Architektur und Wein
Für die Architektur von Weingütern begann das 21. Jahrhundert exakt im Jahr 1997 im Napa Valley, Kalifornien. Das Tal hatte sich dank eines mediterran-milden Klimas schon mit den ersten europäischen Siedlern im 19. Jahrhundert rasch zum Zentrum der Weinproduktion im "Neuen Westen" entwickelt. Die Cabernets, Zinfandels und Chardonnays aus dem Napa Valley werden bis heute zu den weltbesten Weinen gezählt. Architektonisch jedoch hinkte das Tal dem Ruf seiner fortschrittlichen Weine lange Zeit hinterher; der "Napa Valley Style" bestand vor allem aus pittoresken, schlossartigen Landsitzen oder burghaften Häusern aus schweren Bruchsteinen. Diese sollten wohl Erinnerungen an die europäischen Heimaten der Siedlerfamilien hervorrufen, während im Inneren immer modernere Anlagen die Produktion übernahmen. Das war in etwa so, als würde man einen Edelstahltank immer noch in ein altes Eichenfass zwingen, um das äußere Bild zu wahren. Seinen Höhepunkt fand diese Entwicklung mit der Ankunft der Postmoderne im Tal: 1984 hatte das Weingut Clos Pegase mit dem San Francisco Museum of Modern Art einen internationalen Architekturwettbewerb ausgeschrieben, an dem 96 Büros teilnahmen. Gewinnen konnte der berühmte New Yorker Postmodernist Michael Graves, der bis 1987 eine fröhliche, farben- und formendurchtränkte Mischung aus Tempel und Ranch errichten ließ, wie sie das Valley noch nicht gesehen hatte. Er löste damit einen kleinen Boom aus, als benachbarte Weinbauern dieses postmoderne Meisterwerk zu übertrumpfen suchten, wie etwa die kolonnadengesäumte Opus One Winery (Architekt: Scott Johnson, 1990) oder die märchenhaft verzwirbelte Quixote Winery (mit der unverkennbaren signature architecture eines Friedensreich Hundertwasser, 1998).
Dominus Winery: Ein Riegel gegen die Postmoderne
Diese Landschaft aus Schlössern, Landhäusern und postmodernen Fabelwesen fanden die beiden Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron vor, als sie 1995 im Auftrag der Dominus Winery ins Napa Valley kamen. Und setzten der Entwicklung ein Ende, indem sie einen gänzlich anderen Weg vorschlugen. Mit Blick auf die typischen Steinscheunen im Tal entwarfen sie eine schlichte, dunkelgraue Schachtel, 136 Meter lang, 24 breit und acht Meter hoch. Diesen zweigeschossigen Quader fügten sie exakt ins orthogonale Nord-Süd-Raster der Rebzeilen, und gaben ihm zwei große Durchfahrten, wo die Querstraßen für die großen Erntefahrzeuge hindurchführen. Im Inneren ist die Schachtel funktional bestens als hochmoderne Produktionsstraße in drei Abschnitten organisiert: An einem Ende werden die Trauben angeliefert, am anderen Ende wird der Wein gelagert, verpackt und verkauft. Als äußere Hülle sind schlichte Drahtgitterkörbe übereinandergestapelt, gefüllt mit groben Bruchsteinen aus graugrünem Basalt – dem regionaltypischen Stein aus einem nahen Canyon. Das wirkt aus der Ferne wie eine schmucklose Feldmauer, bietet aber im Inneren gleichzeitig beste Aufenthalts- und Arbeitsqualitäten. 1997 wurde die Dominus Winery fertig und gilt seitdem als Meilenstein der Weinarchitektur, der die Entwicklung neuer Weingüter auf der ganzen Welt in den letzten 20 Jahren erheblich beeinflusst hat.
Zunächst gabelte sich die Entwicklung neuer Weinarchitektur in zwei Wege. Auf dem einen marschierten jene Winzer, die ihren Weingütern immer noch ein möglichst spektakuläres Äußeres geben wollten und damit auf mehr Aufmerksamkeit für ihre Produkte hofften. So waren die 2000er-Jahre noch einmal Goldene Jahre für die globalen Stararchitekten: Mario Botta, Steven Holl, Christian Portzamparc, Jean Nouvel, Santiago Calatrava und Richard Rogers bauten Weingüter in Frankreich, Italien und Österreich; als Hi-Tech-Schalenform, als dreiarmigen Stern in Corten-Stahl, als große Welle, als runde, schräg abgeschnittene Weinrebe oder als abstrakter Quader mit einer knallrot spiegelnden Metallfassade. Auch diese waren im Inneren bestens organisiert, hofften aber im Schatten des "Bilbao-Effekts" vor allem auf eine vordere Platzierung auf den "Must visit"-Listen der Reiseanbieter und Weinmagazine. Diesem Trend setzte das Weingut Château La Coste in der Provence die Spitze auf: Ab 2004 ergänzte es seine Weinberge schrittweise mit einem Open-Air-Park für zeitgenössische Kunst und Architektur, in dem sich Pavillons von Tadao Ando, Kengo Kuma, Frank Gehry oder Renzo Piano sowie Kunstwerke von Louise Bourgeois, Jenny Holzer, Richard Serra und Ai Weiwei entdecken lassen. Im weinguteigenen Hotel und Spa kann man für ein stolzes Sümmchen übernachten, denn ein Tag reicht kaum aus. Der Wein am Abend gerät dabei schon fast zur Nebensache.
In diesem Sinne können die Weingüter, die sich stärker am Vorbild von Herzog & de Meurons Dominus Winery orientierten, durchaus als Gegenbewegung einer "Neuen Bescheidenheit" gelesen werden. Denn bis in die 2010er-Jahre hinein läuft der Wettkampf der besonders spektakulären Weingüter langsam aus. Statt Spektakel wird nun auf Scheune gesetzt. Dafür werden immer öfter junge, lokale Architekten engagiert und neben den Bedingungen der Produktion erfüllen die Gebäude auch immer höhere Ansprüche an eine nachhaltige Gebäudetechnik mit Solarenergie, Regenwassernutzung und natürlicher Belüftung der Anlagen und Arbeitsplätze. Das passt glücklicherweise zu dem immer größeren Interesse der Winzer, sich und ihre Weinmarke als ökologisch besonders vorbildlich, so erd- wie naturverbunden zu präsentieren. Ein spektakuläres, den Weinberg dominierendes Haus passt da nicht so gut ins Bild. Und so eint die jüngst entstandenen Weingüter rund um den Globus bei allen Unterschieden vor allem eine bemerkenswerte architektonische Ruhe und Gelassenheit – und ihre Bezugnahme auf traditionelle Typologien und lokales Handwerk.
Zwei Weinscheunen von Ludescher + Lutz
Gleich zwei Paradebeispiele dafür konnten die Bregenzer Architekten Elmar Ludescher und Philip Lutz in Österreich und Deutschland bauen: Das erste Weingut liegt in der hügeligen Weltkulturerbelandschaft der Wachau in Österreich. Der Neubau ist ein Anbau, der sich in Farbe, Form und Materialwahl deutlich am alten Hof orientiert. Ohne große Geste steht die Produktionshalle an der Landstraße und schirmt so einen neuen Innenhof ab, der direkt auf die hinter dem Hof ansteigenden Weinberge blickt. An diesem steht der zweite Arm des Neubaus, in dem drinnen oder draußen der Wein verkostet wird. Das zweite Weingut steht in deutlich exponierterer Lage über den Weinbergen am Nordufer des Bodensees, nach Süden bietet sich ein grandioser Weitblick auf den See und die Berge. Der Neubau wirkt wie eine schlichte, allerdings sehr große Scheune. Nach Süden öffnet sich das Gebäude mit Glasfassade und Besuchergarten und über zwei Freitreppen führt der Weg hinauf zum Probierraum unter dem schweren Dach. Man fühlt sich ein wenig wie auf einem Heuboden, die Glasfassade nach Süden versteckt sich hinter vertikalen Holzlamellen, die auch vor zu viel Sonneneinstrahlung schützen, sich aber vor allem abends mit zwei großen Fensterläden großzügig öffnen lässt.
Neue Weinscheunen in USA und Kanada
Dazu passen zwei neue Weingüter in Nordamerika. In Oregon – gar nicht so weit nördlich des Napa Valley – eröffneten 2018 die renovierten und vergrößerten Furioso Vineyards. Das Büro von Ben Waechter aus dem nahen Portland hat die bestehenden Gebäude zu einem einzigen, großen Haus verbunden und mit einer einheitlichen Fassade aus geschwärztem Fichtenholz umfasst. Was vorher ein ziemlich uneinheitliches Konglomerat unterschiedlicher Gebäude war, ist nun ein langes Haus mit zweigeteiltem Satteldach, das exakt wie eine schwarze Scheune mit großer Durchfahrt für die landwirtschaftlichen Maschinen wirkt – nicht unähnlich dem Vorbild der Dominus Winery von Herzog & de Meuron. Auch hier ist die Produktion linear sortiert und am südlichen Ende findet sich ein auf drei Seiten verglaster Raum, in dem Veranstaltungen und Verkostungen mit Rundumblick auf die Weinfelder stattfinden.
Noch 500 Kilometer weiter nördlich, im kanadischen Kelowna, haben Olson Kundig Architects 2016 einen bemerkenswerten Neubau für die Martin’s Lane Winery mitten in die Weinberge gesetzt, die hier steil zum Okanagansee abfallen. Auch diese einfache Großform orientiert sich eindeutig an landwirtschaftlichen Vorbildern, allerdings mit zwei Unterschieden: das Haus ist eine Stahlkonstruktion mit einer Fassade und Dach aus Wellblech, das bereits eine deutliche, warmbraune Patina angesetzt hat. Zweitens ist das Haus zweigeteilt: Die Produktionsstraße folgt der Topographie bergab, so kann die Produktion beispielsweise bei der Fermentierung und Sedimentierung die natürliche Schwerkraft ideal ausnutzen. Quer zur Produktionsstraße liegt das Besucherzentrum mit einem schönen Ausblick auf den See – und bis zum Weingut Mission Hill am anderen Ufer, das im Jahr 2000 ebenfalls von Olson Kundig entworfen wurde. Diese Gegenüberstellung ist auch architektonisch interessant, da das ältere Weingut noch als Landschloß mit kräftigen Rundbögen, Säulengängen, Tonnendächern und sogar einem hohen Campanile sehr stark einer postmodernen Traditionssprache verhaftet ist, während der 16 Jahre jüngere Entwurf sich ganz der neuen, funktionalen und ästhetisch deutlich ruhigeren Linie verschrieben hat.
Bei Barcelona: Weinkeller mit Meerblick
Gute anderthalb Autostunden nördlich Barcelonas liegt das kleine, traditionsreiche Weingut Mont-Ras. An den historischen Hof sollten die Architekten Jorge Vidal und Victor Rahola aus dem nahen Girona einen modernen Keller anfügen. Sie schoben ihn als einfachen Quader aus sichtbaren, großen und günstigen Backsteinen einfach in den Hang, allerdings verstecken sie ihn nicht: die Umrisse der Dachkante bleiben vollständig sichtbar, darauf ist ein Garten am alten Wohnhaus entstanden. Nach Süden hingegen tritt eine Fassade des Kellers komplett ans Tageslicht. Hier sind die Bezüge zu landwirtschaftlichen Gebäuden am Deutlichsten, nicht nur in der Sprache der einfachen Materialien – Holz, Backstein, Beton – sondern vor allem durch vier großen Schiebetore, mit denen der Keller sich ganz öffnen lässt. Die Tore bilden die Endpunkte der vier Tonnengewölbe, die das Innere gliedern von der Produktion über die Lagerung bis zum Gewölbe für die Bewirtung der Gäste und den Weinverkauf mit Blick weit über das Meer.
Italien, Tschechei und zurück ins Napa Valley
Ist die Spektakelarchitektur der Weingüter also ganz zu einem Ende gekommen? Nun, nicht so ganz. Sie hat allerdings deutlich sanftere Züge entwickelt. Das zeigt zum Beispiel die Erweiterung des Weinkellers am Hotel Pacherhof bei Brixen in Norditalien. Hier haben die beiden lokalen Architekten Michaela Wolf und Gerd Bergmeister einen historischen Säulenkeller aus dem Jahr 1450 saniert und um 590 Quadratmeter vergrößert. Hier stehen die Edelstahltanks, Trauben können am neuen Eingang angeliefert und von dort in die Keller gebracht und verarbeitet werden. Über einem großen Schiebetor am Parkplatz formt dieser neue Eingang einen gezackten, mit Bronzeplatten verkleideten Turm. Das könnte fast ein dominantes Spektakel sein – aber dann sind die Dimensionen dafür zu bescheiden, die Farben zu dezent und die Formen angesichts der umliegenden Berge viel zu vertraut. Bergmeisterwolf haben es geschafft, hier ein ganz und gar vertrautes und daher unauffälliges Spektakel zu schaffen. Die nächste Station unserer kleinen Weintour um die Welt führt uns in den Süden der Tschechei.
Dicht an der Grenze zu Österreich hat das tschechische Büro Chybík + Krištof einen Neubau für das Weingut Lahofer errichtet, der Spektakel und Scheune geschickt verbindet. Zwei schlichte, ineinander geschobene Quader bieten Platz für die Produktion, es sind Hallen aus einfachen Stahlbetonrahmen und Auswaschungen, die Fassade zwischen den Betonpfeilern besteht aus horizontalen Holzlatten. Die Quader sind innen so schlicht und funktional wie außen. Nach Süden aber liegt ein unterirdischer Weinkeller, über dem das Gebäude eine Welle aus Beton formt, die über einer sehr hohen Glasfassade zum Halten kommt. Hier liegen Restaurant, Veranstaltungsraum und die Büros, die hohen Betonbögen beziehen sich exakt auf das strenge Raster der Rebreihen draußen vor dem Fenster. Auf ihrem Rücken trägt die grandiose Welle eine Aussichtsplattform, deren Stufen bei Veranstaltungen als Amphitheater genutzt werden. Die eigentlich spektakuläre Form dieses Weinguts ist so detailliert ausgearbeitet und bleibt farblich so unauffällig, dass sie beinahe funktional wirkt.
Zum Abschluss blicken wir nach Sonoma, in das westlich gelegene Nachbartal des Napa Valley. Im Herzen des Tals haben Piechota Architecture aus San Francisco 2018 für die Silver Oak Winery mehrere Neubauten für die Produktion, die Büros sowie Veranstaltungs- und Gasträume nebeneinandergestellt. Der Architekt Daniel Piechota bringt es auf den Punkt: "Die äußere Form orientiert sich an den Scheunen in der Gegend und reduziert diese auf eine überdeutliche Klarheit." Die eindeutige Lesbarkeit wird in der Duplikation sogar noch gesteigert. "Auf dem Weg zum Gebäude entfaltet sich die Landschaft und darin das Gebäude als Ästhetik, als Rhythmus mit bestimmten Synkopen." Zukunftsweisend sind aber vor allem die nachhaltigen Aspekte des Gebäudes: Weite Teile der Fassaden, der Treppen und Sitzgelegenheiten konnten mit recyceltem Holz gestaltet werden. Ein benachbartes Weingut hatte bis zu 100 Jahre alte Weinfässer ausgemustert, daher trägt das Holz bei Silver Oak hier und dort stolz Rotweinflecken oder Einstichlöcher. Durch große Schiebewände lassen sich bestimmte Räume fast vollständig öffnen, was sowohl den Produktionsabläufen als auch der Klimatisierung hilft. Ein weites Dach zwischen zwei Gebäuden überdacht und beschattet einen Outdoor-Arbeitsplatz. Und weil Wasser in Kaliforniens Weinbergen ein besonders wertvolles Gut ist, legten die Landschaftsplaner von Munden Fry ein System aus Wasserbecken um die Gebäude, in denen das Regenwasser aufgefangen und stufenweise gefiltert wird, sodass diese Scheunen ihren gesamten Bedarf fast vollständig aus Regenwasser decken können. Das Gebäude bekam vom US Green Building Council mit der Platin-Plakette für "Leadership in Energy and Environmental Design" die höchste Auszeichnung. Besichtigt man diese Weingüter, man bekommt den Eindruck, dass die Weinarchitektur für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts gut gerüstet ist.