Gute Räume
Wobei die Vokabel "Büro" eigentlich fehl am Platz ist. Die vormalige Spielhalle verfügt über eine große Schaufensterfront, die, so das Wetter es zulässt, auf ganzer Breite zur Straße hin geöffnet wird. "Es ist als offener Ort gedacht", erklärt Sven Aretz und führt aus: "Tatsächlich kommen die Leute hier rein, gehen an den Wänden entlang und schauen sich alles an." Einem baukulturellen Showroom gleich haben Sven Aretz und Jakob Dürr die Wände mit magnetischen Tafeln belegt, an denen Pläne, Renderings und Fotos von aktuellen Projekten und fertiggestellten Gebäuden angeheftet sind. Sensible Daten über Auftraggebende und Orte sind dabei stets abgeklebt. Schon dieser Raum gibt Auskunft über die Art und Weise, wie die beiden Architekten und ihr Team – derzeit sechs Mitarbeitende – über das Bauen nachdenken: "Wir haben hier zwölf Tonnen Müll rausgetragen", sagt Jakob Dürr. In vielen Schichten lagen Bodenbeläge aufeinander, waren verschiedene Materialien auf die Wände aufgebracht, dazu die obligatorische Abhangdecke. In Eigenarbeit haben Dürr und Aretz alles freigelegt, und sind damit zum Kern der Architektur vorgedrungen. Hier und da war es offenkundig gut, all das zu öffnen, verbarg sich zwischen manchem Aufbau doch Feuchtigkeit, die nun austrocknen konnte, vor allem aber fanden sich zugemauerte ehemalige Wandöffnungen oder Oberlichter in den Decken, die die Räume nun deutlich sprechend erscheinen und von ihrer Geschichte Zeugnis ablegen lassen. Über den Rohbaucharme haben die Architekten die notwendigen Leitungen für Strom, Heizung und dergleichen mehr offen verlegt, alle Kabel etwa in leuchtendem Orange. Dazu kommen Tische, die auf die Freude am Stahlbau schließen lassen, die in diesem Büro gelebt wird. Die Zeitschichten liegen nun offen und ehrlich nebeneinander.
Vom Beichtstuhl bis zum Industriebau
"Meine Eltern haben einen Stahlbaubetrieb, in dem ich schon früh mitgearbeitet habe und wo ich viel über das Material gelernt habe“, so Sven Aretz. Und so sehen die Architekten eine mögliche Antwort auf die vielschichtigen Fragestellungen an das Bauen im Anthropozän in der Reduktion: weniger Fläche und Material, schlankere Profile, dünnere Wandaufbauten, Räume, die sich multifunktional für verschiedene Zwecke bewohnen lassen. Jakob Dürr sagt: "Wir sprechen viel mit unseren Bauherrinnen und Bauherren, fragen nach, ob sie wirklich so viel Fläche brauchen, wie sie denken, und versuchen Überzeugungsarbeit zu leisten." Dabei kommen Erfahrungen zum Tragen, die in anderen Bereichen gewonnen werden konnten: "Wenn wir aus dem Hallenbau von den Eigenschaften eines Materials wissen, warum sollten wir es nicht auch für ein Wohnhaus vorschlagen?" fragt Sven Aretz rhetorisch.
Die Spanne der Arbeiten reicht dabei vom Beichtstuhl bis hin zu mehrgeschossigem Wohnungsbau. Dazwischen finden sich kleine Gartenpavillons, Einfamilienhäuser, wie das vielfach publizierte Haus D in Oberberg bei Gummersbach, oder die jüngst fertiggestellte Produktionshalle in Altenkirchen im Westerwald. Derzeit wird unweit des eigenen Büros ein Wohnhaus aus vorgefertigten Holzmodulen errichtet. Die Parzelle zwischen Jakob- und Josephstraße galt jahrelang als unbebaubar: zu klein, zu nah an den Nachbarn, zu wenig Stellplatzfläche. Aretz Dürr Architekten haben nun eine Reihe von Holzmodulen entworfen, die der Flucht der Nachbargebäude im Westen und Osten streng folgt und damit den Block zum angrenzenden Parkdeck des benachbarten Supermarktes konsequent schließt. Die nach Osten – analog zum Bestand – zweigeschossige und nach Westen dreigeschossig an die Nachbarbebauung anschließenden Holzmodule werden um eine aus schlanken Stahlprofilen gefügte Konstruktion ergänzt, die den sieben Wohnungen als privater Außenraum dient.
Logische Konstruktionen
Sieben Wohnungen zwischen 38 und 90 Quadratmetern Wohnfläche entstehen so. "Leider zu einem Preis, den sich nur wenige Menschen werden leisten können", konstatiert Jakob Dürr. Der Grund sind die Baukosten, die aus den teils absurd anmutenden Auflagen der Stadt resultieren. "Während wir alle von der Verkehrswende sprechen, müssen wir hier neun Stellplätze nachweisen und eben auch bauen", sagt Sven Aretz später kopfschüttelnd auf der Baustelle. Zwei aufwendige Tiefparksysteme wurden deswegen vor dem eigentlichen Haus im Erdboden versenkt. "Auf der einen Seite die Auflagen der Stadt, diese Stellplätze nachweisen zu müssen, auf der anderen Seite der fehlende Wille der später Nutzenden, auf einen eigenen Stellplatz zu verzichten: beides führt, dass Architektur zu solchen Maßnahmen greift und die Baukosten entsprechend durch die Decke gehen", so Aretz weiter.
Während also für die Unterbringung der Autos auf dem Grundstück Technik und Material im Wert eines gehobenen Einfamilienhauses verbuddelt werden mussten, weiß der sichtbare Teil des Gebäudes durch Stringenz in Planung und Ausführung zu überzeugen. Schon bei der Platzierung der Holzmodule auf den betonierten Streifenfundamenten im September dieses Jahres lässt sich die räumliche Wirksamkeit des Neubaus ebenso erahnen, wie die an den anderen realisierten Bauten erprobte Ästhetik. Elegante Konstruktionen, logisch gefügte Bauteile, Stahl, Glas und Holz, häufig gepaart mit Materialien aus dem Industriebau, ergeben ein raumwirksames Zusammenspiel, dem deutlich anzusehen ist, dass die Entwerfenden keinem zeitgenössischen Chic oder mutwilligen Insignien einer vermeintlichen Ökoarchitektur nacheifern, sondern stets das Beste für Nutzende und Umwelt gleichermaßen im Sinn haben. Gute Räume entstehen so, mit einem auf ein Minimum reduzierten Einsatz an Material, logisch konstruiert und im Zweifel demontierbar und damit für etwaige Um- und Neunutzungen anderweitig verwertbar. Geschult auch durch die gemeinsame Arbeit am Lehrstuhl von Hartwig Schneider an der RWTH Aachen, wo sich Jakob Dürr und Sven Aretz kennengelernt haben.
Zurück im Ladenlokal in der Severinstraße stehen wir an der Fensterfront vor den Plänen einer Hauserweiterung, die derzeit in Aachen realisiert wird. Jakob Dürr erzählt die Anekdote eines Besuchers, der zu Beginn des Sommers im Büro stand: "Er hat sich hier umgesehen, auf die Decke gedeutet und gemeint: 'Fertig is dat aber alles nicht – und schön auch nicht.‘" Dürr habe dem Mann dann erklärt, was es mit den Ausbauten auf sich hatte, dass das alles Müll und zum Teil sogar Sondermüll war, dass wir uns all zu oft mit dem generationenübergreifenden Ballast umgeben und dass die Häuser sehr wohl fertig zum Wohnen sind, dabei aber trotzdem noch Aneignungspotenzial mitbringen. Der Mann, so Dürr, sei am nächsten Tag wieder gekommen. Nachgedacht habe er über das, was der Architekt ihm erzählt hatte und dann gesagt: "Hamm se rescht." "So was macht mir Mut", sagt Jakob Dürr lächelnd, "solche Begegnungen machen Spaß." Genau deswegen steht das Büro von Aretz Dürr Architekten BDA so häufig offen. Denn: "Architektur gehört auf die Straße!", wie Sven Aretz lachend zum Abschied sagt.