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Stylepark-Special: Retrospektive: IM GESPRÄCH: KONSTANTIN GRCIC – TEIL 2
Arbeiten, wo es Freiraum gibt

Über Kunst und Design als Lebensform, öffentliche Orte, die Verantwortung des Designers, die Kultur italienischer Hersteller, Geschmack und den Atmer Marcel Duchamp.
04.05.2015

Thomas Wagner: Im Katalog zu Ihrer Ausstellung „Panorama“ ist ein Foto abgedruckt, das Sie zusammen mit Jonathan Olivares in Marfa, Texas, zeigt. Das fällt natürlich auf, ist Marfa doch der Ort, an dem Donald Judd gewirkt hat. Für Judd waren Kunst und Design Ausdruck einer Lebensform, einer umfassenden Aktivität. Was kann Design dazu beitragen, neue Lebensformen zu gestalten? Beeinflusst der Stuhl, auf dem ich sitze, wie ich den Raum wahrnehme, wie ich mich zu meiner Umgebung verhalte?

Konstantin Grcic: Ja, der Stuhl spielt schon eine Rolle – auch als Ding. Wir wissen, es gibt ihn seit tausenden von Jahren in unendlich vielen Varianten – und trotzdem spielt er immer noch eine Rolle. Wie ich gesagt habe, ich finde, es ist notwendig, konkret zu werden und Dinge nicht nur zu diskutieren, sondern auch zu machen. Ich glaube, Design ist in dem Sinn interessant, wie sich das Wort in den letzten 10 oder 15 Jahren in unserem Sprachgebrauch verändert hat – positiv, zum Glück. In den 1980er und auch noch in den 1990er Jahren stand das Wort „Design“ oft für etwas Inflationäres, für ein Extra, was niemand braucht, für etwas, das alles teurer macht – und so weiter. Man wollte das Wort gar nicht mehr in den Mund nehmen. Mittlerweile ist Design zu einem Begriff geworden, der weit über die gewohnten Bereiche von Gestaltung hinausgeht. Design taucht im Zusammenhang mit Politik, mit Strategien, mit Unternehmenskultur und Wirtschaft auf. Das finde ich interessant, weil Design auch in diesen Bereichen tatsächlich genau passt. Design ist analytisch, bezeichnet erst einmal eine Form des Denkens. Es beinhaltet aber auch den Prozess, aus der Analyse einen kreativen Schluss zu ziehen. Oder, anders
gesagt, über vorhandene Grenzen hinaus zu denken, sich von bestehenden Regeln oder von den reinen Fakten freizumachen und zu sagen: Jetzt denken wir mal ganz anders herum. So betrachtet leistet Design als Prozess tatsächlich etwas, was wunderbar passt und anwendbar und relevant ist für Dinge, die wir heute brauchen.

Geht es im Design also doch darum, eine Möglichkeit zu finden, um – pathetisch gesagt – richtig leben zu können? Geht es darum, richtig zu sitzen, um im antiken Sinn ein „gutes Leben“ zu führen?

Konstantin Grcic: Ja und nein. Ich finde, um das Richtige geht es heute gar nicht
mehr. Wir wissen, das Richtige gibt es nicht. Aber ich glaube, es geht darum,
die richtigen Fragen zu stellen. Betrachtet man den Design-Prozess als
Design-Thinking, als eine Form des Denkens, dann kommen dabei die richtigen
Fragen auf den Tisch. Eine Antwort gibt es natürlich nur mit Blick auf einem
sehr konkreten Fall. Nur in einem sehr konkreten Fall kann man auch eine
konkrete Antwort finden, und die mag dann richtig sein.

Corbu, KGID und Punk: 2013 stattete Konstantin Grcic ein Appartement in Le Corbusiers Cité Radieuse in Marseille mit seinen Lieblingsstücken aus und hängte großformatige Abzüge aus Punk-Fanzines auf.

Richtig ist eine Lösung also nicht in einem moralischen, sondern eher in einem pragmatischen Sinn: Wie macht man das? Wie kriegt man das hin?

Konstantin Grcic: Dies führt mich zum dritten Raum der Ausstellung, den Public Space. Mein Eindruck ist: Genau hier funktioniert dieses System nicht mehr, weil die unterschiedlichsten Bedürfnisse, Meinungen, Machtverhältnisse an diesem Ort aufeinandertreffen. Was für den einen richtig ist, passt für den anderen gar nicht, und damit müssen wir zurechtkommen. Ich glaube, der Designer ist derjenige, der in so einer Situation gefragt ist. Er kann reagieren, gewisse Voraussetzungen oder Möglichkeiten schaffen, auf die wiederum reagiert wird. In dieser Rolle sehe ich den Designer.

Woraus folgt: Dem Designer kommt eine große Verantwortung zu?

Konstantin Grcic: Ja, und das ist das Problem. Es ist ganz falsch, wenn der Designer plötzlich zum Messias gemacht wird, der die Probleme löst.

Ich habe Verantwortung gesagt, nicht von einem Messias gesprochen.

Konstantin Grcic: Natürlich hat der Designer Verantwortung zu übernehmen, aber im Verbund, innerhalb eines extrem komplexen Systems.

Weichen Sie hier nicht aus? Wenn Sie sagen, der Designer soll und kann in einem konkreten Fall eine bestimmte Antwort geben, dann heißt das doch auch, dass er für diese Antworten einstehen, sie verantworten muss. Würden Sie zustimmen, dass, auch wenn der Designer sich nicht für das Große und Ganze zuständig fühlt, genau hier, in diesem oder jedem konkreten Fall, seine Verantwortung liegt?

Konstantin Grcic: Ja, Verantwortung beschränkt sich auf etwas Konkretes.

Wobei immer wieder so getan wird, als sei er für mehr als einen Stuhl oder Tisch zuständig?

Konstantin Grcic: Genau da wird es schwierig. Ich meine, damit müssen wir umgehen, das ist so.

Der Autor als Teamplayer: Design ist ein Prozess, der viel Geduld erfordert und an dem viele Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten beteiligt sind.

Wie gehen Sie damit um? Zumal dann, wenn Dinge, die Sie gemacht haben, von außen ganz anders wahrgenommen werden?

Konstantin Grcic: Oft mangelt es einem solchen Blick von außen an Verständnis für die konkrete Situation, aus der heraus sich die Lösung entwickelt hat. Dann lässt sich natürlich leicht sagen: „Ach, wieso macht der jetzt schon wieder Stühle – und warum macht der immer noch Stühle?“ Natürlich behaupte ich: Der Stuhl hat eine Bedeutung für die Zukunft. Mich interessiert aber zunächst der eine, konkrete Stuhl, an dem ich gerade arbeite. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, für welche Firma ich den Stuhl entwickle. Ich kenne diese Firma, auch darin zeigt sich meine Verantwortung. Oft ist es eine Familie, die diese Firma
führt und die eben Stühle baut, es ist ihr Geschäft. Und wenn sie nicht gerade mit mir einen Stuhl machen, dann machen sie einen mit jemand anderem. Es ist wohltuend, weil ich die Situation wirklich kenne. Ich kenne diese Menschen, ich weiß wo die leben, was sie machen, wie ihre ganz konkrete Situation aussieht.

Sie sind nicht mit Situationen konfrontiert, mit denen Sie nicht verbunden sind. Sie können eingreifen, etwas verändern. Es ist nicht irgendwer, der Sie beauftragt. Es ist eine Familie, es hat mit einer konkreten Beziehung, mit einer Bindung, vielleicht sogar mit Freundschaft zu tun. Heißt Gestalten, auf Abstraktionen zu verzichten?

Konstantin Grcic: Es geht um eine Kultur, um eine Tradition.

Und beides ist sehr wichtig, nicht nur für das Design, sondern auch für die Diskussion darüber, wie wir die Zukunft meistern können?

Konstantin Grcic: Ja, ich finde es ganz, ganz wichtig, sich über solche Bindungen
bewusst zu werden. Ich habe das Gefühl, dass Projekte, die wirklich eine Bedeutung haben, also die, die wichtig sind, für mich immer die gewesen sind, bei denen ich ganz nah dran bin an einer echten, an einer konkreten Situation, über die ich viel weiß.

Für Konstantin Grcic gehört es zu den sozialen Aufgaben des Designers, das handwerkliche Können und die familiäre Struktur kleiner norditalienischer Hersteller zu unterstützen: Wenn bei Mattiazzi ein Medici-Stuhl produziert wird, ist vieles Handarbeit.

Bleibt Ihre Arbeit in diesem Sinn gültig, selbst wenn sie von einer anderen Warte aus, die von diesen Beziehungen nichts weiß, bewertet wird?

Konstantin Grcic: Ganz sicher. Von außen betrachtet mag jemand urteilen, es sei doch nur ein weiterer blöder Stuhl, den wir angesichts der wirklich großen Probleme unserer Zukunft nicht brauchen. Trotzdem ist so ein Stuhl im Kleinen wichtig, zum Beispiel deshalb, weil dadurch in Norditalien im Moment eine bestimmte Firmenstruktur am Leben bleibt, nicht nur in Bezug auf die Arbeitsplätze. Hier geht es um eine Kultur, die es zu erhalten gilt, weil sie wertvoll ist und schön. Wenn man mich nach meiner Verantwortung fragt, würde ich immer sagen: Genau das ist der Beitrag, den wir leisten. Was das im großen Ganzen bedeutet, sollen andere entscheiden. Vielleicht kann das ja trotzdem ein Vorbild sein, weil selbst diese kleinen Zellen, diese oft winzigen Firmen in Norditalien, eben auch ihren
Wirkungsgrad haben.

Sind Sie da nicht etwas zu bescheiden? Ihr Beitrag ist keineswegs klein. In Zeiten, in denen gewachsene Kulturen reihenweise wegbrechen, ist es doch wichtiger eine bestimmte Kultur des Produzierens zu stützen als folgenlos davon zu reden, Design müsse die Welt retten.

Konstantin Grcic: Das empfinde ich auch so. Für die Italiener ist der Designer tatsächlich Teil dieser Kultur.

Wer einmal mit dem Seniorchef einer dieser Firmen gesprochen hat, der versteht sofort, dass es nicht nur darum geht, erfolgreich Möbel zu verkaufen. Man spürt, welche Rolle Tradition, Stil, eine Lebensart spielen. Es hat in unruhigen Zeiten wie den unseren etwas Schönes und Beruhigendes, wie solche Unternehmer, oft seit Generationen, eine Lebensform entwickelt und, ja, kultiviert haben.

Konstantin Grcic: Ja, das ist deren Leben. Es ist irre, das zu sehen. In Italien ist diese Art von Kultiviertheit besonders ausgeprägt. Ich habe aber auch die Tragik miterlebt, wenn so etwas zerbricht. Viele dieser Firmen, die es einst gab, existieren nicht mehr. Dann sind nicht nur Arbeitsplätze weg. Das ist diese Familie, die über Generationen für ihre Firma gelebt hat, die sie aufgebaut hat, und die wiederum Zulieferer für jemanden war, und dieser jemand konnte abends, nur weil er Arbeit hatte, in das Restaurant gehen, wo er immer hinging. Das ist ein enges Geflecht, und es ist wichtig, dass es erhalten bleibt. Natürlich muss sich auch diese Struktur weiterentwickeln, und dabei gehen natürlich auch Firmen kaputt, müssen schließen, weil sie es nicht geschafft haben, sich unter veränderten Bedingungen zu entwickeln. Dabei spielt der Designer tatsächlich eine Rolle, weil wir eben nicht nur diejenigen sind, die einen Stuhl entwerfen. Es ist ja verrückt, wenn ich mit solchen Firmen zusammenarbeite, bekomme ich nie ein Briefing. Wir kennen diese Firmen, und dann überlegt man: „Was macht man eigentlich zusammen?“ Die Leistung des Designers fängt schon an dem Punkt an, an dem er überlegt: Was braucht diese Firma wirklich? Machen wir überhaupt einen Stuhl für die?
Mattiazzi ist ein gutes Beispiel. Die sind deshalb so gut – und ich würde sagen, das ist eine ganz moderne Firma –, weil die das machen, was sie können. Und das machen sie richtig gut. Und sie machen es deshalb so gut, weil sie über einen großen Erfahrungsschatz verfügen, weil die Firma darauf ausgerichtet ist, Stühle zu bauen. Alle dort sind Spezialisten in dem, was sie machen, und das macht sie so vital. Zugleich ist es tragisch, dass in der Gegend um Udine, wo Mattiazzi seinen Sitz hat, inzwischen bestimmt fünfzig Prozent der Firmen eingegangen sind. Firmen, die vor zwanzig Jahren, als ich anfing, alle noch aktiv waren.

Als wär’s ein Tatort: In der rauen Atmosphäre des Z33 bekommt der „Public Space“ mit seinem Panorama-Gemälde, dem Zaun und einigen Chair One fast den Charakter amerikanischer Filme wie „Zabriskie Point“.

Womit wir wieder bei dem merkwürdigen Verhältnis vom großen Ganzen zum konkreten Einzelfall angekommen wären.

Konstantin Grcic: Ja, dieselbe Generation, dieselben Bedingungen, derselbe Ort – und trotzdem, einige machen eine Sache einfach anders und haben es verstanden, aus dieser konkreten Situation die besseren Schlüsse zu ziehen.

Sprechen das Panoramabild und der Zaun in ihrem „Public Space“ nicht auch von dieser Ambivalenz? Man weiß ja nicht so genau: Ist es eine schöne neue Welt oder doch eher ein apokalyptisches Szenario, mit „Landen“ im Zentrum, diesem Marsrover oder diesem Landegestell, das auf dem Mond zurückgeblieben sein könnte. Vor allem aber der Zaun mit seinen zwei Seiten und den gelben Warnlichtern. Sagt er nicht: Entweder du bist drin oder du bist draußen?

Konstantin Grcic: Wobei der Zaun in diesem dritten Raum weniger irritiert als der Ausblick auf den Flughafen im ersten Raum. Ich dachte, das Bild allein würde nicht funktionieren, also wollte ich die Szene dreidimensional werden lassen, ihr etwas Physisches, etwas Echtes geben, das man sofort in das Bild hineinliest. Das ist eher ein szenografischer Trick. Aber der Zaun hat natürlich genau diese Symbolik, und um die ging es mir. Auf welcher Seite des Zaunes stehe ich? Schützt er mich oder grenzt er mich aus? Bin ich auf der guten oder auf der schlechten Seite? Und das Panorama-Bild sehe ich genau so, das ist unentschieden. Ist das jetzt eine schöne neue Welt oder ist die bedrohlich? Ich muss hinzufügen: Was das Panorama angeht, war es mir wichtig, einen Teil der Inszenierung abzugeben. Wir haben das Bild ja in Auftrag gegeben an jemanden, den ich nicht kenne, auch nicht kennenlernen wollte. Natürlich haben wir kommuniziert, aber wir kannten uns nicht. Ich weiß nicht, ob ich das wieder so machen würde, das war ziemlich anstrengend, auch schwierig, aber genau diese Situation hat mich gereizt.

Bleiben wir noch einen Moment beim Zaun als Grenze. Einer bezahlt ja immer für unseren Wohlstand. Markiert der Zaun für Sie auch so etwas wie die Grenze unserer Wohlstandsinsel?

Konstantin Grcic: Das wurde auch im Museum diskutiert. Mateo Kries etwa hat eher Bedrohliches, Negatives in diesem Zaun gesehen. Das hat der Zaun für mich auch, aber er ist vor allem eine Realität, aus der sich genau die Fragen ergeben, um die es geht. Das ist ja das Spannende an einem Public Space: Er ist da, zu was der wird, entscheiden wir, weil wir uns dort treffen und es uns gut gehen lassen oder weil wir uns treffen und über diesen Platz nur Müll verstreuen und schlechte Stimmung verbreiten.

Und am Ende vielleicht gar nicht mehr rausgehen?

Konstantin Grcic: Das ist so, und darum geht es. Ich weiß nicht, ob das auch in der Ausstellung funktioniert.

Hat die Mondfähre abgehoben und ihr Landegestell zurückgelassen? – „Landen“, eine Vitra-Edition von 2007, ist ein Rückzugsort, ein Schutzraum, eine Sitzgelegenheit und ein Beispiel dafür, was Grcic unter Industriedesign versteht und wie virtuos er mit einer Ästhetik der Technik umzugehen weiß.

Hätten Sie die Macht, die Welt zu verändern, was würden Sie tun? Die Frage ist irrwitzig, ich weiß.

Konstantin Grcic: Ja, die ist irrwitzig, und deswegen glaube ich, sie stellt sich nicht.

So antworten wir alle. Vielleicht können wir die Welt gar nicht verändern, vielleicht ist es aber auch so, dass wir einfach mehr tun müssten, als wir tun können?

Konstantin Grcic: Es gibt so viele Impulse. Wir haben es ja mit einem äußerst komplexen System zu tun. Selbst mit exklusiven Projekten im Luxus-Ghetto lassen sich gewisse Dinge
anstoßen. Als ich Design studiert habe und ein junger Designer war, hatte ich noch die Vorstellung, dass man als Designer für die Masse arbeitet. Das hat sich bei mir aber nie eingestellt, was sicher etwas mit mir persönlich zu tun hat, damit, wie ich die Dinge sehe, wie ich sie mache. Ich habe das Privileg, für exklusive Firmen, für Luxusfirmen zu arbeiten, aber das sind einfach gute Firmen. Die sind die Avantgarde, die einfach schon weiter ist im Denken, die besser sind. Für solche Firmen können wir etwas machen in einem sehr kleinen Maßstab, aber ich glaube, die Tragweite und Wirkung, die Strahlkraft, ist
unheimlich wichtig. Ich finde, Apple ist so ein Beispiel. Apple war eine totale Luxus- und Nischenmarke. Heute tun wir alle so, als gäbe Apple hinsichtlich Anspruch, Qualität, Bedienerfreundlichkeit und Intelligenz den Kurs an. Das mag ein Extrembeispiel sein. Wie ich schon gesagt habe, ich sehe die Möglichkeit zur Veränderung eher im Kleinen, und das Kleine ist eben dann die Nische oder das Exklusive oder irgendetwas, was einen Freiraum garantiert.

Benannt nach einem Album von „Kraftwerk“: „Man Machine“ ist eine Serie von Möbeln aus Glas, die Konstantin Grcic 2014 für die Pariser Galerie Kreo entworfen hat.
Inspiriert von Fahrrädern, Skiern und Rennwagen: Die Tische der Serie „Champions“, 2011 für die Pariser Galerie Kreo entworfen, bestehen aus einem mit einer Glasplatte überdeckten Gestell aus Aluminium, das mit fiktiven Grafiken versehen ist, die von dem Lackierer Walter Maurer realisiert wurden.

Ist, was gut gemacht und einen Schritt weiter ist, deshalb gleich Luxus? Ist es nicht illusorisch anzunehmen, Trash sei immer gut und alles andere nur Luxus? Wäre das nicht ein seltsamer Kulturbegriff?

Konstantin Grcic: Das sehe ich auch nicht so. Wir arbeiten in dieser Nische, und die Nische ist immer dort, wo es Freiraum gibt, wo überhaupt Möglichkeiten sind, etwas zu machen. Wenn ich bei einer ... mir fällt jetzt nichts ein, und IKEA als Gegensatz zu nehmen, wäre Quatsch. IKEA ist auch top of the list, auch sie gehören zu den besten und sind in diesem Sinne exklusiv. Und für die zu arbeiten bedeutet: Masse. Wahrscheinlich hat man bei IKEA immer noch mehr Möglichkeiten, als wenn man beispielsweise für Segmüller arbeitet.

Würden Sie auch für Segmüller arbeiten? Hätte es einen Wert, in dieser Sphäre etwas zu probieren? Könnte Sie das reizen?

Konstantin Grcic: Doch, das würde mich schon interessieren ...

Wirklich – Konstantin Grcic bei Segmüller?

Konstantin Grcic: Sicher hätte ich meine Vorbehalte. Gäbe es die Möglichkeit, würde ich sie nicht ungeprüft lassen. Wer weiß, Segmüller kann ja genau jetzt an dem Punkt sein – vielleicht gibt es dort einen neuen Kopf, der sagt: „Wir müssen etwas ändern!“ Eine Schnittmenge würde sich nur ergeben, wenn die sich plötzlich anders orientieren wollten.

Geht es bei der Frage nicht auch um einen, sagen wir, pädagogischen Impetus? Glauben Sie daran, Menschen lassen sich durch Design ästhetisch erziehen?

Konstantin Grcic: Mich interessieren Design und Ästhetik, aber nicht als Erziehung. Bei Design und Erziehung interessiert mich, was Qualität ist, und das ist natürlich ein ganz schwieriger Begriff, den man zuerst definieren müsste. Qualität reicht für mich tiefer als Ästhetik. Und Qualität fängt mit der Kultur an, die dahinter steht.

Ich habe weniger an „die gute Form“ gedacht. Sitze ich aufrecht, habe ich das Richtige an – darum geht es nicht. Ich denke bei ästhetischer Erziehung eher an Friedrich Schiller. Und der war ja ein Freak, ein Rebell, den die jungen, wilden Romantiker sehr bewundert haben. Wenn Schiller von der Notwendigkeit einer ästhetischen Erziehung des Menschen spricht, geht es ihm um die grundlegende Frage: Wie lässt sich eine Gesellschaft formen, wie etwas verändern? Schiller wendet sich gegen die Willkür der Vernunft, aber – enttäuscht vom Verlauf der Französischen Revolution – auch gegen die Herrschaft des Volkes. Man mag es heute seltsam finden, aber für Schiller führt der Weg zur Freiheit über die Schönheit. Und wenn wir Schönheit jetzt etwas kleiner schreiben, dann ist er vielleicht gar nicht so weit entfernt von den Freiräumen, von denen Sie gesprochen haben – oder?

Konstantin Grcic:Ich glaube, heute ist das Schöne nicht mehr eine bestimmte Gestalt oder Ästhetik, sondern das Schöne liegt in der Intelligenz einer Sache. Das hat mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu tun. Um solche Dinge geht es, und für mich hat Design durchaus etwas damit zu tun. Heute wird Schönheit zu sehr mit der Oberfläche der Dinge identifiziert. Apple wird dann beispielsweise darauf reduziert, wie diese Apparate aussehen – die gefallen uns allen, wir finden sie schön, aber was diese Firma wirklich ausmacht, ist ihr Perfektionismus. Also die Haltung: „Wir wollen das anders machen, wir sind einfach nicht zufrieden damit, dass PCs so sind, wie sie sind ...

Gedankenfäden in der Vitrine: Dem „respirateur“ Marcel Duchamp hätte der Gedanke gefallen, dass das Schöne heute in der Intelligenz einer Sache liegt.

Vielleicht machen wir hier einfach mal einen Sprung zum Object Space der Ausstellung. In einer der Vitrinen stößt man auf ein Plakat, das Marcel Duchamp zeigt, wie er eine Zigarre hält und der Rauch aufsteigt, und darunter liegt ein Katalog zu seinen Ready-mades. Duchamp hat auch gegen den Geschmack gekämpft. Was hat Sie an Duchamp fasziniert? Sie haben Plakat und Katalog ja nicht zufällig in die Vitrine gelegt?

Konstantin Grcic: Duchamp interessiert mich als Künstler, der mit Objekten aus unserer Welt gearbeitet hat. Seine Haltung war eigentlich die der Verweigerung – oder des Zu-viel-Wollens ...

Und er hat, ironisch wie immer, gesagt: Wenn ich recht überlege, was ich bin, so bin ich eigentlich ein Atmer, ein Respirateur.

Konstantin Grcic: Genau.

Hat das etwas damit zu tun, dass wir heute – auch im Design – weniger über das Objekt und mehr über den Prozess reden? Einatmen, ausatmen, einatmen – das ist doch eine ganz pfiffige Beschreibung für den Prozess?

Konstantin Grcic: Das ist eine sehr schöne Beschreibung von dem, was der Designer tut. Duchamp steht aber so für sich, ich finde es schwierig, es einfach so zu übertragen. Aber das Bild gefällt mir. Ich behaupte immer, Design ist viel Arbeit – und das mag ich auch daran. Es ist aber ebenso wichtig, dass Design unangestrengt bleibt, eine gewisse Lässigkeit behält, spielerisch bleibt. Ein Entwurf muss bewusst entstehen, darf aber nicht erzwungen werden. Das ist eine Qualität, die wahnsinnig wichtig ist.

Und was hat Sie an den Ready-mades beschäftigt?

Konstantin Grcic: Duchamps Ready-mades sind ja ganz gewöhnliche Dinge, die man für gewöhnlich übersieht. Doch plötzlich betrachtet man sie anders und erkennt eine Schönheit oder einen Wert, der sie ihrer Banalität enthebt, sie zu etwas Besonderem macht. Unsere Art, sie zu betrachten, ist plötzlich eine andere – und damit haben wir natürlich auch im Design zu tun. Auch hier geht es um ganz gewöhnliche Dinge. Zwar geht es nicht darum, Dinge zu Kunstwerken zu machen, aber doch zu Dingen, die wir, weil wir sie plötzlich anders betrachten, zu schätzen und zu würdigen beginnen. Es geht um Achtung, was zurückführt zur Verantwortung des Designers. Vielleicht ist das am Ende als Idee aber ein bisschen zu groß.

Konstantin Grcic – Panorama
through May 24, 2015
Z 33 House for Contemporary Art
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3500 Hasselt / Belgium