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Arno Lederer

NACHRUF
Zum Tod von Arno Lederer

Der Architekt Arno Lederer ist im Alter von 75 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben. Mit ihm verliert die Architektur in Deutschland einen ihrer brillantesten Köpfe und eine moralische Instanz, die Personifizierung der Baukultur.
von Falk Jaeger | 24.01.2023

Die Nachricht vom Tod des Stuttgarter Architekten Arno Lederer geht wie ein Schock durch die deutsche Architekturszene, war er doch bekannt und präsent wie kein zweiter. Wie sein Mentor Max Bächer, in dessen Fußstapfen er trat, hätte er sein Leben als Berufspreisrichter verbringen können, so oft wurde er in Jurys eingeladen. Oder als Berufsredner, so beliebt waren seine Festreden, humorvoll, klug, kulturell aufgeladen, und immer ein wenig mit dem erhobenen Zeigefinger für die Sache der Baukultur eintretend.

Arno Lederer war Schwabe, 1947 in Stuttgart geboren und aufgewachsen, hat in Stuttgart studiert und, nach einem Abstecher nach Wien, in Stuttgart sein Diplom absolviert. Danach arbeitete er ein Jahr bei Ernst Gisel in Zürich, bei dem er nach eigenem Bekunden mehr gelernt habe als im gesamten Studium. Jedenfalls war Gisels Architektursprache in Lederers Schaffen noch lange zu spüren. Wer sich Gisels Stadtwerke und das Museum Judengasse in Frankfurt am Main (1990) anschaut, erkennt die Verwandtschaft auf den ersten Blick. Sein erster größerer Bau, ein Multifunktionsgebäude mit Wohnungen, Büros und einer Bibliothek, entstand in Fellbach bei Stuttgart (neben Gisels Rathaus) im Stil der klassischen Moderne. Am Wettbewerbsentwurf 1979 hatte die isländische Diplomingenieurin Jórunn Ragnarsdóttir maßgeblich Anteil. Die Zusammenarbeit bewährte sich und mündete 1985 sowohl in einer Büro- wie Lebensgemeinschaft. Fortan entwarfen sie gemeinsam und, wenngleich Arno in der Öffentlichkeit als Frontman erschien und es sich die JournalistInnen leicht machten, indem sie den komplizierten Namen Ragnarsdóttir gerne mieden, sie waren UrheberInnen zu gleichen Teilen. Seit 1992, als Marc Oei in das Büro eintrat, firmiert das Büro unter den Namen und dem Kürzel LRO.

Historisches Museum Frankfurt

Die Entwicklung ging von der "weißen Moderne" hin zur "Rematerialisierung der Moderne", wie Christoph Mäckler die Wiedereinführung solider, handwerklicher Bauweisen mit Blick zum Beispiel auf Mendelsohn, Poelzig und Behrens einmal genannt hat. Dabei geht es um sinnlich haptische Erfahrung, das Erlebnis der Atmosphäre und den bergenden Charakter der Bauwerke, um Eigenschaften also, die in der Moderne vergessen worden sind. "Der Moderne die Leichenblässe austreiben", hat Lederer es genannt. Es gilt, Erkenntnisse und Qualitäten aus allen früheren Epochen wieder verfügbar zu machen, ob Raumzusammenhänge der Vormoderne, ob Finten barocker Lichtführung, ob klassische Würdeformen, wenn denn entsprechendes Auftreten geboten ist. Es geht aber auch darum, nachhaltig und dauerhaft solider, massiver zu bauen - wegen der Anmutung der Materialien und der Stofflichkeit sowie um der Schönheit der Oberflächen willen. Solche Häuser werden geschätzt, geliebt und deshalb gepflegt. Was nützt es, wenn ein Haus nach zehn Jahren verschlissen ist und abgerissen wird? Dafür will LRO-Architektur die BauherrInnen sensibilisieren wie interessieren. In dieser Hinsicht gehören LRO zu einer offenkundig aussterbenden Spezies, die die Verantwortung der ArchitektInnen nicht nur gegenüber den Kosten-ControllerInnen und InvestorInnen verspürt, sondern auch gegenüber der Gesellschaft und der (Bau-)Kultur. Diese Haltung im eigenen Land zu vertreten, ist schwierig genug. Vielleicht auch deshalb haben LRO ihre Begehrlichkeiten nicht wie viele KollegInnen auf Großaufträge in Nah- und Fernost gerichtet. Kurzlebige Boomtown-Architektur in Dubai, Kuala Lumpur oder Guangzhou ist nicht ihre Sache.

Kunstmuseum Ravensburg

Lederer erlag nicht der Versuchung wie etwa Oswald Mathias Ungers, alle Architektur abschließend theoretisch definieren, erklären und bestimmen zu wollen. "Wir stehen vor dem auf Grundlage der Theorie erbauten Haus und es will sich nicht der kleinste Zusammenhang zwischen Gedachtem und Gemachtem herstellen", hatte er festgestellt, weil Architektur weitaus direkter wirkt, ohne die Umwege sophistischer Erklärungen durch die ArchitektInnen. LRO-Bauten sind keine ätherischen Artefakte, keine minimalistischen Kisten, keine verqueren Mikadostrukturen und keine architekturtheoretische Manifeste nach jahrhundertealten Proportionsregeln, denen die Laien mit Unverständnis begegnen. LRO-Bauten werden von den BenutzerInnen verstanden und in aller Regel gerne angenommen. "Die Menschen, die die Häuser, die Straßen und die Stadt benutzen, wollen dafür keine Gebrauchsanleitung", heißt es bei ihm lapidar.

LRO-Häusern sind nie nur nüchtern rational, sie zeigen erzählerische Elemente. Nebensächliche Funktionen können zum Blickfang werden. Eine Arkade eines Geschäftshauses in Karlsruhe aus dynamischen Parabelbogen, wie man sie noch nirgendwo gesehen hat (außer bei LRO), eine überraschende Wandbank im Rathaus Eppingen (die sich als funktional genau platziert erweist), die "Schwimmbadgarderobenschränke" im Staatstheater Darmstadt, die durch Anordnung und Farbgebung plötzlich die dem Ort angemessene Würde und Eleganz zeigen; vieles mehr lässt sich im Werk der ArchitektInnen entdecken. Die sakrale Wirkung des Oberlichts und die Neugier auf das Kommende beim hohen und gebogenen Treppenhaus der katholischen Akademie in Stuttgart, ein "nutzloses" Podest mit "Adventskalendertüren" ist Willkommensgeste beim Staatstheater Darmstadt und provoziert Events. Dies nur einige Beispiele, die den Wunsch verdeutlichen, räumliche Erlebnisse zu evozieren und die den NutzerInnen zu intensiverem Gebrauch der Architektur stimulieren sollen.

LRO-Architektur passt gut in jede Altstadt: etwa das erstaunliche Bankgebäude an der Neuen Straße in Ulm mit seinem Glaserkerstakkato, oder das Historische Museum am Frankfurter Römerberg, das so wunderbar die Balance der örtlichen Wiederaufbaumoderne und der Rotsandsteingotik meistert, oder das Kunstmuseum Ravensburg mit seiner Fassade aus wiederverwendeten Ziegeln wie den geschwungenen Dächern.

Ziegel sind ohnehin das bevorzugte Baumaterial bei LRO. Die Klosterschule Salem oder die Schule in Ostfildern, die mit ihrem signifikanten Doppelschornstein wie eine Ziegelei aussieht, profitieren von der Schönheit des Materials. Spontan kommt der Gedanke: Hier möchte man zur Schule gegangen sein. Der SchülerInnen, der NutzerInnen, die BewohnerInnen stehen immer im Mittelpunkt des Interesses und der Anstrengungen. Niemals ging es LRO darum, architektonische Pirouetten zu drehen. Es sind die stillen Qualitäten, die den Menschen zugute kommen. Dahinter steht die tiefe Überzeugung, dass es sich bei Architektur um eine soziale, dienende Kunst handelt, nicht um die Selbstdarstellung der BaukünstlerInnen.

Am 21. Januar 2023 ist Arno Lederer in Stuttgart im Alter von 75 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben. Mit ihm verliert die Architektur in Deutschland einen ihrer brillantesten Köpfe und eine moralische Instanz, die Personifizierung der Baukultur. Das Stuttgarter Büro LRO arbeitet mit Marc Oei und drei jüngeren PartnerInnen eigenständig. Lederer Ragnarsdóttir ist 2021 in Berlin neu gegründet worden und wird von Jórunn und Sohn Sölvi weitergeführt.

Berliner Städtebaugespräche – Arno Lederer