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Voll Arkitekter - Mjøstårnet: Das bislang höchste Holzhochhaus der Welt, mit rund 84 Metern Höhe und 18 Geschossen.

Nachhaltigkeit
Betonscham

3D-gedruckte Lehmwände und Dächer aus Kork: Warum Architekten die Zukunft nicht auf Beton allein bauen. Plus: sechs aktuelle Projekte mit Vorbildcharakter.
von Jasmin Jouhar | 03.12.2019

Wir schämen uns, wenn wir in den Flieger steigen, essen Sellerie statt Steak und verzichten auf das neue Paar Turnschuhe. Doch ein Aspekt ist in der öffentlichen Debatte um den Klimawandel noch immer nicht so richtig angekommen: Wie schädlich das Bauen eigentlich ist. Zwar erfüllen viele neue Gebäude dank Wärmedämmung, modernen Heizungen oder Sonnenkollektoren hohe Standards, auch Altbauten werden ertüchtigt. Aber das reicht nicht: Bereits beim Einzug lastet auf einem neuen Haus eine hohe Klimahypothek. Baustoffe zu produzieren, ist immens energieaufwändig. Alleine die Herstellung von Zement, einem der Bestandteile von Beton, ist für rund acht Prozent aller weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich. Und da ist der Transport noch nicht mit eingerechnet.

Weniger bauen wäre der einfachste Weg, aber wo Wohnungsknappheit herrscht, kommt man mit diesem Argument nicht weit. Auf jeden Fall eine gute Lösung: mehr Altbauten sanieren und umgestalten, statt sie zugunsten von Neubauten abzureißen. So bleibt die im Bestand gespeicherte, sogenannte graue Energie erhalten. Und wenn doch neu gebaut werden soll: die üblichen Materialien überdenken. Stahlbeton ist ja nicht alternativlos, es gibt längst Vorbilder dafür, wie man im kleinen und auch größeren Maßstab mit nachhaltigeren Werkstoffen bauen kann. Der offensichtlichste Kandidat ist Holz, weil Bäume im Wachstum CO2 binden, das dann im Gebäude gespeichert bleibt. So erlebt der Holzbau in den vergangenen Jahren einen großen Aufschwung. Aber es gibt noch andere Materialien aus der Natur, mit denen sich beim Bau Emissionen vermeiden lassen, beispielsweise Kork, Hanf oder Lehm. Eine Sorge ist übrigens unbegründet: dass nachhaltige Architektur zwangsläufig öko aussehen muss, wie eine Zwangsheirat zwischen Waldorfschule und Blockhaus. Auch ästhetisch sind die Materialien mit ihren haptischen Oberflächen und Texturen längst eine Alternative.

Holz, Lehm und Kork

Exemplarisch für das Potenzial ist das bislang höchste Holzhochhaus der Welt, mit rund 84 Metern Höhe und 18 Geschossen, geplant von Voll Arkitekter. Es steht seit diesem Jahr in einem kleinen Ort in Norwegen, nordöstlich von Oslo. Sowohl tragende Konstruktion, Fassade wie Innenausbau bestehen zum größten Teil aus Holz in verschiedenen Verarbeitungsformen, als Brettschichtholz, als Massivholz und als nicht brennbare Sandwich-Fassadenelemente. Das Projekt sei, so die Architekten, der Beweis, "dass Hochhäuser mit lokalen Ressourcen, lokalen Lieferanten und nachhaltigen Holzwerkstoffen gebaut werden können". Ebenfalls in diesem Jahr fertiggestellt: ein Bürohaus für die Bio-Marke Alnatura in Darmstadt. Auch hier kam viel Holz zum Einsatz, aber vor allem einer der ältesten Baustoffe der Menschheit: Lehm. Die Nord- und Südfassade des Hauses bilden selbstragende Wandscheiben aus Stampflehmfertigteilen, die direkt neben der Baustelle vorgefertigt wurden. "Die graue Energie bei der Herstellung, Verarbeitung und einem möglichen Rückbau von Lehm ist praktisch null", so die Architekten Haas Cook Zemmrich. Sie arbeiteten zusammen mit dem Lehmexperten Martin Rauch und dem Ingenieurbüro Transsolar, das sich auf innovative Klima- und Energiekonzepte spezialisiert hat. Das lichte und luftige Bürohaus bietet nicht nur eine zeitgemäße Arbeitsumgebung, sondern soll dank der Materialien auch ein besonders gutes Raumklima haben.

Voll Arkitekter - Mjøstårnet
Cork House

Bemerkenswert ist, wie natürliche Werkstoffe Architekten und Ingenieure heute zu Experimenten inspirieren – schließlich schien die Zukunft des Bauens lange im High-Tech zu liegen. Das Architekturbüro Rael San Fratello aus Oakland verbindet in seinem Projekt "Mud Frontiers" die vermeintlich gegensätzlichen Welten miteinander: In Colorado errichteten Ronald Rael and Virginia San Fratello vor kurzem vier Lehm-Strukturen in 3D-Druck. Dafür setzten sie einen transportablen Roboter ein und verwendeten direkt vor Ort gewonnene Erde. An jedem der vier Lehm-Prototypen testeten sie verschiedene Konstruktionsweisen. Der Bauplatz im San Luis Valley ist nicht zufällig gewählt, Lehmbau hat in der Region eine lange Tradition, die auf die Kultur der Pueblo-Indianer Nordamerikas zurückgeht. Ebenfalls aus einem einzigen Material, nämlich Kork, besteht das aktuelle, bereits vielfach ausgezeichnete Projekt des britischen Architekten Matthew Barnett Howland. Das Wohnhaus in Eton ist aus Korkblöcken zusammengesetzt, die ohne Mörtel oder Kleber zu massiven Wänden aufeinandergeschichtet sind. Wer bei den pyramidenförmigen Dächern an die Legohäuser seiner Kindheit denkt, ist dem Prinzip auf der Spur. Kork gilt als nachhaltig, nicht nur, weil es nachwächst – es hat auch gute Dämmeigenschaften, ist langlebig und unempfindlich gegen Nässe. Zudem werden die Blöcke aus Abfällen der Korkproduktion hergestellt.

Mud Frontiers

Zurück zu den Wurzeln

Auch im regionalen Bauen haben natürliche Materialien Konjunktur. Architektinnen und Architekten entdecken lokale Traditionen wieder und aktualisieren jahrhundertealte Bautechniken und Konstruktionsweisen, vor allem im Alpenraum. Zu einem Spezialisten in dieser Disziplin hat sich das Münchner Büro von Florian Nagler entwickelt. Zum Beispiel beim Eingangsgebäude für das Freilichtmuseum Glentleiten in Oberbayern, das sich in Form einer langgestreckten Holzscheune mit Satteldach an den historischen Nachbargebäuden orientiert und doch ganz zeitgenössisch ist. Auch in der Schweiz finden sich gute Beispiele, wie althergebrachte Materialien und Bauweisen heutige Projekte inspirieren, etwa bei Haus K in Alpnach von Seiler Linhart. Die Auftraggeber haben ein Unternehmen für Holzbau, kein Wunder also, dass sie bei ihrem eigenen Wohnhaus auf lokale Bautraditionen zurückgriffen und es ganz aus Holz konstruieren ließen. Der Erschließungskern wiederum besteht aus Stampflehm, den die Architekten wegen seiner Wärmespeicherfähigkeit schätzen.

Das Umdenken unter den Planern und Ingenieuren hat also längst begonnen. Und wenn auch die Öffentlichkeit versteht, wie schädlich unsere heutige Art des Bauens sein kann, dann werden wir neben der Flugscham bald auch die Betonscham erleben.