Wie ein Baum
Am 20. Juni hat Francis Kéré den neuen Serpentine Pavillon in den Kensington Gardens in London enthüllt. Jedes Jahr lädt die Galerie einen Architekten ein, der ein temporäres Bauwerk vor dem historischen Gebäude der Galerie errichten darf. Dieser spektakuläre Ort wird dann für Diskussionen, Debatten, Partys und Veranstaltungen genutzt. Die einzige Bedingung ist, dass das ausgewählte Architekturbüro bislang noch kein Gebäude in Großbritannien gebaut hat, so dass jeder Pavillon ein "britisches Debüt" ist. Kéré ist der siebzehnte Architekt, dem die Ehre zuteilwurde. Er reiht sich in eine Reihe mit Rem Koolhaas, Peter Eisenman, Frank Gehry, Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Toyo Ito und Herzog & de Meuron ein.
Francis Kéré ist in Burkina Faso geboren und hat in Berlin Architektur studiert, wo sich auch sein Büro befindet. Er ist der erste afrikanische Architekt, der eine Einladung für die Gestaltung des Pavillons erhalten hat. Inspiriert hat ihn seine Kindheit in einer wasserarmen Wüstenlandschaft, daher erinnert sein Entwurf an einen großen Baum, mit ausladenden Ästen. "In Burkina Faso", so erzählt er auf der Pressekonferenz, "ist der Baum der Ort, an dem die Menschen zusammenkommen." Der temporäre Bau soll die "Besucher auf interaktive Weise mit der Natur und miteinander verbinden".
Durch die semitransparente, durchbrochene Konstruktion fällt Sonnenlicht in das Innere und stiftet so ein "Gefühl von Freiheit und Gemeinschaft". Kérés Pavillon ist trotz des architektonischen Klischees (und der echten Bäume drum herum) ausgesprochen schön ausgeführt und farbenreich. Aus dem Inneren eröffnen sich hinter dem in einem leuchtenden Blauton gehaltenen Holz flüchtige Blicke auf den Park. "Wenn man nach oben schaut ändert sich das Licht fortwährend. Vielleicht ist das ein bisschen naiv, aber wir wollten, dass die Besucher sich mit der Natur verbunden fühlen und die Bäume noch sehen".
"Ich wollte mich und meine Architektur in Blau präsentieren. In meiner Kultur ist Blau eine wichtige Farbe. Junge Männer, die sich ihren Lebenstraum verwirklichen möchten, tragen zum ersten Mal ihre besten Kleider. Sie sind indigoblau und wenn sie sich dann dem Haus ihrer Träume nähern, sehen alle wie adrett sie gekleidet sind. Ein Konkurrenzgefühl gibt es da nicht." Vor dem Hintergrund dieser Erzählung hat Kéré die Stahlkonstruktion in der Mitte mit vier geschwungenen Wänden aus indigoblauem Holz umgeben, einem "natürlichen Material, das auf eine schlichte Weise sehr ansprechend wirkt". Ist es also zu sehr ein Klischee, wenn ein in Afrika geborener Architekt einen künstlichen Baum als Versammlungsort vor der Londoner Serpentine Gallery errichtet? Auf der Pressekonferenz an einem der bislang heißesten Tage in diesem Sommer waren die Anwesenden jeweils sehr froh über das schattenspendende Dach des Pavillons und die wirkungsvolle Querlüftung durch die perforierte, textilähnliche Umhüllung. Kéré lacht und sagt: "Die Wände sind offen, der Pavillon ist offen. Eine einfache Sache eben".
Die Hitze wird mutmaßlich nicht von langer Dauer sein, denn das Wetter in London ist eben doch vorzugsweise regnerisch. Aber Kérés Entwurf wird auch diesem Umstand gerecht. Die runde Öffnung in der Mitte lässt an sonnigen Tagen einen lichterfüllten Raum entstehen während die trichterförmige Überdachung an regnerischen Tagen einen Wasserfall speist. „Wir wollten die Bedeutung von Wasser hervorheben“, so Kéré. "Wir sind in London, hier mangelt es nicht an Wasser aber überall sonst in der Welt ist Wasser ein kostbares Gut, daher wollte ich es hier an einem Ort, wo es so selbstverständlich vorhanden ist, in den Mittelpunkt rücken". Das Wasser wird gesammelt und für das Bewässerungssystem des Parks genutzt. Handelt es sich also um eine einfache Bretterbude oder eine dekorative Hütte? Hans Ulrich Obrist und Yana Peel von der Serpentine Gallery sind sich da offenkundig nicht ganz sicher, betonten aber, dass der diesjährige Pavillon "die Kraft der Schlichtheit aufzeigt indem er die Architektur auf ihre Grundelemente beschränkt". Es besteht also Hoffnung für ein Projekt, das im letzten Jahr mit einem etwas enttäuschenden Entwurf (von Bjarke Ingels) eher langweilig daherkam. Auch die Idee eine neue Tradition aus vier Minisommerhäusern (von Kunlé Adeyemi, Barkow Leibinger, Yona Friedman und Asif Khan) zu etablieren, wurde glücklicherweise dieses Jahr fallen gelassen. Und Kérés schöner und wohldurchdachter Bau scheint nur zu beweisen, dass ein temporärer Ort für den Sommer seine Relevanz nicht eingebüßt hat, auch wenn es sich nun schon um den siebzehnten Pavillon handelt und unzählige Galerien und Museen in der ganzen Welt das Konzept mittlerweile kopiert haben.