Wer mediale Aufmerksamkeit will, braucht Bilder. Das gilt auch für den Architekturbetrieb. Doch es dauert nun mal seine Zeit, Architektur zu produzieren – mit der Konsequenz, dass mediale Höhepunkte nur selten und erst nach der Fertigstellung des Baus erreicht werden. Da kann es nicht schaden, wenn zwischendurch temporäre Bauten das chronische Aufmerksamkeitsdefizit ausgleichen helfen. Sie sind abwechslungsreiche Zwischenstationen und Vehikel, die Bauherren und Architekten ins Gespräch bringen. Und manchmal bleibt der temporäre Bau, man denke nur an den Eiffelturm oder den Barcelona Pavillon, dann doch länger stehen als geplant war.
Nicht so bei den Sommerpavillons von Institutionen wie der Serpentine Gallery und dem MoMA PS1. Sie bieten alljährlich Anziehungspunkte für die „Szene“ und Stoff fürs Sommerloch. Gleichzeitig dienen sie als Marketinginstrument und gebautes Experiment für die Pavillongestalter und haben sich in Zeiten der sozialen Medien für die „Kreativszene“ zu Markern auf der Karte der Selbstinszenierung entwickelt, zu einem „I was here“ des Internets – denn schließlich wirft ein fein gefiltertes Bild von dem oder mit dem Pavillon ein warmes, kosmopolitisches Licht auf’s digitale Haupt. Hundertfach aufgenommen, hinterlassen diese digitalen Bilder ein Bild der Architektur selbst. Was also kann man auf der Basis von Fotografien auf Instagram, dem Bildkanal par excellence, über die kurzlebigen Architekturen dieses Sommers aussagen?
Raum zur Selbsterfahrung – Der Serpentine Pavillon von Selgascano
Betrachtet man die Instragram-Bilder des diesjährigen Serpentine Pavillons, so wird deutlich: Seine Form lässt sich medial nicht erfassen. Kaum ein Bild, das eine komplette Ansicht offenbarte, geschweige denn einen Gesamteindruck der polygonalen Struktur vermittelte, die aus der Vogelperspektive an einen Kaninchenbau erinnert. Erbaut wurde der nun mittlerweile fünfzehnte Pavillon der Serpentine Gallery in London von den spanischen Architekten José Selgas und Lucía Cano, kurz Selgascano. Die äußere Gestalt scheint weniger interessant – zumindest wird sie weniger häufig fotografiert. Dafür zeugen die Bilder von Erkundungstouren im Inneren des Baus sowie von einem Farbspektakel, das an die schönsten Beschreibungen von LSD-Trips erinnert und das durch Fotofilter intensiviert dargestellt wird. Anscheinend reicht das einfache Abbild der Realität nicht aus, um das Erlebnis der Besucher auszudrücken. Dabei lädt der Serpentine Pavillon zur Selbstinszenierung geradezu ein – die Selfie-Dichte ist im Vergleich zu den anderen Pavillons deutlich höher –, bietet er doch genügend Motive, um sich, wenn nicht ins rechte, so doch in vielfarbiges Licht zu rücken. Das Farbspektakel entsteht durch schimmernde, bunte und transluzente ETFE-Folien, durch die, blickt man aus dem Innern des Baus auf die Umgebung, jene vollkommen verzerrt und in surreale Farben getaucht wird. Dabei gleicht keine Aufnahme der anderen. Der Pavillon scheint, so vermitteln es die Aufnahmen, ein Fest von Farb- und Raumüberlagerungen zu sein – und ist damit ein konzentriertes Selgascano-Architekturerlebnis. Denn hier kommt alles zusammen, was die Architekten in ihren Bauten aus den letzten Jahre umgesetzt haben: Eine raumkapselartige Struktur wie beim Bau ihres eigenen Büros, der zur Hälfte in den Boden versenkt wurde; die verwendete Folie ist aus demselben Material wie jene, die bei einem Konferenzzentrum im spanischen Badajoz verwendet wurde; und das intensive Farbspektakel erinnert an das „Second Home“, einem Co-Working Space in London.
DJ mit leichter Struktur – „Cosmo“ von Andrés Jaque
Anders als bei Selgascano und dem Serpentine-Pavillon, stehen bei „Cosmo“ das Erkunden von Räumen und die Kombination von „Ich und Architektur“ weniger im Vordergrund. Zwar lässt sich auch „Cosmo“ nicht in Gänze erfassen – dafür ist die Installation von Andrés Jaque und seinem „Office for Political Innovation“ für das „Young Architects Program“ (YAP) des MoMA PS1 zu groß und zu hoch –, doch hinterlassen die Bilder trotzdem erstaunlich wenig unterschiedliche Eindrücke. Das ästhetische Gewirr aus Ringen, Schläuchen und Streben wirkt auf die Betrachter offenbar ähnlich wie ein DJ, der auf einer Bühne steht: Immerzu wird die Installation von unten nach oben fotografiert – wie ein Kultobjekt, dem man bewundernd huldigt.
Jaques’ Gebilde ist ja auch so etwas wie eine Wundermaschine. Denn anders als beim Serpentine Pavillon, wo Architekten praktisch machen können, was sie wollen, müssen beim YAP gewisse Rahmenbedingungen erfüllt werden. Die Installation soll einen umweltspezifischen Aspekt des Bauens thematisieren, rückstandslos zurückgebaut werden können, und natürlich Schatten, Sitzmöglichkeiten sowie eine angemessene Szenerie für Partys bieten, wie es auf der Webseite heißt. Cosmo, so liest man, kann 3.000 Gallonen Wasser reinigen – ohne Strom und Chemikalien, allein durch Bakterien und Pflanzen. Dank Rädern kann die elegante Wasseraufbereitungsmaschine praktisch überall platziert werden. All das aber ist auf den Fotografien nicht zu erkennen. Diese bieten in erste Linie ästhetisch wirkende Ausschnitte – was oft vorkommt, wo viel Konzept, aber wenig durchdachte Architektur geboten wird. Und so wird Cosmo auf Instagram vor allem zu einem Bühnenbild für Events. Besonders bei Nacht bekommt der Pavillon etwas Außerirdisches. Dann glimmt und leuchtet er für die Partys im geheimnisvollen Licht – und hätte auch bestens zum „Burning Man-Festival“ gepasst.
Ein Wald aus Hashtags – KA300 von Jürgen Mayer H
Es ist möglich, dass der britische und amerikanische Instragram-Nutzer sich von seinem deutschen Pendant unterscheidet, wirken die Aufnahmen des von Jürgen Mayer H gestalteten Pavillons in Karlsruhe doch weit weniger verspielt. So richtige Freude an Architektur vermitteln die distanzierten Fotos jedenfalls nicht. Aber vielleicht ist es auch die steife und wuchtige Holzkonstruktion des windschiefen Pavillons, den der Berliner Architekt anlässlich der 300-Jahr-Feier der sogenannten „Fächerstadt“ entworfen hat, welche die Fotografen dazu bringt, von dem Bau Abstand zu nehmen.
Der Pavillon erinnert an einen Wald aus lauter „Hashtags“ und kann in seiner Gestalt von jedermann gut erkannt werden. Räumliche Überraschungen erwartet man hier nicht; ein Bild ähnelt doch sehr dem anderen. Dafür aber fokussiert der Fotografierende gern auf das architektonische Detail, etwa darauf, wie die schräg stehenden Ständer und Balken miteinander verbunden sind. Raumentdeckungsreise, Wahrnehmungsstudien und Partystimmung sind auf den Bildern nicht zu erkennen. Dafür, so scheint es, ist der Bau wohl zu sehr Skulptur – und liefert als solche weder für Selfies einen guten Hintergrund, noch für Social Media geeignete Motive.
Museale Blase – „Ode to Osaka” von Sverre Fehn
Die Aufnahmen von Sverre Fehns Pavillon im norwegischen Nationalmuseum für Kunst, Architektur und Design in Oslo wirken durchaus museal: gleichbleibende Lichtverhältnisse und präziser Bildaufbau statt spontanem Schnappschuss. Das mag zum einen daran liegen, dass der von Fehn entworfene Nordische Pavillon für die Weltausstellung in Osaka im Jahre 1970 im Museum – übrigens ebenfalls ein Bau von Fehn – statt unter freien Himmel platziert wurde. Er ist eben ein Museumsstück. Die aufgeräumten, oft menschenleeren Bilder zeigen einen amorphen Raum, dessen Wände aus weichem, opakem Material bestehen. Die Außenwelt ist im Inneren dieser Blase nur schemenhaft zu erahnen. Sie sollte auch bewusst draußen bleiben, zumindest die verschmutzte Luft der Welt, so Fehns Entwurfsgedanke, der in dieser Blase dem Menschen saubere Luft bieten wollte. Ansonsten passiert nichts im Pavillon: Keine Selfies, keine Events – der Raum ist sich selbst genug; das Museum als Ort sorgt ohnehin dafür, dass Besucher Distanz wahren.
Braucht es, um in den sozialen Medien Aufmerksamkeit zu erzeugen und für Verbreitung zu sorgen, eine besonders fotogene Architektur? Eine Architektur, die auch dem Fotografen dazu verhilft, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Schaut man auf die enorme Menge der Bilder, die von oder mit einem dieser Bauten gemacht wurden, kann man diese Fragen mit „Ja“ beantworten: Denn schon jetzt findet man unter dem Hashtag #serpentinepavilion2015 fast doppelt so viele Bilder wie unter dem für den Pavillon des Vorjahres. Smiljan Radić’ Hinkelstein war im Vergleich zu Selgascanos Farb- und Flimmerspektakel räumlich, visuell und haptisch eher bescheiden aufgetreten – wohlwollend formuliert. Und auch die Architektur des KA300-Pavillons von Jürgen Mayer H und die von Sverre Fehns Gute-Luft-Blase scheint weniger beeindruckend. Beide sind sie visuelle One-Liner; ihre Raum- und Materialkompositionen sind schnell verstanden. Was ihnen offenbar fehlt, ist ein notwendiger Knall-Effekt, eine extravagante und überraschende Note, die es zur erfolgreichen Verbreitung in den sozialen Medien braucht. Bleibt die Frage: Gibt es eine Architektur für soziale Medien? Eher nicht. Doch wer Aufmerksamkeit in den digitalen Kanälen sucht, der braucht eine Architektur, die das Heterogene feiert und jede Menge Möglichkeiten zur Selbstinszenierung in Architektur und durch Architektur anbietet.
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