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Auto-psie. Anmerkungen zum automotiven Sosein
von Erlhoff Michael | 21.11.2014
Das Automobil – ein Objekt voller Geheimnisse und überraschender Auswirkungen auf unser Denken und Handeln? Foto © Thomas Wagner, Stylepark

1. AUTO-RITÄR

Das ist einfach ein autoritäres Wesen, das Auto. Es teilt mir ständig mit, was ich zu tun habe. Auf den Knopf drücken, den Hebel betätigen, auf das Licht achten und auf jenes Pedal treten. Nichts, was die Menschen wollen. Immer nur das, was das Auto will. Denn dieses äußert fortwährend seine Bedürfnisse, und wir fallen darauf rein, unterstützen es, füllen es sogar mit Sprit ab. Wir haben eine Bedienungsanleitung zu lesen, bevor wir fahren können oder gar dürfen. Also bedienen wir dieses Fahrzeug und dient es nicht uns oder lediglich am Rand. Es bewegt uns und dies im doppelten Sinn des Wortes. Die Besitzerinnen und Besitzer haben das Auto zu pflegen, haben es lieb, wobei insbesondere Männer laut Statistiken dies mit Inbrunst tun, jenes Fahrzeug gar streicheln und liebkosen. Wer ist hier Subjekt und wer das Objekt? Wer fährt da? Heißt es nicht im alltäglichen Jargon, ein Auto sei gegen den Baum gefahren oder zwei Autos seien zusammengestoßen. Von irgendwelchen anderen, den so genannten Fahrerinnen und Fahrern, ist da nie die Rede.

Nicht nur Dürers „Triumphzug Kaiser Maximilians“ belegt es: Schon dem frühmodernen Herrscher diente das mythische Herumkutschieren zur Imagepflege. Foto © Zeno.org

2. AUTO-MATISCH

Nun ist dies alles nicht verwunderlich angesichts einer Formulierung des Automobils als solches, eben als Sich-selbst-Bewegendes. Was immerhin nicht von Anbeginn das Kraftfahrzeug benannte. Benz bezeichnete seine Erfindung 1886 noch als Motorwagen. Dann kamen Kraftwagen und zur Unterscheidung gegenüber den Lastkraftwagen die Personenkraftwagen.
Glaubt man – die Quelle scheint diesmal sehr plausibel – dem entsprechenden Eintrag bei Wikipedia, dann entlehnte sich die Formulierung „Automobil“ Ende des 19. Jahrhunderts der „voiture automobile“ als Bezeichnung für eine mit Pressluft betriebene Straßenbahn und definierte erstmals 1909 ein Darmstädter Dozent für Kraftwagen, nämlich Freiherr Ludwig Löw von und zu Steinfurth, das Automobil als ein Fahrzeug, das „1. durch Maschinenkraft bewegt wird (sic: nicht sich selbst bewegt), 2. die zu seiner Ortsveränderung dienende Energiequelle in sich trägt, 3. gewöhnliche Straßenfahrdämme benutzt, und 4. die zu befördernden Personen oder Güter – wenigstens zum Teil – selbst aufnimmt“. Was zu jener Zeit allerdings auch noch beispielsweise Motorräder umfasste und die Eigenständigkeit des Automobils so richtig noch nicht wahrhaben wollte. Wobei übrigens das Wort „Automobil“ ohnehin merkwürdig verdreht zusammengesetzt ist; eben aus dem griechischen Wort „autós“, selbst, und aus dem lateinischen „mobilis“, beweglich. Zwei Adjektive also und aus zwei unterschiedlichen Sprachen artifiziell verknüpft zu einem kuriosen Substantiv.
Umso merkwürdiger, da doch gerade das Selbst – zugegeben: sehr zweifelhaft – in der Entwicklung all jener Träume von Subjekt, Subjektivität, Individualität und Identität für viele Menschen eine substantielle Marke ihrer Existenz geworden ist. Ausgerechnet das überlässt man so einfach einem fahrenden Pkw.

Wer ein richtiger Held sein will, braucht einen schnellen Wagen: Steve McQueen und sein 68er Ford Mustang 390 GT in „Bullitt“. Foto © flickr

3. AUTO-KINO

Doch das Ding ist sowieso Inkarnation von Fiktion. Weshalb es so vorzüglich in Filmen auftritt, diese belebt oder als selber animiert durch diese fährt. Es rast durch Manhattan, braust über Berg und Tal, schleudert durch die schärfsten Kurven, dreht sich um die eigene Achse, überschlägt sich vielfach, tanzt über Stock und Stein, prustet durch die Wüste. Dabei müssten wir doch wissen, dass solchen Geschwindigkeiten und Bewegungen nicht zu trauen ist, weil hier etliche Verfahren helfen, es zu beschleunigen, springen zu lassen und plötzlich zu bremsen. Doch wer liebt nicht gerade die Filme mit Autojagden, legendären Liebes-Affären bis hin zu entsprechenden Akten oder auch Prügeleien in denselben. Wer erinnert nicht jene Szene in dem James Dean-Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ und die Mutproben, möglichst spät vor einem Abhang zu bremsen (der berühmte „chicken run“) – mit Todesfolge.
Man müsste mal nachrechnen, denn es könnte durchaus sein, dass in den letzten Jahrzehnten sowohl in TV-Serien als auch in Kinofilmen an die 10 Prozent der Szenen in Automobilen oder im Blick auf solche, also von Autos okkupiert sind.

Satter Klang: Als Raymond Loewy seinen berühmten Kühlschrank „Frigidaire“ entwickelte, veranlasste er Soundchecks der Automobil-Türen von Cadillac. Foto © flickr

4. AUTO-SUGGESTIV

Ein wichtiges Mittel in diesen Darstellungen von Automobilen ist allemal die Akustik, der Sound. Denn Automobile werden im Kopf zwangsläufig mit bestimmten Tönen verknüpft: Es muss brummen, röhren, gelegentlich auch geschmeidig säuseln. Und bekanntlich verfügt jedes Automobil über ein spezifisches Sound-Design. Dieses umfasst alles: den Klang des Motors, den der Türen, einzelne Anweisungen des Autos an die Fahrerinnen oder Fahrer oder ebenso das Reifengeräusch auf der Straße.
Das hat mit Marke zu tun, und schon in den 1950er Jahren begriff der französisch-amerikanische Designer Raymond Loewy bei seiner Entwicklung des damals sehr berühmten Kühlschranks „Frigidaire“, wie man mit Sound Marken bildet und sogar Marken-Transfers bewerkstelligen kann: Er veranlasste Soundchecks der Automobil-Türen von Cadillac und übertrug diese Akustik in den Ton der sich schließenden Tür seines „Frigidaire“.
Das unsinnigste Sound-Design heute ist der Ton des Blinkers, da dieser immer noch die Akustik von dem alten Blinker-Relais imitiert, obwohl es die überhaupt nicht mehr gibt. Pure Nostalgie.

Autismus und Macht: Wer im großen Auto sitzt, der hat alles unter Kontrolle und seinen privaten Raum stets dabei. Foto © flickr/Susan E. Adams

5. AUTO-NOM

Wer im Auto sitzt, dem sind andere Menschen außerhalb des kleine Auto-Kosmos ziemlich egal. Was kümmern uns jene, die auf zwei Beinen herumgehen oder auf Fahrrädern sitzen. Extrem deutlich wird das in China, wo Autofahrer und -fahrerinnen (oder sogar die Autos selber?) machen dürfen, was sie wollen: Da muss man nicht wegen der Fußgänger anhalten oder sich großartig entschuldigen, wenn man aus Versehen mal jemanden beim Rückwärtsfahren angefahren hat. Man befindet sich im Privatraum, und wie mit einem Raumschiff gondelt man durch die eigentümliche Welt, abgeschottet nach außen. Kein Wunder, dass solche Menschen, die fast ausschließlich in Autos fahren oder in solchen chauffiert werden, ganz offenkundig unter Realitätsverlust leiden (nein, selber leiden sie nicht darunter, aber von außen betrachtet wirkt es so); also Leute aus der Politik, den oberen Etagen von Unternehmen und Verwaltungen.
Solch Autismus paart sich mit Imaginationen der Macht, die durch erinnerte Filmbilder zweifellos noch größer werden; diese eskalieren mit der Größe des Autos, speziell in den SUVs, dieser Verheißung von outback-Abenteuer in der Großstadt. Soweit es sich um männliche SUV-Fahrer handelt, gilt bei einigen das Aufsprühen von Matsch aus Spraydosen als „dernier cri“, um so ihre nicht-erlebten Abenteuer visuell zu dokumentieren. Immerhin: Offenkundig mögen auch Frauen diese seltsamen Panzer-Fahrzeuge. Insbesondere jene „Lamas“, also die Latte Macchiato-Mütter, die in diesen Trucks so gerne ihre Kinder mitsamt dem dazu passenden Klimbim transportieren mögen und so zugleich die Kinder großartig beherrschen.

Hoffentlich führen nicht alle Wege nach Rom: Ist das Navigationssystem in Funktion, wird jegliche Verantwortung für die eigene Wegführung vernichtet. Foto © Thomas Wagner

6. AUTO-EROTISCH

Zum Automobil und zu dessen autoritärem Gehabe passt zusätzlich das alles kontrollierende Navigationssystem. Man wird ständig orientiert und informiert, eben in Form gesetzt. Jegliche Verantwortung für die eigene Wegführung wird augenblicklich vernichtet. Stattdessen erklärt einem eine strenge, meist weibliche, Stimme (das soll die Geste von Autorität offensichtlich mindern oder aber verschärfen), wie und wohin und wie lange man zu fahren habe. Was sie so überzeugend schafft, dass alle brav folgen.
Berüchtigt ist jener Moment, als vor einigen Jahren kurz nach dem Ende der Frankfurter Buchmesse plötzlich rund um Frankfurt das GPS eine Zeitlang ausfiel: Nahezu die Hälfte aller Autos auf der Auffahrt zu den Autobahnen stoppte sofort. – Nein, selbstverständlich stoppten nicht die Autos, vielmehr die Fahrerinnen und Fahrer derselben. Denn diese hatten sich im Vorfeld überhaupt nicht kundig gemacht, welcher Weg einen an das erwünschte Ziel hätte bringen sollen. Diese Anekdote überzeugt möglicherweise, dass man solche Leute nicht alleine fahren lassen, vielmehr ihrer infantilen Gläubigkeit an technische Anweisungen folgen und die Autorität der Automobile den Menschen gegenüber noch stärken sollte. Gewiss, solche Menschen wurden einst wahrscheinlich schon vom Baby-Phone überwacht, vom Mama-Button getröstet und überließen sich bereits vor der Einschulung den Verortungen ihres Smartphones. Einsamkeit oder ein Sich-Verlaufen haben sie nie kennengelernt. Die brauchen die Autorität des Automobils.

Wünsche und Gefühle: Automobil-Unternehmen bieten ihren Käuferinnen und Käufern die Einbildung an, nach ihrem Geschmack ihr persönliches Auto zu erwerben. Foto © Stylepark

7. AUTO-CHTHON

Autoren von Autos sind seit längerer Zeit nicht mehr die Ingenieure, sondern die Designer – hier ausschließlich die männliche Form zu verwenden, ist durchaus korrekt, denn für die äußere und für die technische Gestaltung handeln in den Unternehmen eigentlich nur männliche Wesen, während die weiblichen für das Interieur und vor allem für die Textilien – vornehmer ausgedrückt: für Color & Trim – zuständig sind.
Diese Relevanz von Design für die Entwicklung der Autos ist vordergründig gar nicht so neu, stehen doch einige vor allem italienische Namen für Innovationen zumindest im Erscheinungsbild der Automobile: Namen wie Pininfarina oder Giugiaro (letzterer hat unter anderem ja auch den VW Golf entworfen). Doch die Macht des Designs hat sich in den letzten Jahrzehnten beträchtlich verstärkt, seit nämlich die Entwürfe für einzelne Sektionen der Autos digital angelegt werden und diese digitalen Informationen als Datensätze direkt in die Produktion wandern. Früher zeichneten die Designer, bauten oder ließen Modelle bauen, gegebenenfalls sogar noch Prototypen – doch die Umsetzung geschah bei den Ingenieuren, und häufig wunderten sich die Designer, was aus ihren Entwürfen durch diese Transfers geworden war. Das ist heute anders, obwohl selbstverständlich Ingenieure im Automobilbau weiterhin ebenfalls wichtig sind.
Bedenkenswert ist im Kontext der Gestaltung die Komplexität dieser Aktivitäten. Immerhin braucht alles in und an diesem Gefährt Gestaltung: jeder Knopf, jeder Hebel, das komplette Armaturenbrett, die Sitze, die vielen Spiegel, die Anlage der Fenster, die Fußböden ebenso wie der Motor selber nebst allen weiteren technischen Einbauten (heutzutage muss ein Auto auch unter der Motorhaube und muss sowieso der Auspuff spektakulär sein), dazu die Radkappen, das Logo und so vieles mehr. Nicht zuletzt die diversen Farbtabellen, die Scheinwerfer und Rücklichter, ebenso die Akustik aller Teile und sogar der Geruch im Inneren des Fahrzeugs. Dazu kommen dann noch jegliche kommunikativen Mittel wie Werbung, Publikationen, Unterlagen für das Marketing und für die PR, außerordentliche Gestaltungen für Messen und für die vielen Ausstellungsräume und Läden und dergleichen. Das ist schon gewaltig.
Umso merkwürdiger und gewissermaßen im Widerspruch dazu bieten aber alle Automobil-Unternehmen ihren Käuferinnen und Käufern die Einbildung an, jeweils selber ihr eigenes, völlig persönliches Auto zu erwerben, mithin zuvor nach ihrem Geschmack zu formulieren. Dementsprechend verlassen bei den großen Automobilfirmen kaum noch identische Autos die Produktion: Produziert wird nach Bestellung. Und dadurch wird denen, die kaufen, vorgegaukelt, selbst kreativ zu sein. Selbstverständlich, wie sollte es anders sein, beruht dies in gewissem Maß auf Fiktion; denn wählen kann man nur innerhalb der zwar vielfältigen, aber dann auch wieder standardisierten Vorgaben durch das Design. Das ist wie im Supermarkt, dieser Pseudo-Demokratie, der vortäuscht, man wählte eigenständig aus, obwohl man sich doch lediglich konform mit dem Angebot verhält.
Immerhin, das sei eingestanden, gehört in diesen Kontext zur Qualität von Design, die richtige Mischung von fiktiver Auswahl und rigoristischer Vorgabe der Marke und des Typs zu setzen. Dabei wird nämlich eine Tatsache allemal unterschlagen: die wirklichen Bedürfnisse im Gebrauch der Autos zu verstehen und in die Gestaltung substantiell einzubauen. Keines der Automobil-Unternehmen versteht offensichtlich, etwa nach einem Jahr des Gebrauchs durch die Käuferinnen und Käufer einmal nachzuschauen und dann zu analysieren, was alles dafür getan werden musste, um das Fahrzeug wirklich im Rahmen der je individuellen Ansprüche nutzen zu können. Wirklich, die Unternehmen und die Designerinnen und Designer würden sich wundern, was da alles im Auto und teilweise auch am Auto geschieht, damit es komplex funktioniert und den jeweiligen Lebensbedingungen Menschen entspricht.

Werden die Automobile in Zukunft eigenständig in die Fremde reisen? Im Google Car wird der Traum der Ingenieure vom automatischen Fahren realisiert. Foto © Google