Es mag Zufall sein oder Glück, Intuition oder einfach nur der Blick, der von gängigen Klischees her getrübt wird. Eine ebenso unrepräsentative wie zufällige Reise durch das Designland Deutschland bestätigt - aber erst nach Vollendung - zweierlei: Design entsteht in dem Umfeld und in der Atmosphäre, die dem regionalen Klischee der entwerfenden Agentur entspricht. Das wiederum bringt ein Design hervor, das sehr regionale Züge einbaut. Kann das überhaupt sein im Zeitalter globaler Gestaltung und kosmopolitischem Getue? Hatte man doch vermutet, dass Design vor allem in jenen Räumen gedeiht, die der puren Sachlichkeit, dem rationalen Geist, dem schlichten Schick alle Ehre macht. Weit gefehlt.
Berlin - Design im Amt
Das Staunen beginnt in Berlin. Bei aller Liebe, aber das ist nicht der Ort, an dem Design entstehen kann: Das Amt. Nein. Kreativität, schöpferischer Geist - überall, aber nicht im Amt. Dort wird nur verwaltet, hier aber gestaltet: Im Designbüro. Ordnung, Klarheit, Strategie, Prozess, das sind die Schlagworte, mit denen üblicherweise operiert wird. Dennoch: Es gibt das Amt für Gestaltung, wenn auch nicht so ganz amtlich: In Berlin, wo sonst. In der Stadt, in der alles ironisch gebrochen wird. Betrieben wird es von der Designerin Cäthe Pfläging, die hier seit 2003 visuelle Gestaltung mit Schwerpunkt Webgestaltung und -programmierung betreibt. „Mit dem Namen", so die Wahlberlinerin, „stehen wir für das Berliner Design im ureigensten Sinne. Mit der nötigen Portion Selbstironie und Schnoddrigkeit vollziehen wir die Blutgrätsche zwischen Armut und Sexiness", spielt sie auf die Worte des amtierenden Regierenden Bürgermeisters an. Dass die Innenansicht des Büros nicht ganz so amtlich daher kommt, versteht sich von selbst. Was nicht bedeutet, dass die Kunden keine saubere Gestaltung bekommen. Die Berliner Philharmonie ziert die Kundenliste ebenso wie Kliniken der Charité oder unterschiedlichste Einrichtungen aus dem sozialen, kulturellen oder einem breiten Feld mittelständischer Unternehmen. Hochseriös, inspiriert und professionell: Das geht - in Berlin - auch ohne Interieur von noblem Designambiente.
Stuttgart - Heimat des Ingenieurs
Ganz und gar ironiefrei geht es unterdessen in Stuttgart zu. Hier, in der Kölner Straße, residiert das Designbüro Phönix, das mit hunderten von Red Dots und IF-Design-Awards dekoriert wurde und in zahlreichen Rankings auf den vorderen Plätzen zu finden ist. „Logik, Moral und Magie", nach dieser „Zauberformel" ist das erfolgsverwöhnte Büro ausgerichtet, das 1987 von Andreas Haug und Tom Schönherr gegründet wurde. Sozusagen eine Ikone des deutschen Designs - so formvollendet dürfte die deutsche Ingenieurstugend wohl nur im Schwabenländle anzutreffen sein. Und so sieht es in den Räumen auch aus. Clean, klar, ordentlich. Niemand würde staunen, würden die Designer hier mit dem Skalpell zeichnen. Tatsächlich kommt diese Strenge auch den Kunden zu gute. So tragen die schwäbischen Designer sicher einen Anteil am Überleben von Loewe, des Herstellers hochwertiger Fernsehgeräte und Hifi-Anlagen, dessen Markenbild und Produktdesign von Phönix jahrelang geprägt wurde. Wie auch weitere Marken, für die Phoenix arbeitet, zugleich Sinnbild deutschen Industriedesigns als auch deutschen Unternehmertums sind: Bosch, Gira, Junghans, Lamy, Miele, Siemens, Viessmann - uns so fort. Fast könnte man in Anlehnung an den guten alten Volkswagen sagen: und läuft, und läuft, und lauft... Allerdings treffen hier offenbar nicht nur traditionelle deutsche Marken zusammen, es versammelt sich auch gleichsam die Weltspitze - im je eigenen Segment. „Made in Germany" kann also auch bedeuten: „Designed im Schwabenland". Und dass es da im Büro vor allem aufgeräumt zugeht, nur Bilder nach Außen dringen, die das auch zeigen, versteht sich von selbst.
Hanseatische Lockerungsübungen
In Sachen Agenturschick sollte Hamburg nicht hinten anstehen. Immerhin wird die Stadt nicht müde, die kreativen Leistungen als besonderes Phänomen der Metropole des Nordens zu loben - jenseits von brummbäriger Kurzangebundenheit, die dem Hanseaten schon mal nachgesagt wird. Schon länger im Geschäft und nur schwer zu hundert Prozent einem einzigen Gestaltungssegment zuzuordnen, ist das Büro Feldmann+Schultchen. Das Hamburger Kultbier Astra hat von Feldmann+Schultchen ein neues Gesicht bekommen. Auch Verpackungen, wie die mehrfach ausgezeichnete Fischverpackung der „Deutsche See" Fischmanufaktur oder die Service-Architektur von Europcar kommen vom Designbüro mit Ponton-Flair. Hier versteht man sich besonders auf die Nutzung räumlicher Besonderheiten, um der eigenen Arbeit auf die Sprünge zu helfen. Dafür hat man ein Ponton gemietet, das beweglich auf den Wogen der Elbe schaukelt. „Früher", so berichtet Arne Schultchen, einer der Gründer, „sind wir raus gefahren, haben die Stadt verlassen, um einen neuen Blick auf unsere Aufgaben zu finden. Mal Abstand bekommen, neue Perspektiven einnehmen: Das kann man ja viel besser in Bewegung." Sagt es und entschuldigt sich. Schließlich klingt dass alles schon sehr nach Werbeagentur und Produktivitätssteigerung durch gruppendynamische Spielchen. Das aber, so Schultchen, sei ganz und gar nicht das Ziel. Ohnehin habe sich die location mehr ergeben, als dass sie geplant wurde. Auch wirkt das Arbeiten mit Kreidetafeln nicht sonderlich nach hipper Attitüde des 21. Jahrhunderts. Wohl aber würden hier neue Formen der Gestaltung erarbeitet. Diese liefern aus der Arbeitsatmosphäre heraus ganz neue Ansätze, neue Wege und damit auch neue Resultate. Wo nämlich der Hamburger Werber noch die „Blutrinne" kennt, jene Leiste an der Wand im Präsentationsraum, auf der die Pappen didaktisch sauber nacheinander gezeigt werden, um den Kunden zu überzeugen, regiert heute fröhliche Interaktion. Präsentationen, aber auch Besprechungen oder Workshops spielen sich hier nicht mehr im Stile vom Frontalunterricht ab. Eher wird zwischen Ideen und Skizzen, Überlegungen und Ansätzen flaniert und diskutiert, es wird verworfen, verschoben, neu angeordnet und justiert. „Und wenn einer abhaut, aufs Wasser gucken will, sein Blick sich im Kaminfeuer verliert - zum Nachdenken: Wen stört es?" - fragt der Chef rhetorisch. Dass hier keine deutsche Traditionsmarke, womöglich noch mit moralischem Überbau und designerischer Legitimationslyrik kreiert wird, liegt nahe: nicht streng genug, nicht moralinsauer, nicht humorlos. Das Hamburger Kultbier Astra hat hier aber ein neues Gesicht bekommen, und neue Bierkästen gab es gleich für mehrere Kunden. Auch Verpackungen, wie die vielfach ausgezeichnete Fischverpackung der Fischmanufaktur „Deutsche See", kommen vom Designbüro mit Ponton-Flair. Das alles geht aber nicht ohne ein hohes Maß an Engineering - trotz schaukelnder und ofenbeheizter Gutelauneinsel auf der Elbe.
Bodenständiges Hyperventilieren
Design könnte kaum zeitgeistiger sein, als in dem Gestaltungsbüro 3deluxe aus Wiesbaden - nicht eben die Stadt, die man sogleich mit High-Tech, transdisziplinärer Arbeit und dem Verwischen der Unterschiede zwischen grafischer Inszenierung und Architektur in Verbindung bringt. Dennoch: Auf keinen Fall darf es fehlen, wenn es um Atmosphären geht. Denn mehr Gestaltungswillen, mehr Lust am Herstellen künstlicher Orte, deren Inszenierung sich bisweilen vom inszenierten Inhalt löst, als bei 3deluxe ist kaum denkbar. Besonders große Bekanntheit brachte der Glaskubus, der 2007 als Markenarchitektur für den Glashersteller Leonardo hitzig diskutiert wurde. Schließlich mögen puristische Architekten derlei Inszenierung nur ungern als Bauleistung akzeptieren. Da ahnen Berufskritiker schon mal Verrat an Vitruvs architektonischem Erbe. Die Zukunftserfinder aus Wiesbaden ficht das nicht an. Das mag auch daran liegen, dass weder Adresse noch Ortswahl irgendeinen Rückschluss auf die Arbeit zulassen. Die biomorphen, sich windenden, triefenden, aufstrebenden, in jedem Fall flexibel sich rekelnden Bauten, Orte, Shops und sonstige Zukunftsbeschwörungen, sie alle entstehen hinter eine Backsteinfassade, Altbau, mit hohen Decken. Darin: Zettelsammlungen, Papiermodell auf Schreibtischen, Durcheinander und reichlich analoges Material - inmitten digitaler Entwurfstätigkeit. Und was noch erstaunlicher ist, sind die Erklärungen, die Dieter Brell, einer der führenden Köpfe des erfolgsverwöhnten Teams dazu abgibt: „Wir wollen auf keinen Fall die klassische Agentur sein, die in einer Villa residiert, wie es hier in Wiesbaden so häufig zu sehen ist. Viel entscheidender als die Räume, als das Innere, als die Gestaltung, als all das, sind die Menschen, die Stimmung, die Atmosphäre, die sich im Miteinander der Arbeit ergibt." Sagt es, und nimmt es auch ein wenig zurück, relativiert, schwächt, meint dann aber schließlich: „Hier herrscht halt ein ganz angenehmes Durcheinander, das jeder Besucher sofort sympathisch findet." Kunden allerdings staunen. Das Ambiente, so meint der Mitbegründer Brell, erwarte hier eben niemand. Und ergänzt: „Wir achten einfach mehr auf die gute Zusammensetzung der Leute als auf das Zusammenpassen der Leuchten."
München - ruht in sich.
Mehrere Anläufe, Auskünfte aus einem ebenso jungen wie bekannten und zu Recht erfolgreichen Designstudio im Münchner Glockenbachviertel zu bekommen, um ein Licht auf die Frage zu werfen, wie es bei jungen Autorendesignern zugeht, führten zu nichts. Noch ein Anlauf: nichts. Abermaliges Drängen: nichts. Wie ganz Bayern, so scheint auch hier zu gelten: Ganz mit sich allein ist's schon schön. Daheim ist fein.
www.amt-fuer-gestaltung.de
www.phoenixdesign.com
www.fsdesign.de
www.3deluxe.de