikanern verbessert hat. Ein höheres Lob kann man hier nicht aussprechen.
Selbst die Kategorie „Craft", also Handwerk, enthält Massenprodukte, etwa den iPod von Jonathan Ive. „Wenn man Ive über seine Arbeit sprechen hört", sagt Jeannie Kim, „wird klar warum. Die Aufmerksamkeit, die er ins Detail steckt, kennt man sonst aus dem Handwerk." Eine raffinierte Herstellungsart wird in dieser Kategorie ebenso honoriert wie der einzigartige Blickwinkel des Designers - und im Fall von Nike etwa geht es sogar tatsächlich um Handwerk, wenn umgebaute Stickmaschinen Tragefäden um den „Zoom Victory Spike" wickeln wie Kabel an einer Hängebrücke. Die innovative Technik spart Material und macht den Laufschuh superleicht und stabil zugleich.
Der erste, der mit dem „Zoom Victory Spike" an den Start ging, war übrigens der amerikanische Läufer Bernard Lagat, amtierender Weltmeister über 5000 Meter und zweifacher Olympiamedaillen-Gewinner. Geboren ist Lagat in Kenia, er ist eingewandert - so wie weite Teile der amerikanischen Gesellschaft und auch ein knappes Drittel der preisgekrönten Designer. Über einen von ihnen, den gebürtigen Hongkong-Chinesen Calvin Tsao, sprach der Juryvorsitzende John Maeda neulich mit der New York Times. Die Arbeit von Tsao & McKown Architects, so Maeda, sei nicht asiatisch, nicht europäisch, nicht amerikanisch, „but New American." Das Duo gestalte mit minimalem Materialeinsatz Räume, die maximalen Erlebniswert böten, „und das ist in Zeiten der ökonomischen und ökologischen Krise besonders wichtig."
In Google Earth ist dieses „neue Amerika" freilich nicht zu finden. Dafür ist die Suchmaschine in der Ausstellung vertreten, und zwar in der Kategorie „Method", die der Frage nachgeht: Wie und unter welchen Bedingungen entsteht Design? Google wird für Innovation und seinen spielerischen Zugang dazu ausgezeichnet. Den Begleittext kennen wir längst: „Google hat die Art und Weise revolutioniert, in der Millionen Internetuser auf der ganzen Welt ..." Nicht nur der Demokratie, auch dem Fortschritt huldigen die Amerikaner - und zwar ungeachtet dessen, was er mit sich bringt. Adobe etwa hat den National Design Award dafür bekommen, dass es mit Programmen wie Photoshop „unser Verständnis von - und Vertrauen in - digitale Bilder verändert hat." Und weiter heißt es: „Adobe Systems Incorporated hat die Art revolutioniert, wie professionelle Designer und einfache Nutzer in ihrem Alltag Bilder sehen, manipulieren und miteinander teilen."
Nun kann man das englische Wort „manipulate" natürlich auch ganz wertfrei mit „handhaben" übersetzen. Doch Jeannie Kim teilt die Bedenken - mit Vorbehalt. „Stimmt, Fortschritt ist nicht immer positiv", sagt sie, „aber Design ist Denken. Und bis zu einem gewissen Grad ist die Innovation allein tatsächlich interessanter als das Resultat. Wenn etwas das Leben von Millionen Menschen verändert, dann mag das nicht immer positiv sein. Aber es hat mehr Gewicht als etwas, was vielleicht im herkömmlichen Sinn als gutes Design gilt." Nicht nur Design ist in Amerika für die Massen. Auch der Fortschritt.
Cooper-Hewitt National Design Museum, New York
Vom 16. Oktober 2009 bis 4. April 2010