Mobilität
Zwischen Komfort und kaltem Schweiß
Rein elektrisch betriebene Fahrzeuge sind nicht mehr nur Studien, sie stehen tatsächlich vor der Markteinführung. Zu den wichtigen Daten fürs Autoquartett gehört künftig nicht mehr die Zahl der Zylinder – es gibt sie beim E-Mobil ebenso wenig wie das Schaltgetriebe, die analoge Lenkung oder die Kardanwelle zwischen Frontmotor und Hinterachse. Bedeutsam sind die Reichweite sowie die Ladeleistung, nach der sich die Zeit bemisst, um die Batterie neu zu laden. Während der fehlende Motorensound Autonarren zu schaffen macht, erfreuen sie sich an der Beschleunigung, da Elektroautos binnen Sekunden ihre maximale Leistung abrufen können.
Eines der wichtigsten Autos auf der diesjährigen IAA war – falls es so etwas in Zeiten des Klimawandels überhaupt noch geben kann – der Volkswagen ID.3. Nicht, weil sich die Marke der "Dieselthematik", wie man in Wolfsburg den eigenen Skandal noch immer verharmlost, inzwischen vom Saulus zum Paulus gewandelt hätte. Vielmehr, weil Reichweite und Nutzbarkeit deutlich über gewohnten Standards liegen. Es ist das erste Modell des "Modularen E-Antriebs-Baukastens", eines Konstruktionsprinzips, das VW auch anderen Herstellern öffnet. Am Standort Zwickau wird es demnächst hochautomatisiert gefertigt. "Es geht nicht darum, ein singuläres Produkt zu generieren", sagt Volkswagen-Designchef Klaus Bischoff. "Wir wollen die Marke neu abbilden – elektrisch. Da der Verbrennungsmotor aus der Gleichung ist", sagt Bischoff, "kann man alles neu machen." In den Grenzen, die die Marke definiert, versteht sich. Deren visuellen Auftritt und das VW-Logo haben die Designer um Bischoff zusammen mit externen Agenturen ebenfalls neu gestaltet. Das veränderte Zeichen wirkt nun grafischer. Es nimmt Anleihen bei eleganten VW-Vorbildern der 1960er Jahre. Allerdings bedauert Bischoff, dass dieses Zeichen in Europa nicht zum Bestandteil des durchgängigen Lichtsignets der Frontpartie werden darf. In der EU gilt ein beleuchtetes Markenzeichen – anders als bei Zulassungsbehörden in den USA oder China – schlicht als unzulässige Werbung.
Wichtiger jedoch sind die Raumverhältnisse im Innern. "Sobald der Verbrennungsmotor rauskommt, entsteht Platz", resümiert Bischoff. "Damit erweitere ich den Raum, der den Kunden zur Verfügung steht." Das Resultat: Mit 2,77 Meter hat der rein elektrische ID.3 gegenüber dem Golf einen um 14 Zentimeter vergrößerten Radstand. Der Platz auch für Fondpassagiere wächst. "Ein sehr kundenorientiertes Produkt. In der Denke typisch VW", fasst Bischoff zusammen. Mit einem digitalen Bedienkonzept wendet sich der neu konstruierte elektrische Volkswagen an die "Digital Natives", soll aber auch allen anderen intuitiv zugänglich sein. Wo es sich anbietet, etwa bei der Spiegelverstellung oder der Temperaturregelung, bleibt es bei Schaltern. "ID Honeycomb" nennt Volkswagen gestalterische Zeichen in Wabenform, die auf der C-Säule als Folie appliziert und in der Frontschürze als Vertiefung sichtbar, von der "bilanziell CO2-neutralen Mobilität" künden sollen. Das Auto ist, um Updates einzuspielen und um Vorteile der Sprachsteuerung nutzen zu können, stets online. So fährt der ID.3 an einer unsichtbaren digitalen Leine, die wohl bald jeder Hersteller unter dem Stichwort "Vernetzung" zum Kunden spannt und damit Datenschützer mindestens zum Stirnrunzeln bringt. Riesige Leichtmetallfelgen (ab 18 bis 20 Zoll) stehen für eine Orientierung am automobilen Mainstream. Neben der Reichweite von 330 bis 500 Kilometern (abhängig von der Batterie-Größe) ist vor allem der Einstiegspreis von 30.000 Euro verlockend. Mit dem VW-Angebot "We Charge" (wer denkt sich solche Namen aus?) und der Teilhaberschaft des Unternehmens an Ionity, einem Betreiber von Ladesäulen, ist VW auch an der Tankinfrastruktur für E-Autos beteiligt.
In Japan kam der Kleinwagen Honda Civic 1972 auf den Markt. Zum legitimen Nachfolger im automobilen Stromzeitalter könnte der "Honda e" werden. Der Kleinwagen ist puristisch gestaltet. Seine digitalen Instrumente ziehen sich über die gesamte Wagenbreite. Statt Außenspiegeln hat er strömungsgünstige Kameras, die den toten Winkel verkleinern. Mit 33.850 Euro ist der "Honda e" teurer als der größere VW ID.3. Doch Stückzahlen sind für Honda wohl weniger wichtig: Für den europäischen Markt sind nur 5000 Exemplare vorgesehen. In Deutschland ist das Angebot auf 1500 Exemplare verknappt.
Seit 2015 hat der deutsche Designchef Thomas Ingenlath die Modellpalette von Volvo erfolgreich erneuert und verfeinert. Es gibt derzeit wohl kaum elegantere, bis ins Detail durchkomponierte Autos auf dem Markt – und das selbst in den traditionell voluminösen Volvo-Formaten. Bei Polestar, der schwedischen Performance-Marke mit Produktionsstandort Chengdu in China, ist Thomas Ingenlath nicht allein fürs Design, sondern als CEO für die Geschicke der Firma zuständig. "Dass man mit einem Auto elektrisch herumfährt, ändert das Leben nicht grundsätzlich", sagt Ingenlath. Mit dem Polestar 2 eröffne sich nicht allein die Chance, sich nachhaltig zu bewegen. "Mit der ganzen Art, wie das Auto in das digitale Leben eingebunden ist, entsteht ein neues Gebrauchserlebnis." Dazu gehöre die elegante Art von Zugänglichkeit, ein im Smartphone hinterlegter Code sorgt für den Keyless Entry. "Der Fahrer wird erkannt und kann gleich losfahren." Um ein wirklich modernes Produkt zu schaffen, sagt der Polestar-CEO, müsse man sich auf Kooperation einlassen. Dass Automobilhersteller meinen, sie könnten allein das beste Navigationssystem schaffen oder eine durchdachte Sprachsteuerung, sei unrealistisch. Qualität beruht für ihn auch auf der Fähigkeit zur Kooperation. Und noch etwas hört man von Thomas Ingenlath, gelassen und mit Überzeugung vorgetragen: "Es gibt die emotionale Komponente von Bewegung, die mit Unabhängigkeit verbunden ist. Auch das emotionale Erlebnis eines schönen Autos ist etwas, das wir nicht leugnen. Im Gegenteil. Wir behaupten: das ist die Kombination, die der Elektromobilität zum Durchbruch verhelfen wird." Dass der Polestar 2 dabei mit einem Preis von 57.000 Euro startet, dürfte manch einem den kalten Schweiß auf die Stirn treiben. In Frankfurt und anderswo.