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Aus dem Nähkästchen
von Nina C. Müller | 20.02.2012
Besticktes Buchcover, gestaltet von Hella Jongerius, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark

Nahtlos scheinen sie ineinander verwoben zu sein – die Disziplinen, die der Stofffabrikant Maharam wie einzelne Fäden zu einem großen Ganzen verspinnt. Angefangen mit Textiltechnik, über Grafik-, Produkt- und Modedesign, Typografie, Fotografie und Marketing bis hin zu Retaildesign und dem Kuratieren von Ausstellungen steht das New Yorker Unternehmen für eine holistisch ausgerichtete Unternehmenskultur, die Michael Maharam in der gerade erschienenen „Maharam Agenda" vorstellt.

Vom Lumpenverkäufer zum weltweit agierenden Textilunternehmer: Maharams Firmengeschichte liest sich wie ein Vorzeigebeispiel des amerikanischen Traums. Alles begann 1902 mit dem Verkauf einzelner Stoffreste aus einem Handkarren, weiter ging es mit der Ausstattung von Schaufenstern und der Belieferung von Theatern, Kostümschneidern und Architekten. Heute konzentriert sich das inzwischen in der vierten Generation von zwei Maharam-Brüdern geführte Familienunternehmen auf die industrielle Produktion von Vorhang-, Möbel- und Tapetenstoffen.

Dabei verfolgen Stephen und Michael Maharam stets zwei Ziele: Sie legen großen Wert auf das Erbe berühmter Designer, fördern aber gleichzeitig Innovationen in den Bereichen Material, Technik und Design. Ein cleveres Unternehmenskonzept – aber kein einzigartiges. Außerdem bringen inzwischen etliche Konzerne aufwendige Bücher über ihre Firmenkultur heraus. Was kann man also von einer Firmenpublikation erwarten, damit sie sich vom bloßen Marketingtool und kommerziellen Produktkatalog unterscheidet?

In Maharams Sortiment finden sich vierzig Gewebe von berühmten Designern des letzten Jahrhunderts. Darunter Anni Albers, Charles und Ray Eames, Alexander Girard, George Nelson, Irving Harper, Verner Panton oder Gio Ponti. Hinzu kommen zahlreiche zeitgenössische Designer, Künstler und Firmen wie Hella Jongerius, Konstantin Grcic oder Nike, mit denen der Textilfabrikant zusammenarbeitete und überraschende Hybride entwickelte. So applizierten sie mit dem Modedesigner Paul Smith Nadelstreifen auf Polstermöbel, transformierten gemeinsam mit Sarah Morris Gemälde in Textilien und ließen die Illustratorin Maira Kalman autobiografische Geschichten für Bezugsstoffe zeichnen.

Damit beweist Maharam eine große Offenheit gegenüber anderen Disziplinen und viel Mut, wenn sie teilweise das Experiment sogar über den Kommerz stellen. Diese Haltung entspringt einem reflektierten Geist und einer stetigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Qualitätsanspruch. So erläutert Michael Maharam sein Verständnis eines „intellektuell getriebenen Luxus", schildert den Weg zu universell vermarktbaren, „super-normalen" Produkten, die den Pragmatiker wie den Designliebhaber gleichermaßen ansprechen und erklärt seine Formel für ein verkaufsschlagkräftiges „Design Nirwana" – aber immer in andächtigem Ton: leise, fast introspektiv und immer respektvoll gegenüber seinen Geschäftspartnern. Mit sprachlichen Formulierungen wie „Herausforderungen" für eine zweijährige Entwicklungsphase eines einzigen Stoffes oder „Umarmen des Risikos" für finanzielle Wagnisse beweist er immer große Zuversicht statt Zukunftsangst – eine inspirierende Eigenschaft.

Inhaltlich besticht die „Maharam Agenda" also durch Experimentierfreude und Sensibilität. Doch ist auch die äußere Erscheinungsform der Publikation in der Lage, diese Charakteristiken zu transportieren – umso mehr, da sie von einem Textilfabrikanten kommt? Was man erwartet, ist wohl, dass er den Begriff „Stofflichkeit" wörtlich nimmt, die äußere Erscheinungsform des Buches einen Vorgeschmack auf seine Produkte liefert und sie sinnlich erfahrbar macht. Denn was einen Stoff ausmacht, sind doch vor allem seine haptischen Qualitäten: Wie fühlt er sich an, ist er grob oder fein, rau oder glatt, leicht oder schwer?

Hella Jongerius gestaltete daher für Maharam ein textiles Buchcover, das in vier – in Farbe und Stickmuster leicht unterschiedlichen – Varianten vorliegt. Eine schöne Idee, wenngleich in der Umsetzung farblich etwas flau. Hingegen sind die Fotos im Inneren des Buches so stechend scharf, dass die Texturen der Stoffe fast plastisch hervortreten. Leider verwehrt die Bebilderung einen Blick hinter die Kulissen, denn auf Abbildungen der Produktionsprozesse oder der Zusammenarbeit mit Designern wird vollständig verzichtet.

Dennoch, die „Maharam Agenda" bietet eine umfangreiche Sammlung von Mustern aus dem letzten Jahrhundert bis heute und gewinnt durch die Erzählungen von persönlichen Erfahrungen mit berühmten Designgrößen. Besonders aber sticht sie hervor durch Maharams multidisziplinäre Unternehmenskultur, die sich durch die permanente Erschließung neuer Geschäftsfelder immer wieder neu erfindet. Maharam überrascht mit seiner Philosophie eines gesunden Fortschritts und mit erschreckend ehrlichen Leitmotiven, die so herzergreifend autoritär, wie rigoros leidenschaftlich sind.

Wohl weil sie auf Englisch verfasst ist, schwebt einem während der Lektüre dieser Publikation oft der Begriff „sophisticated" vor dem geistigen Auge. Ein Wort, das so vieles meint, aber das anhand der „Maharam Agenda" ein entsprechendes Exempel findet: anspruchsvoll, raffiniert, feinmaschig, weltgewandt, filigran, durchdacht, technisch ausgeklügelt und kultiviert.

Maharam Agenda
Von Michael Maharam
Lars Müller Publishers, Baden, 2011
Hardcover, 256 Seiten, englisch
55 Euro
www.lars-mueller-publishers.com

Besticktes Buchcover, gestaltet von Hella Jongerius, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Ergebnisse der Zusammenarbeit von Mahram mit namenhaften Künstlern und Designern, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Seit seiner Gründung in 1902 war Maharam immer ein Familienunternehmen, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Offensichtliche Experimentierfreude, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Scheinbar zeitlose Muster, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Maharam produziert Vorhang-, Möbel- und Tapetenstoffe, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Grafik- und Textildesign spielen für Maharam jeweils eine ähnlich wichtige Rolle, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Papiercollage des Musters „Dot Pattern“ von Ray Eames, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Bilder der New Yorker Künstlerin Sarah Morris verkörpern die Architektur und Psychologie urbaner Landschaften. Maharam übersetzte ihre Gemälde in Stoff, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Maharam und Nike, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Stoffe zwischen Kunst und Design, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Digitale Projekte, Buchfoto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Detail der Stickerei auf dem Buchcover, Foto © Lars Müller Publishers
Cover in Produktion, Foto © Lars Müller Publishers