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The Museum of Modern Art, 1971-74, Gunma, Japan

Zurück in die Zukunft

Arata Isozaki wird im Mai der Pritzker-Preis verliehen: für sein Schaffen als Architekt und Stadtplaner, aber vor allem als visionärer Theoretiker, der versucht, die Zeit umzukehren, indem er die Zukunft in die Vergangenheit verwandelt.
von Jeanette Kunsmann | 07.03.2019

"Für mich ist die moderne Stadt angefüllt mit Unsichtbaren", schreibt Arata Isozaki. "Sie ist wie das Labyrinth in Alice hinter den Spiegeln, wo es unmöglich ist, die Dinge zu erfassen, die einem entgegenfliegen." Diese Sätze, die so aktuell klingen, stammen aus dem Essay "Unsichtbare Stadt", den der Querdenker bereits 1967 verfasst hat. Ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen. Liest man heute die großen Theorien des japanischen Architekten, wirken sie absolut zeitgemäß. Und wenn Arata Isozaki fragt: "Können wir nicht die Vergangenheit, so wie wir sie uns in der Zukunft vorstellen, in Zukunft verwandeln?", lautet die Antwort für den 87-Jährigen seit gestern: Ja. Denn im Mai 2019 wird Isozaki einen ziemlich großen Preis erhalten: nämlich die tatsächlich immer noch wichtigste Auszeichnung, die einem Architekt überhaupt verliehen werden kann. Arata Isozaki ist der 46. Pritzker-Preisträger.

Damit hat natürlich wieder keiner gerechnet. Weshalb es wie jedes Jahr durch die Welt raunt: "Warum der?". Dabei fragt man sich doch vielmehr: "Warum erst jetzt?" Wurden doch jüngere Kollegen wie Tadao Ando, Toyo Ito, SANAA und Shigeru Ban, also allesamt Architekten, die Arata Isozaki maßgeblich beeinflusst hat, schon längst mit dem Pritzker-Preis geehrt. Auch Zaha Hadid wäre hier zu nennen. Zumindest bis ihr Förderer 2014 ihren Stadionentwurf für die olympischen Spiele in Tokio mit seiner Schildkrötenmetapher kritisierte ("A turtle waiting for Japan to sink so that it can swim away"). Isozaki gewann mit diesen wenigen Worten als Architekturkritiker an Profil, Hadid verlor einen Großauftrag. In der Zukunft ist dann alles einfach nur Vergangenheit.

Arata Isozaki

Noch mal ein paar Jahrzehnte zurück. Als Kenzo Tange Mitte der Sechzigerjahre seine Theorien zum Strukturalismus formulierte, befand sich in seinem Team auch der zu dieser Zeit dreißigjährige Arata Isozaki, der Tanges Ideen mit- und weiterdachte. Raum und Form sollten offen für Veränderungen sein, damit sie sich anpassen können. Das will man heute doch auch – wieder einer dieser Zeitsprünge. Schon Tange bezog sich mit seinem Strukturalismus auf Gedanken des Anthropologen Claude Lévi-Strauss. Und auf die Architekten Peter und Alison Smithson, die dessen Theorien in den 1950ern bereits in Bauwerke übersetzt hatten.

Isozaki lernte vieles von seinem Lehrer Tange. Unter anderem arbeitete er an dessen radikalen und legendären Plan für Tokio mit. 1963 gründete er sein eigenes Büro Arata Isozaki & Associates und entwickelte gedankliche Konzepte wie "City in the Air", "Computer-aided City" und "Fictional City". Seine "Mirage City" nannte er selbst eine Fata Morgana. In seinem Ausstellungsprojekt "Unbuilt", das 2004 in Shanghai gezeigt wurde, beschäftigte sich Arata Isozaki Jahrzehnte später noch einmal mit seinen gesamten Visionen, Utopien und Nicht-Orten. Poetisch formulierte er dort: "Inkubationsprozess. Ruinen liegen in der Zukunft unserer Stadt, die Stadt der Zukunft liegt in Ruinen."

Nara Centennial Hall, 1992-1998, Nara, Japan

Isozakis Weltkarriere begann in seinem Heimatland, wo er große Bauwerke geschaffen hat, darunter viele öffentliche Bauten: Museen, Bibliotheken und die Festival Plaza für die Expo 1970 in Osaka. Obwohl er bereits in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg unermüdlich durch die Welt reiste, gelang ihm sein internationaler Durchbruch erst Mitte der 1980er-Jahre mit dem MOCA Museum of Contemporary Art in Los Angeles. Zum Zeitpunkt der MOCA-Eröffnung war Isozaki immerhin bereits 55 Jahre alt. Heute begegnet man den gebauten Gedanken von Arata Isozaki überall: Barcelona, Berlin, Doha, Florida, Mailand, Shanghai. Und er baut immer noch –  zum Beispiel mit Anish Kapoor, mit dem er 2011 zum Gedenken der Tsunami-Opfer an der japanischen Ostküste die aufblasbare Konzerthalle "Ark Nova" entwickelt hat. 2013 wanderte der violette Riesendonut weiter nach Luzern, 2017 wieder nach Tokio.

"Als Gestalter kompromisslos, frech und traumatisch, hat er stets den Eklat gesucht", konstatiert Jörg R. Noenning in seinem Aufsatz "Die Wissenskunst des Arata Isozaki". Um Fragen zu stellen, die Zeiten und Grenzen überwänden, sprenge Isozaki den Rahmen der Architektur, begründet die Pritzker-Preis-Jury ihre Wahl: "Arata Isozaki umarmt die Avantgarde.

The Museum of Contemporary Art, 1981-1986, Los Angeles California, USA
The Museum of Contemporary Art, 1981-1986, Los Angeles California, USA

Strukturalismus, Metabolismus oder Postmoderne – der neue Pritzker-Preisträger lässt sich nur schwer einordnen. "Seine Suche nach einer sinnvollen Architektur spiegelt sich in seinen Gebäuden wider, die sich bis heute allen stilistischen Kategorisierungen widersetzen und sich ständig weiterentwickeln", fasst dies die Jury des Pritzker-Preises zusammen. Die Postmoderne bezeichnete Arata Isozaki in "Rumor City" übrigens als einen "üblen Typen, mit dem er sich angelegt habe": "Ich habe einen Mechanismus konstruiert, der ihm im Moment seines Erwachens Fußfesseln anlegt." Vielleicht ist Isozaki selbst eines Tages in all seinen Gedanken und Theorien in der Gegenwart etwas verloren gegangen? Ist nicht auch die Architekturgeschichte angefüllt mit Unsichtbarem? Ein Instrument wie der Pritzker-Preis schafft es, manches davon wieder sichtbar zu machen. Der Nobelpreis der Architektur ist kein demokratisches Voting, orientiert sich weder an Herkunft und Alter, noch am Geschlecht. Er folgt keiner Chronologie, keiner Theorie und keiner Meinung, sondern hat Würdigung und Vermittlung von Architektur als Ziel. Arata Isozaki erhält im Mai den Preis in Versailles – nicht im Schloss selbst, sondern in einem kleinen Palais davor, in dem auch Tadao Ando 1995 seine Medaille verliehen wurde. Was dieser historische Ort mit dem Zeit-Raum-Gefüge eines Isozaki anstellen mag, wird sich in der Zukunft zeigen. Die in einer imaginären Welt vielleicht schon längst Vergangenheit ist.

Domus: La Casa del Hombre, 1993-1995, A Coruña, Spanien
Domus: La Casa del Hombre, 1993-1995, A Coruña, Spanien
LUCERNE FESTIVAL ARK NOVA, gestaltet von Anish Kapoor und Arata Isozaki, 2011-2013, 2014: Miyagi, Japan; 2015: Fukushima, Japan; 2017: Tokyo, Japan
Art Tower Mito, 1986-90, Ibaraki, Japan
Ōita Prefectural Library, 1962-66, Ōita, Japan
Kitakyushu Central Library, 1973-74, Fukuoka, Japan
Palau Sant Jordi, 1983-1990, Barcelona, Spanien
Palau Sant Jordi, 1983-1990, Barcelona, Spanien