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Architekturkunde in Museum und Archiv
Von Adeline Seidel | 13.06.2014
Rem Koolhas wandert durch seine "Elements of Architecture". Foto © la Biennale di Venezia

Die Erwartungen an die diesjährige Biennale waren hoch. Rem Koolhaas, der Überarchitekt und skeptische Theoretiker, war vor knapp zwei Jahren zum Generalkommissar der 14. Architekturbiennale von Venedig ernannt worden. Und Koolhaas wäre nicht Koolhaas, hätte er nicht einiges anders machen wollen als seine nicht weniger prominenten Vorgänger Kazuyo Sejima und David Chipperfield. So verlangte er mehr Zeit für die Vorbereitung „seiner“ Biennale, gab ihr den nicht eben bescheidenen Titel „Fundamentals“ und schlug den in Venedig vertretenen Ländern mit „Absorbing Modernity 1914 – 2014“ ein Thema zur Bearbeitung vor. Nicht, dass es auch früher bereits ein übergeordnetes Thema gegeben hätte – „Common Ground“ lautete es anlässlich der 13. Architekturbiennale von Chipperfield, oft aber blieb die thematische Bündelung so vage, dass man allzu vieles darunter einsortieren konnte. Während sich in diesem Jahr die Länderpavillons also „der Moderne“ widmen und die Ausstellung „Monditalia“ die italienischen Verhältnisse untersucht, seziert Koolhaas in „Elements of Architecture“ in Zusammenarbeit mit der Harvard University Graduate School of Design die Architektur.

Die abgehängte Decke wirkt wie ein Raumschiff. Fotos © la Biennale di Venezia (rechts), Robert Volhard, Stylepark (links)

Splattermovie der Architekturelemente

In großen schwarzen Lettern hat Koolhaas an der Fassade des Padiglione Centrale das weiße „La Biennale“ mit dem Titel seiner Schau überschrieben: „Elements of Architecture“. Schon hier wird erkennbar: Koolhaas arbeitet gern mit großen Buchstaben, ob in seinen Büchern oder wie einst in seiner Ausstellung „Content“ in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Und groß und mächtig tritt auch die erste Installation der Schau auf. Eine profane, abgehängte Decke schiebt sich unter die hohe Kuppel mit einem Deckengemälde von Galileo Chini. Der Blick fällt auf allerlei Lüftungs- und Versorgungsrohre. Fast scheint es, als wäre ein Raumschiff gelandet – und zugleich wird deutlich, was heutzutage an Technik tagtäglich so alles über unseren Köpfen schwebt. Eben keine bemalte, hohe Kuppel. Was technisch sinnvoll und effizient erscheint, ästhetisch ist es banal. Ein gelungener Auftakt.

Jede Menge Zitate und Texte zieren die Wand im zentralen Raum. Foto © Adeline Seidel, Stylepark

Im darauffolgenden Raum wird, unterfüttert von jeder Menge auf die Wand geschriebenen, bedenkenswerten Zitaten zur Architektur und deren Funktion, ein Film gezeigt. Noch ist man bereit dazu, sich dafür Zeit zu nehmen. Erst hinterher wird einem bewusst: Der Film, eine Montage aus jeder Menge Film-Sequenzen, steht sinnbildlich für das, was diese Ausstellung behandelt. Was wir wahrnehmen, ist nicht das große Ganze, es sind einzelne Momente, thematisch zu Gruppen geordnete Schnipsel, die allein durch ihre große Zahl ein breites Spektrum suggerieren. Ist, wie es der Film unterstellt, die Toilette wirklich der Ort, an dem viele Geschichten eine Wendung nehmen, sei es, dass sich der Protagonist durch den Blick in einen Spiegel verändert oder sei es, dass er seinen Widersacher erkennt und diesen kalt macht? Auch Drogen werden immer wieder gern im WC heruntergespült. An diesem intimen Ort werden Geheimnisse verhandelt und nicht selten schlüpft hier jemand durch einen Kleidungswechsel in eine neue Rolle. Der Film ist ein großer Spaß.

Architekturkundemuseum

Im Grunde ist es vollkommen gleich, welchen Weg man einschlägt, um die „Elemente“ zu erkunden. Koolhaas’ Ausstellung folgt der Logik eines Naturkunde- oder Technikmuseums, wobei er es immer wieder schafft, nicht nur das Übliche, sondern auch Kuriositäten zu einzelnen Elementen aufzubieten. Da ist beispielsweise der von Stephan Trüby kuratierte Raum, der sich dem Thema des Korridors widmet. Man wandelt durch enge Flure, fühlt sich befangen und möchte zwischen den Wänden nicht allzu viel Zeit verbringen. Die Fotografien „Raumfolgen“ von Walter Niedermayr zeigen lange, monotone Gänge und verstärken das beklemmende Gefühl noch. Nur wer sich diesem Gefühl widersetzen kann und tiefer in die Flure vordringt, entdeckt wunderbare Zeichnungen. Etwa jene des „Donggwol-do“ aus dem frühen 19. Jahrhundert, die aus der Vogelperspektive die beiden Paläste Changdeokgung und Changgyeonggung in Korea zeigt, eine aus vielen Pavillons bestehende Anlage, die durch überdachte Wege miteinander verbunden sind und in denen die Landschaft als schützenswerter Raum inszeniert wird.

Die Zeichnungen aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigt „Donggwol-do“. Abbildung © unbekannt

Gleich nebenan steht man staunend vor der „Brooking National Collection“, einer Sammlung, die mehr als 5.000 Fenster umfasst. Fenster in unterschiedlichen Formen, Formaten und Ausführungen, die der Sammler Charles Brooking voller Leidenschaft erläutert, hängen an der Wand wie Bilder in einer Galerie. Man ist, das muss man zugeben, begeistert von der Vielfalt der Fenster. Das hat man so noch nie so gesehen. Fenster mit und ohne Sprossen, gerundet und verziert, mal gotisch, mal nüchtern. Doch wozu das Ganze? Sind die Fensterfronten moderner Gebäude etwa kein Gewinn? Der Blick fällt auf eine Maschine, die Fenster auf ihre Qualität testet. Nein, großzügige Fensterfronten sind nicht die Regel. Es sind die Testfenster in der Maschine, die man immer und überall sieht: Fenster aus weißen Kunststoffprofilen. Schnell wendet man den Blick wieder in Richtung „Brooking Collection“ und spürt, wie eine neue Leidenschaft für Fenster und deren Verschiedenheit in einem wächst.

Ein Gegenüber der Kontraste: Moderne Effizienz rechts – repräsentiert durch die Fensterprüfmaschine – und Hingabe zum Detail, daß vermittelt die "Brooking Collection".
Fotos © la Biennale di Venezia

Standard ist bequem

Eines verdeutlicht „Elements of Architecture“ besonders stark: Wie sehr Standardisierung, Massenproduktion, Risikovermeidung und der Wunsch nach Komfort die Architektur verändert haben. Auch in dem der Tür gewidmeten Raum wird das offenbar, wobei Begriffe wie Eingang oder Zugang fast passender wären. Plötzlich wirkt eine einfache Tür, wie sie überall verbaut wird, banal im Vergleich zu den historischen, hohen und aufwendigen Eingängen aus Indien, China und Italien. Wobei der Vergleich hinkt, stellt Koolhaas die „Allerweltstür“ doch herrschaftlichen Eingängen gegenüber, als würde er Äpfel mit Birnen vergleichen. Auch die Gegenüberstellung von Burg Hochosterwitz und der Sicherheitsschleuse eines Flughafens soll veranschaulichen, wie Zugänge heute gestaltet werden. Um das Schloss zu erreichen, musste man 14 Tore durchwandern. Was für eine Anlage! Ein Flughafen mit all seinen Scannern, Detektoren und Schleusen wirkt dagegen naturgemäß uninspiriert.

Im "Tür"-Raum vergleicht Koolhaas Äpfel mit Birnen. Foto © Robert Volhard, Stylepark

Hilfe, das Feuer verfolgt mich!

Ähnliches ließe sich über den WC-Raum sagen. Die Entwicklung der Kloschüssel wird zwar anschaulich vorgeführt, aber mal ehrlich: Das WC allein macht noch kein Klo. Der Fokus auf die Schüssel zeigt eben nicht, dass im Römischen Reich die Latrine ein Ort des, im wahrsten Sinne des Wortes, „kleinen Geschäfts“ war und heute oft und gerne auch als Lese- und Ruheraum verwendet wird.

Im „Feuerstellen-Raum“ ist der heimelige Kamin in der Mitte platziert, zwei Sofas davor. Natürlich lässt man sich hier gerne nieder. Gleich rechts davon aber nervt die Installation „Local Warming“ des MIT SENSEable Lab. Hier folgt die Wärmequelle den Menschen mit Hilfe von Sensoren, die dessen Bewegung verfolgen. Weshalb? Die optimale Wärme soll direkt beim Nutzer sein, dort wo sie gebraucht wird. Nie wieder Energieverschwendung und sinnlos aufgeheizte Räume. Gerade der finanzielle Unterstützer des Raumes, das Unternehmen „Nest“, das jüngst von Google aufgekauft wurde, lässt einem einen kalten Schauer über den Rücken laufen: Google weiß also nicht nur, wie warm man es in einem Raum gerne hat, sondern auch, wo man sich im Raum befindet. Spätestens dann, wenn man das begriffen hat, möchte man der Gebäudeautomation einen ordentlichen Tritt versetzen.

Big-Data im Haus: Installation „Local Warming“ des MIT SENSEable Lab. Fotos © la Biennale di Venezia

Oberlehrer Koolhaas

So oder ähnlich treibt man stundenlang zwischen irgendwelchen Elementen dahin, findet hier eine Kuriosität und schaut dort einen Film. Es gibt nicht nur viel zu sehen, sondern auch viel zu lesen. Die Exponate werden ergänzt durch Diagramme, Texte und Zeichnungen, auf die Wände tapezierte Auszüge aus dem Katalog. Zugleich vermitteln diese „Packungsbeilagen“ den Anschein von Vollständigkeit. Wen es interessiert, dem sei geraten, gleich die 900 Seiten umfassende Ausgabe der „Elements of Architecture“ zu kaufen. Sicher ein Buch, das bald in jedem Architekturbüro zu finden sein wird und wohl das erste, das sich ein Architekturstudent zulegt, noch bevor er sich den „Neufert“ kauft.

Kurzum: Die Ausstellung ist sehr didaktisch. Eine Belehrung, aber keine Aufklärung oder Auseinandersetzung mit den Elementen der Architektur im Gesamtzusammenhang. Koolhaas seziert die Architektur ohne sie wieder zusammenzusetzen. Dabei liegt gerade hier ein interessanter Aspekt verborgen. Was früher ein „Element“ war – das Feuer in der Höhle war zugleich Wärmequelle und Herd –, ist heute ein Baukasten voller Systeme und Teile. Die technikverliebte Baubranche hat den Fokus auf Entwicklungen gelegt, die weniger von Fragen der Gestaltung als von solchen nach Effizienz getrieben sind. Wie sich das auf die Architektur auswirkt, bleibt im Dunkeln.

Das Diagramm zeigt anschaulich: Die Komplexität der Dinge ist gestiegen. Was früher ein Element war, ist heute ein aus unterschiedlichen Teilen zusammengesetzt.
Foto © la Biennale di Venezia

Spurensuche

Ernüchtert verlässt man Rem Koolhaas’ Architekturkundemuseum. Wie sind die einzelnen Länderpavillons mit dem Thema „Absorbing Modernity 1914 – 2014“ umgegangen? Hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht? Fleißig, soviel sei vorweggenommen, waren sie alle. Da sind zum einen die akribischen „Archivaufarbeiter“, wie beispielsweise die Niederländer, die ihre Schau Jaap Bakema (1914 bis 1981) widmen, mit Zeichnungen, Modellen, Filmen, Korrespondenzen und Schriften des Architekten, der Wohnhäuser und Siedlungen für eine „offene Gesellschaft“ entwarf. Gleichzeitig verdeutlich die Schau, wie Bakema mit Hilfe der Darstellung die Massentauglichkeit dieser Architektur vorangetrieben hat: Zeichnungen von einer Frau, die entspannt im Bett liegt, Menschen im Café, ein Schwätzchen zwischen Nachbarn – die modernen Bauten stets im Hintergrund. Kein Prospekt heutiger Immobilienentwickler vermag so viel vage Traumvorstellung und Gemeinschaftlichkeit zu vermitteln. In Bakemas Marketing erkennt man eine Offenheit und ein untrügliches Vertrauen in die Zukunft.

Jaap Bakemas Zeichnungen strahlen ein tiefes Vertrauen in die Zukunft aus. Foto © Adeline Seidel, Stylepark

Unter dem Titel „Modernity – loved, hated or ignored“ widmen sich die Luxemburger Kuratoren der Moderne in ihrem Land. Ihre Recherche hat die Form einer Kriminalgeschichte. Fünf „Investigationen“ erkunden fünf Projekte an fünf Orten. Die Ergebnisse werden auf Wänden präsentiert, wie man sie von Fernseh-Kommissaren kennt, die Beweise, Indizien und Informationen sammeln, um einen Fall zu klären. Die Kuratoren sind auf der Suche nach den modernistischen Ideen und Gebäuden, die in den letzten Jahrzehnten adaptiert und überschrieben wurden. Beispielsweise die Villa Kutter, das erste nach Vorstellungen der Moderne gebaute Haus des Landes. Ein Foto zeigt ein Gebäude, das nach zahlreichen Umbaumaßnahmen aussieht wie jedes andere Vorstadthäuschen – inklusive Satteldach. Ergänzende Fotomontagen veranschaulichen, wie das Gebäude geplant war und in welcher Form es tatsächlich gebaut wurde. Wo die Gründe dafür liegen, erklären Notizen an der Wand. Dass man leicht paranoid werden kann, wenn man den Spuren der Moderne folgt, das erzählt die Kuratorin Sophie Langevin. Ein paar Namen, so erklärt sie, würden bei allen Projekten immer wieder auftauchen. Sind es eine Handvoll Männer im Hintergrund, die in Luxemburg die Moderne geformt haben?

Luxembourg spielt Detektiv und baut die Ausstellung wie eine Investigation auf. Foto © la Biennale di Venezia

Fleißarbeit im CAD

Akribische Archivarbeit haben viele Länderpavillons erledigt – England, Frankreich, Mexiko, Uruguay. Das fördert immer wieder Erstaunliches zu Tage, beleuchtet die Moderne aus einer politischen, ökonomischen und soziologischen Perspektive. Chile, Gewinner des Silbernen Löwen für den besten Pavillon, zeigt nur zu deutlich, welchen Einfluss die Sowjetunion und ihre Massenfabrikation auf den Staat hatte – und wie die moderne Architektur hierfür ideologisch aufgeladen wurde. All diese begehbaren Geschichtsbücher und Archive sind in ihrer Fülle ein harter Brocken für den Besucher: So viel kann man gar nicht aufnehmen und verarbeiten.

Geistige Entspannung findet der Besucher hingegen in Pavillons, die sich zwar mit der Moderne beschäftigen, aber anders in die Geschichte eintauchen. Etwa im österreichischen und im serbischen Pavillon – um nur zwei zu nennen. Der österreichische „Kommissär“ Christian Kühne hat Modelle von 196 nationalen Parlamenten im Maßstab 1:500 bauen lassen. Alphabetisch im Raster auf der Wand angeordnet, offenbaren sie eine Vielfalt an Formen. Ein schönes Spiel, bei dem jeder Größenunterschied und jedes Formengewitter erfreuen. Doch so aus dem Kontext von Material und Umgebung gerissen, nimmt man nicht viel Wissen mit. Im serbischen Pavillon geht man ähnlich vor. Hier sind es Grundrisse, Isometrien und Ansichten von Gebäuden aus den vergangenen 100 Jahren. Ein Fest für Architektenaugen. Wobei man vor allem darüber staunt, wie viele historisierende Gebäude noch während der ersten „Welle“ der Moderne gebaut wurden – und fotografiert den einen oder anderen Sonderling.

Für den serbischen Pavillon wurde fleißig gezeichnet. Foto © Adeline Seidel, Stylepark

Moderne, inszeniert

Neben fleißigen Zeichnern und akribischen Archivarbeitern gibt es noch jene Länderpavillons, die das Thema „Absorbing Modernity“ in großem Maßstab inszenieren. Ein solches Konzept verfolgen die Kuratoren des deutschen Pavillons, Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer, indem sie einen Teil des Bonner Kanzlerbungalows von Sep Ruf aus dem Jahr 1964 in den Länderpavillon eingebaut haben. Plötzlich steht man zwischen Klinkerwänden mit geringer Deckenhöhe. Vor dem Pavillon wurde die gepanzerte Kanzler-Limousine aufgestellt, der rote Teppich ausgerollt und im Eingang schwebt hinter den monumentalen Säulen neckisch ein Teil des Bungalowvordachs. Indes, ohne genau zu wissen, welche Rolle der Bungalow in Deutschland einst spielte, ist es schwer, die Installation zu verstehen.

Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer haben einen Teil des Bonner Kanzlerbungalows den Länderpavillon eingebaut. Foto © CLA

Symbolisch aufgeladen ist auch der polnische Pavillon. Beim Betreten des hellen Raums zieht ein Grabmal alle Aufmerksamkeit auf sich. Dessen Dach scheint wie von Geisterhand zu schweben; fast mystisch wirken die Zeichnungen an der Wand. „Impossible Objects“ ist der Titel der Schau. Architektur, so die Kuratoren, habe die Kraft, das Unerreichbare zu überwinden, Mythen zu bauen und die Realität zu verhüllen. Also zeigen sie den Eingang zur Krypta von Józef Klemens Piłsudski, dem nach dem Kampf für die Unabhängigkeit Polens vom Habsburger Reich 1918 kurzeitig die Führung des polnischen Staates übertragen wurde. Piłsudski steht für den Beginn eines modernen Polen. Sein Grab aber ist so gar nicht modern, sondern aus Kriegsbeute gebaut, um den Triumph der Nation über die drei Nachbarstaaten zu symbolisieren: Aus Russland und der abgerissenen St. Alexander-Newski-Kirche stammen die Säulen, aus Preußen die Granitelemente, die Teile des Sockels der Otto-von-Bismarck-Statue in Poznań waren, aus Österreich die aus eingeschmolzenen Kanonen gegossenen Bronze-Elemente. Dem Grabmonument fügen die Kuratoren noch ein wenig Loos und Giedion – über den Sinn und Zweck von Monumenten – hinzu und lassen das Dach scheinbar schweben. Das Grab wirkt tonnenschwer, ist aber aus Plastik. Die Moderne ein Mythos und ein Instrument der Macht.

Nur Plastik: Das mystische Grab von Józef Klemens Piłsudski im polnischen Pavillon. Foto © Wojciech Wilczyk

Die Belgier hingegen pfeifen auf überladene Symbolik und Archiv und werden wieder einmal ihrem Ruf gerecht, wahre Könner zu sein, wenn es darum geht, Architektur wie Kunst zu präsentieren. Ihre Schau „Interiors. Notes and Figures“ ist sinnlich, das Gezeigte subtil mit dem Pavillon verwoben. Sie zeigen eine Collage aus Inneneinrichtungen, die exemplarisch für den Prozess der Anpassung und Überformung stehen, der hinter der Fassade stattfindet. Jene Maßnahmen, die Bewohner vornehmen, um den Raum ihren Bedürfnissen anzupassen. Dabei stellen die Kuratoren nicht nur die jeweiligen Maßnahmen aus, sie verändern auch den Pavillon selbst. Die Eingangstür ist statt vier, nur die üblichen zwei Meter hoch, was man zunächst nicht bemerkt – schließlich gehören zwei Meter lichte Höhe in der Tür für jedermann zum Alltag.

Im belgischen Pavillon wird eine Collage aus Inneneinrichtungen gezeigt, die exemplarisch für den Prozess der Anpassung und Überformung stehen, der hinter der Fassade stattfindet.
Foto © la Biennale di Venezia

Biennale der Ernsthaftigkeit

Nach 66 Länderpavillons ist man sich sicher: Eine einzige, einheitliche Moderne hat es nie gegeben. Man hatte es fast geahnt. Hinzu kommt: Man findet kaum einen Pavillon, aus dem man nicht etwas für seinen persönlichen Wissensfundus ziehen kann, in dem man etwas Erstaunliches entdeckt hat, das man nie zuvor gesehen hatte – in keinem Buch und in keiner Ausstellung. Dennoch bleibt es überraschend für eine Architekturbiennale, wie wenig über Architektur als Architektur diskutiert wird, und wie viel über Architektur als Ideologie. Nur der marokkanische und der italienische Pavillon wagen einen Blick auf aktuelle Architekturprojekte, was im Kontext dieser Biennale fast schon befremdlich.


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