Man muss alles neu denken
"Wir finden es sehr spannend, ganz unterschiedliche Dinge zu machen, nicht nur Möbel oder Objekte", sagt Gerhardt Kellermann. Geht das zu zweit und im Dialog besser als allein? "Ja", meint Ana Relvão, "aber manchmal ist es auch ein Kampf." "Und manchmal", scherzt ihr Partner, "wählt unser Hund am Ende dann die beste Lösung aus".
Ana Relvão und Gerhardt Kellermann verstehen sich als Industriedesigner. Ganz gleich, ob sie Garderoben, Regale, Hocker, Küchen, Brillen oder Räume entwerfen, stets versuchen sie, im Prozess des Gestaltens die Essenz eines Gegenstandes herauszuarbeiten. Was aber heißt das genau? Und wie gehen sie dabei vor? Ein Besuch in ihrem Atelier im 4. Stock eines Rückgebäudes in der Münchner Landwehrstraße soll Aufschluss geben.
Nachdem uns Ada, die elegante Whippet-Hündin, begrüßt und sich auf das zweisitzige Sofa von Dieter Rams und unter ihre Decke zurückgezogen hat, schauen wir uns gemeinsam um. Neben dem Eingangsbereich und dem eigentlichen Arbeitsraum gibt es noch eine kleine fensterlose Kammer, in der mehrere 3D-Drucker ihren Dienst versehen. Die beiden Designer nutzen sie intensiv, um erste Ideen rasch dreidimensional visualisieren und ihre Funktion testen zu können. Die Technik, meint Gerhardt Kellermann, sei unschlagbar, aber natürlich würden sie auch nach wie vor Pappmodelle bauen: "Der Vorteil des 3D-Drucks ist, man kann etwas einfach mal schnell machen und abstimmen." Ein gedrucktes Modell sei zudem hilfreich, wenn es darum gehe, einem Kunden schon in einer frühen Entwicklungsphase anschaulich zu machen, wo die Reise hingehen soll – besonders in der Zusammenarbeit mit Ingenieuren, die oft darauf achteten, dass ein Modell erst dann gebaut werde, wenn die Lösung auch technisch sinnvoll erscheine. Um zu zeigen, wie das konkret aussieht, geht Gerhardt Kellermann zur Fensterbank, wo zahlreiche Objekte liegen, greift sich einen Labello-Stift, den Ana Relvão entworfen hat, und ein Brillenetui in Dreiecksform. Sofort wird klar: Das Objekt in Händen zu halten sagt mehr aus als wortreiche Erklärungen.
3D-Drucker und VR-Brille helfen, zu überzeugen
Die Sache mit dem 3D-Druck bietet sich schon deshalb an, weil beide viel am Rechner entwerfen und überhaupt gern neue technische Tools nutzen. Wo es um die Gestaltung von Räumen geht, nutzen sie sogar eine VR-Brille – so auch bei den Entwürfen für das Ausstellungsprojekt "Stylepark Selected", das sie gerade für Stylepark und das Museum für Angewandt Kunst (MAKK) entwickeln und das im Januar in Köln Premiere haben wird. "Man könne Proportionen und Abstände im Raum auf diese Weise besser als auf einem Grundriss abschätzen", sagen die beiden Designer. Wenn man etwa im MAKK virtuell "vor dem sieben Meter hohen Vorhang steht, dann bekommt man schon eine Idee davon, wie dieser wirkt." Am Ende zähle aber allein das Ergebnis im realen Raum.
Ob gedruckte Modelle oder eine VR-Brille eingesetzt werden – es hilft, zu überzeugen. Und die beiden wissen, wie man Hersteller, Ingenieure und Kunden überzeugen kann. Seit fünf Jahren arbeiten sie nun zusammen, haben für Firmen wie Bulthaup und Gaggenau entworfen, für Huawei Handyantennen, Serverräume und Router entwickelt, für Schönbuch, Cor und Auerberg Möbel gestaltet. Dass sie hierzulande noch vergleichsweise wenig bekannt sind, liegt daran, dass sie viele Prototypen gezeichnet haben, die man nie zu sehen bekommt. "Ghostwriting" nennt Gerhardt Kellermann diese Art der Arbeit für die Industrie.
Nach Archetypen suchen
Legen RelvãoKellermann viel Wert auf das Aussehen, den Look des Objekts? "Auch", sagt Gerhardt Kellermann, " aber wir suchen vor allen Dingen nach Archetypen. Anders gesagt: Sobald man als Kunde das Produkt verstehen kann – also nachvollziehen, wie es funktioniert und wie man es bedient, selbst wenn das unbewusst geschieht – lässt das die Sache nicht nur logisch erscheinen, es macht sie auch attraktiv. Das versuchen wir zu erreichen." Ana Relvão ergänzt: "Ich denke, wir arbeiten sehr reduziert, suchen nach der Essenz eines Objekts – und dabei fragen wir danach, was neue Technologien oder Materialen beitragen können, um das zu erreichen."
Eine Brille kann man auch biegen
Was das konkret heißt, zeigt ein Brillengestell, das sie in Eigenregie entwickelt haben. "Wir haben", erklärt Ana Relvão, "uns gedacht, weshalb nicht eine Brille aus einer Linie heraus gestalten und diese in die Form biegen, die wir wollen? Aus einem Stück, das mittels einer Zange gebogen wird." Und sie fügt hinzu: "Auch hier ging es uns vor allem um den Prozess. Die Form, die dabei entsteht, war eher nebensächlich, und doch entsteht ein neues, ikonisches Objekt." Solche Projekte nennen die beiden "Lab": Indem sie den Produktionsablauf analysieren, ihn in seine Bestandteile zerlegen, stoßen sie auf überraschende Lösungen.
Dinge aus ihrer Eigenlogik heraus zu verbessern, sowohl technisch, als auch in der Nutzung, sie in ihrer Form, in Grafik und Ästhetik zu optimieren, indem sie konsequent durchdacht werden – darin liegt das Geheimnis von RelvãoKellermann. Wobei bohrende Fragen immer im Zentrum stehen: Warum so und nicht anders? Ist das wirklich die beste Lösung? Entsteht dabei auch etwas Neues? "Da sind wir immer im Streit", bekennt Gerhardt Kellermann. "Ich sage immer, es gibt schon alles, alles wurde bereits in einer gewissen Weise gemacht, man kann es aber in einer besseren Art und Weise konstruieren". Ana Relvão ist da ganz anderer Ansicht: "Nein, die Materialien, alles mag da sein, aber man muss alles neu denken, es neu und anders machen."
Stylepark Selected
Und was haben sie sich nun für das Ausstellungsprojekt "Stylepark Selected" im MAKK ausgedacht, das Stylepark im Januar 2018 parallel zur imm cologne veranstalten wird? Die Aufgabe ist schon deshalb nicht leicht zu lösen, weil die Objekte, die präsentiert werden, während der Planung noch nicht feststehen. Wie aber entwirft man eine Ausstellung für Exponate, die man nicht kennt? "Es kann sich", so Kellermann, "um einen Lichtschalter oder um ein Sofa handeln, man weiß es eben noch nicht. Hinzu kommt: Die Originalobjekte stehen auf der Messe." Weshalb sich die beiden die Frage gestellt haben, ob diese in der Ausstellung im MAKK überhaupt materiell präsent sein müssen. Im Museum solle ja keine zweite Messehalle entstehen, zumal der große, offene Raum schwer zu bespielen sei. "Die Besucher", meint Gerhardt Kellermann, "kommen von der hektischen Messe. Wenn man dann ins Museum kommt, will man zur Ruhe kommen und etwas anderes erleben".
Also haben sich die beiden Designer gesagt: Wir kreieren im MAKK ein Erlebnis, zeigen die Objekte und geben zusätzliche Informationen zu ihnen – und das alles in einer ruhigen Atmosphäre. Mit der Konsequenz: Die für Stylepark Selected ausgewählten Exponate werden nur virtuell präsentiert und zwei hohe, aus Vorhängen gebildete "Säulen", die man betreten kann, beruhigen den offenen Museumsraum. Im dem Raum, der innerhalb der Vorhangsäulen entsteht, befindet sich eine Glaspyramide, auf die Bilder des Objektes projiziert werden, wodurch ein dreidimensionales Hologramm entsteht. Im anderen werden drei transparente Displays aufgehängt, auf denen Informationen zu den Objekten zu sehen sind. "Zwei kleine Wunderkammern" nennt Kellermann das, weil die Vorhangsäulen dem Raum Halt geben und erst wenn man hinter den Vorhang tritt preisgeben, was es dort zu sehen gibt. "Ein Hologramm", so Gerhardt Kellermann, "mag auf den ersten Blick ein verspieltes Gadget sein, doch wenn man es auf das Wesentliche reduziert, wird es schön. Wer es sieht, wird staunen!" "Wenn etwas ein gutes Tool ist, braucht es kein Chichi", erklärt Ana Relvão, und Ada knurrt zustimmend.