Bequem ist er sicher nicht, der "Venus Chair" des japanischen Designers Tokujin Yoshioka - doch dafür funkelt er so zauberhaft, als hätte er ihn tatsächlich einer Göttin gestohlen. So göttlich sein Antlitz, so natürlich sein Ursprung: Der Stuhl wird von kleinen Kristallen gebildet, die auf einer Grundform aus Polyesterfasern heranwachsen. Das Trägermaterial wird dafür in einen großen Wassertank gesteckt, in dem ein spezielles Mineral gelöst ist. Dieses lagert sich nach und nach an dem Substrat an - der „Venus Chair" entsteht. Yoshioka ist also eigentlich nur für den ersten Teil der Herstellung verantwortlich, im zweiten Teil überlässt er diesen Job Mutter Natur. Um ihr Werk fertig zu stellen, braucht sie etwa einen Monat Zeit - immerhin schafft sie Unikate. Mit Computern, so erklärt der Japaner sein Konzept, lasse sich heute allerhand zaubern. Eine von der Natur geschaffene Form sei jedoch von einer Schönheit, die unser Vorstellungsvermögen übersteige.
Mit Kristallen kam Yoshioka bereits bei früheren Projekten in Berührung, etwa bei seinem Entwurf für den Flagship-Store des Unternehmens Swarovski im Tokioter Stadtteil Ginza. Auch die Tatsache, dass er sich einen Stuhl als Grundform für dieses Experiment ausgesucht hat, dürfte kein Zufall sein. Mit dem "Venus Chair" bewegt sich der Designer nach dem Stuhl "Honey-pop" von 2001 und dem "Pane Chair" von 2006 einen weiteren Schritt hin zu einem Design, das sich selbst generiert. Beim Honey-pop war es ein Stapel dünnes Papier, das sich nach gezielten Schnitten wie eine Ziehharmonika entfalten und dadurch in eine Sitzgelegenheit verwandeln ließ. Der Körperform des Benutzers passte sich der Stuhl beim Hinsetzen individuell an. Beim "Pane Chair" von 2006 nutzte er als Grundmaterial einen Block aus Kunststofffasern, den der Designer mit den Händen zurechtknetete, in eine Backform steckte und in einem Ofen aushärten ließ. Diese chemische Reaktion steigert er nun mit seinem „Venus Chair": Hier entsteht das Design nicht durch eine Änderung der Konsistenz, sondern wächst tatsächlich neu heran.
Wer die Produktion des „Venus Chair" live erleben will, braucht im Moment eigentlich nur ein Flugticket nach Tokio: Herstellungsprozess und Stuhl selbst sind dort noch bis zum 18. Januar 2009 auf der von Tokujin Yoshioka kuratierten Ausstellung "Second Nature" in der Ausstellungshalle 21_21 Design Site zu bewundern.