Im Showroom von Ingo Maurer herrscht dichtes Gedränge. Am Eröffnungsabend einer Ausstellung, die den Auftakt einer Reihe geben soll, kündigt der Herr des Hauses den Stargast an: „Schon in seiner Arbeit ist er groß - und als Mensch ist er ein ganz Großer!". Dieser allerdings drückt sich auch gern mal im Kleinen aus: Der italienische Designer Michele de Lucchi präsentiert eine Reihe selbst gefertigter Holzhäuschen, die er architetturine nennt - kleine Architekturen oder „Architekturchen", so die direkte Übersetzung.
Soviel vorweg: Die rund fünfzehn Exponate zeigen, was Gestaltung kann, sofern man sie von den Funktionen des Alltags befreit. Niedlich kommen die zwischen 25 und 60 Zentimeter hohen Miniaturen jedoch nicht daher. Vielmehr feiern die Modelle den Werkstoff Holz an sich, auf eine ruhige, besinnliche Art. Einzigartig wirken sie, archaisch und lebendig, wie Illustrationen aus einer anderen Welt, auf jeden Fall aber individuell und herrlich unperfekt. Wenn man überdies, wie de Lucchi, bildhauerisch vorgeht und damit auf schematisierte Produktionsabläufe verzichtet, bringt das die Texturen der Hölzer erst recht zur Geltung.
Die Idee dazu hatte der Italiener beim Bleistiftanspitzen mit dem Taschenmesser. Das machte dem studierten Architekt schlichtweg Spaß, so dass er in seiner Freizeit daran ging, mit der Kettensäge diverse Baumstämme - aus Eiche, Kirsche, Birke oder Olivenholz - zu bearbeiten, eine Technik, die die Spuren ihres Entstehungsprozesses offen legt. Hinter diesen experimentellen Studien stand der Wunsch, sich einmal ganz ohne konkreten Auftrag mit architektonischen Formen beschäftigen zu können.
„Es sind nicht unbedingt Häuser, die gebaut werden sollen. Ich habe sie nicht gemacht, um Häusern weitere Häuser hinzuzufügen. Ich denke immer wieder darüber nach, warum ich sie mache und warum sie - klein und schief - schön sind, aber hässlich wären, wenn sie in realer Größe gebaut würden", sagt der für seinen wilden Rauschebart bekannte Gestalter. 1951 in Ferrara geboren, prägte er als Streitgenosse von Ettore Sottsass Bewegungen wie Alchimia und Memphis aktiv mit. Er arbeitete zehn Jahre als Designchef von Olivetti und ist der Design-Community als Gestalter des 1987 entworfenen Lampenbestsellers „Tolomeo" bekannt. De Lucchi entwarf Leuchten und Möbel für führende Unternehmen Europas, neben architektonischen Großprojekten blieben jedoch stets auch handwerkliche Techniken in seinem Fokus.
„Holz ist wundervoll, weil jedes Stück anders ist, weil es auf schöne Weise altert, und weil es nachhaltig ist. Es ist schön, damit zu arbeiten, schön, es zu berühren, es ist einfach vertraut", legt er dar. „Ich wollte immer so frei wie möglich arbeiten, wollte nie entweder Künstler oder Designer oder Architekt sein. Wenn ich nicht als Designer arbeiten würde, könnte ich auch nicht als Architekt arbeiten", erklärt er sich, und fügt an: „Das Sägen und Schnitzen ist eine sehr metaphysische Arbeit, eine Zen-Aktivität. Ich verbringe jeden freien Tag in meinem Büro und versuche auf diese Art, neue Denkansätze oder Perspektiven zu finden." Von zwei Tagen bis zu zwei Monaten sitzt er dann an einem solchen Stück. Eine Arbeit, die wiederum in konkrete Produkte einfließt: Neben den Mini-Domizilen der Ausstellung beweist eine Reihe hölzerner Tabletts an der Wand ganz klar den Einfluss der frei erdachten „Architekturchen". „Diese Tabletts sind ein Produkt - die Häuschen jedoch ein Werk meiner Hände, entstanden mit wenigen Arbeitsgeräten. Hier gerät jeder Schnitzer zu einem Vorteil!", resümiert er verschmitzt.
Das eine geht bei de Lucchi also nicht ohne das andere. „Michele de Lucchi bringt Persönliches ein, auf eine sehr poetische Art", sagt Ingo Maurer über ihn. Das verbindet die beiden Designgrößen. Und wir Zuschauer sind fasziniert vom Unperfekten, Nicht-Genormten, angezogen von malerisch krummen Linien und schießschartenartig wirkenden Fensterschlitzen.
Architekturchen
Arbeiten von Michele De Lucchi
4. Februar bis 20. März 2010
Ingo Maurer Showroom München