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Atmosphären aus Wasserdampf
von Sara Bertsche | 04.10.2013
Geschmeidig, formschön und scheinbar biegsam: Keramik und Marmor werden auf der Cersaie in allen Facetten präsentiert. Foto © Sara Bertsche, Stylepark

Sie sind nervös, fahrig gar und ruhelos? Dann schließen Sie einfach die Augen und stellen Sie sich vor, wo Sie im Alltag entspannen möchten. An welchem Ort ließe sich durchatmen, in Ruhe verweilen? Wo würden Sie mal zwischendurch die Seele baumeln lassen? Im heimischen Wohnzimmer? Draußen im Garten? - Nein, weit gefehlt. Es ist das Badezimmer, zumindest, wenn es nach den zahlreichen Herstellern geht, die ihre neusten Produkte auf der „Cersaie“ in Bologna präsentieren. Für die Keramikbranche ist das Badezimmer schon lange nicht mehr nur ein funktionaler Raum zur Körperpflege. Also inszenieren einige Hersteller – etwa „Eurorama“, „Bellosta“ oder „Pecchioli“ – ihre Stände und Showrooms wie eigene Mikrokosmen, in denen weiches Licht, organische Formen und Sprühnebel aus Wasser eine geheimnisvolle Atmosphäre erzeugen, auch wenn es sich genau genommen nur um die Kombination aus neuster Technik, Beleuchtung und Keramik handelt, die solch künstliche Wohlfühlwelten möglich macht.

Florale Muster auf der Wand

Wo bitte geht‘s zum Bad? – mag sich da so mancher Besucher angesichts des nach wie vor ungebrochenenTrends zur Wellnesszone fragen, obwohl er bereits mittendrin steht. „Antonio Lupi“ zum Beispiel präsentiert eine Badezimmerwand, die mithilfe neuster Print-Technik mit allen erdenklichen Motiven bedruckt werden kann und zugleich wasserabweisend ist. Florale Muster in geschmackvollen, satten Farben lassen den Eindruck entstehen, es handele sich hier um eine Tapete, die dem Raum Tiefe und ein wohnliches Ambiente verleiht.

Damit aber nicht genug: Rotgrünes Licht sickert aus verborgenen Ritzen organisch geformter Armaturen (man kennt sie bereits von der diesjährigen ISH in Frankfurt am Main) und taucht Raum und Keramik in ein geheimnisvolles Leuchten. Es flackert das einladende Feuer eines Kamins, während der Badewannenunterbau zugleich als Regal für Bücher und andere Wohnaccessoires dient. Hygiene-Artikel dagegen werden sorgsam hinter kaum sichtbaren Klappen in der Wand versteckt – schließlich soll nichts den Eindruck von Wohnlichkeit stören. Darüber hinaus stehen auch in diesem Jahr Themen wie „Energieeffizienz“ und die sparsame Verwendung ökologisch verträglicher Materialien im Fokus ­– ein Aspekt, der fast allen Herstellern wichtig ist. So ist eine weitere Neuigkeit ein minimalistischer Heizkörper aus recyceltem Aluminium, der im Bad für angenehme Temperaturen sorgt.

Wasser aus dem Lampenschirm

Auch bei „Axor“, der Designmarke von „Hansgrohe SE“, setzt man auf ökologisches Bewusstsein und die Neuinterpretation des Bades. Die Waschtischmischer der bereits im Frühjahr vorgestellten Serie „Axor Starck Organic“ wurden bewusst so konzipiert, dass möglichst viel Wasser gespart werden kann. Überhaupt geht man, was das Design anbetrifft, neue Wege. So entstand etwa das Kreativprojekt „Axor WaterDream“ aus einer Fragestellung rund um die Neu-Interpretation der Dusche, das von zwei Designbüros auf ganz verschiedene Art und Weise beantwortet wurde. Der Messebesucher staunt nicht schlecht, wenn er Wasser aus einem Lampenschirm fließen sieht und eine Glühbirne den feinen Sprühnebel durch weiches Licht aufleuchten lässt. Die „Axor ShowerLamp", entworfen von Oki Sato, dem kreativen Kopf des Designstudios „Nendo“, kann, wenn man will, nicht nur im Bad, sondern auch als Licht spendende Wasserinstallation im Wohnzimmer eingesetzt werden. Womit die Grenzen zwischen zweckorientierter Sanitäreinrichtung und behaglichem Wohnambiente endgültig verschwimmen.

Sofia Lagerkvist, Charlotte von der Lancken und Anna Lindgren, die schwedischen Designerinnen von „Front“, präsentieren ihre Version des „Wassertraums“ hingegen als kunstvoll angeordnetes Geflecht aus Kupferrohren, Muffen, Ventilen und trichterförmigen Duschköpfen. Ihre Interpretation offenbart Sanitär-Strukturen, die sonst sorgfältig hinter Badwänden verborgen werden, nun aber als zugleich funktionales und ästhetisches Designelement hervortreten.

Mach Kunst und schone die Ressourcen

Und welche Trends zeichnen sich bei den Herstellern von Fliesen ab? Zumindest der Verband „Ceramics of Italy“, Handelsmarke der italienischen Keramikindustrie und Förderer ausgesuchter Unternehmen, verspricht zur Eröffnung der Messe zukunftsweisende Innovationen und neue Produkte. Bereits im Vorfeld der Messe wurden dafür eigens Kulturprojekte mit dem Themenschwerpunkt „Wasser“ initiiert, die in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Bologna, Rom und Venedig realisiert wurden. Monatelang schmiedeten Designer, Architekten und Studiernde Ideen und arbeiteten an einer Konzeption, wie Wasser im Hinblick auf Ressourcenschonung und im Zusammenspiel mit neuen Materialien in einen neuen Kontext gestellt werden können.

Präsentiert wurden die Ergebnisse in zahlreichen Vorträgen auf der Messe, aber auch im Rahmen der Ausstellung „Bologna Water Design“.Im pittoresk-morbiden Ambiente eines ehemaligen Krankenhauses, dem „Ex Ospedale dei Bastardini“, stellten Daniel Liebeskind, Simona Marta Favrin, Nicola Moretti und Ludovico Lombardo ihre künstlerischen Entwürfe aus. Mal räkeln sich groteske Skulpturen aus schwarzem Stein in erleuchteten Wasserbecken, während die hohen Decken und Wände des Gebäudes den Schall der Klanginstallationen in wiederkehrenden Intervallen durch den Raum tragen, mal erscheinen auf Leinwänden und auf Videomonitoren, die in Wassereimern stecken, ausgetrocknete Gesichter und Schlagworte zum Thema Wasserknappheit.

Ein weiterer Raum ist fast vollständig mit Wasser geflutet – lediglich ein schmaler Steg führt auf die andere Seite der Halle, wo Duschen die Luft mit erleuchteten Nebeln erfüllen. Im Innenhof des Gebäudekomplexes hat der New Yorker Star-Architekt Daniel Libeskind eine acht Meter hohe Skulptur aufgestellt – zwei vertikale, aufeinander zulaufende, Fassadenplatten aus metallveredelter Keramik, die durch ihre postmoderne Formensprache einen Kontrast zur eher malerischen Umgebung bilden. Was die Visualisierung eines komplexen Themas angeht, darf man die Ausstellung durchaus als gelungen ansehen.

Gerne mal wieder opulent

Stehen solche Visionen aber auch in Verbindung mit den Produkten, die auf der Cersaie ausgestellt wurden? Sind aus ihnen zukunftsweisende Neuheiten hervorgegangen oder verhallt der dieser Tage viel gehörte Begriff „Innovation“ nach Ende der Messe wie ein Echo? Schaut man sich auf der Messe um, so stößt man auf nicht wenige Hersteller – zum Beispiel „Giulini“, „Cerdomus“ oder „Leonardo Ceramica“ –, die sich gegenseitig darin zu übertrumpfen suchen, ein besonders opulentes Keramikdesign im barocken Stil, veredelte Oberflächen und Fließen in immer größeren Formaten anzubieten. Wirklich überraschen kann aber auch das nicht.
Der Druck, jedes Jahr etwas Neues zu präsentieren, ist enorm – schließlich ist die „Cersaie“ für Architekten, Händler und Branchenkenner ein wichtiger Indikator dafür, welche Produkte das bestehende Sortiment ergänzen könnten. Auch wenn es sich in vielen Fällen eher um Variationen altbekannter Fließen handelt. Auch wurden einige Produkte bereits im Frühjahr auf der ISH in Frankfurt am Main ausgestellt und haben lediglich durch neue Farben, Formvarianten oder veränderte Größen einen neuen „Anstrich“ bekommen.

Eine Tendenz, die sich – vermutlich aufgrund des Zwangs, ständig etwas Neues bieten zu müssen – abzeichnet, ist die Weiterentwicklung der Print-Technik, mit der alle erdenklichen Muster und Dekors auf die Oberfläche der Keramik gedruckt werden können. Nach dem Motto „mehr Schein als Sein“ sind zahlreiche Varianten von Textil- ,Glas-, Holz- und Laminat-Imitationen entstanden, die das Material zugunsten der Optik zurücktreten lassen.

Bahnbrechende Innovationen lassen sich ohnehin nicht Jahr für Jahr erwarten. Die Möglichkeiten sind schon aufgrund der Materialbeschaffenheit begrenzt. Gleichwohl – die „Cersaie“ bewährt sich auch 2013 als Antrieb, über neue Formen und Dekors, aber auch über veränderte Funktionen und Techniken im Sanitärbereich nachzudenken. Manchmal wirkt ja schon die Variation von Bewährtem überraschend und neu. Weshalb der Geist der Innovation eben nicht nur über den Wassern, sondern auch über der großen Messespielwiese schwebt.

Eine Übersicht der Firmen von "Ceramics of Italy" kuratiert von Stylepark finden Sie hier.


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