JUNGE TALENTE
Unterwegs zuhause sein
Manchmal macht sich eine Lücke erst bemerkbar, sobald sie jemand füllt. Das Faltsofa mit dem schönen Namen "Ballast" von Anton Defant ist so ein Lückenfüller. Die unbemerkte Leerstelle, die dank dieser Abschlussarbeit aus dem Jahr 2022 bei Stefan Diez an der Angewandten in Wien nun umso deutlicher hervortritt, heißt "experimentelles Möbeldesign". Bewegliche Scherenkonstruktionen aus gut proportionierten Vierkantelementen erfüllen souverän ihre Aufgabe. Vom Finish her sind sie zweckdienlich gestaltet, aber bewusst nicht edel. Gepäcknetze, wie sie sonst im Laderaum von Flugzeugen Verwendung finden, dienen als Lehnen, leicht und transparent. Ein starkes Stück. Und einsam auf weiter Flur. Denn ob auf der Messe, in Nachwuchsforen oder im Showroom: Seit Langem gibt es kaum noch Neuheiten, die auf Veränderungen von Konventionen abzielen, auf einen Gebrauch, der veränderten Ansprüchen gerecht wird oder sich gar an ungewohnte Typologien herantraut.
Neues im Design von heute ist oftmals eine Mixtur des sattsam bekannten. Seit während Corona Möbelmessen reihenweise ausfielen, verschwand zugleich die Möglichkeit, verschiedene Ideen und ihre jeweilige Umsetzung dreidimensional durch Ausprobieren miteinander zu vergleichen. Für die Designentwicklung ein großer Nachteil. Noch kämpfen viele Messen darum, ihre einstige Bedeutung wieder zu erlangen. Der raumgreifende Dreisitzer "Ballast" war – im positiven Sinn – ein Fremdkörper auf der Kölner Messe. Er lässt sich binnen Sekunden zur Mitte hin zusammenschieben, wird so zu einem schmalen Päckchen, das sich wie ein Rucksack auf dem Rücken tragen lässt.
"Ballast" erhielt zudem eine Special Mention beim Nachwuchswettbewerb "Pure Talents Context" der imm cologne. Die Jury, die aus fünf ehemaligen Preisträgerinnen und Preisträgern bestand, allesamt inzwischen bekannte Profis der Branche, war erfreut vom "überraschend bequemen Sitzen". Gelobt wurde, dass wenig Material benötigt werde, dass "Ballast" auch in kleine Wohnungen passe und Ansprüche der nomadischen Lebensweise entspreche. Nicht zuletzt werden mögliche "Materialtrennung und Zirkularität" lobend hervorgehoben. Dafür einen der Preise zu vergeben, konnte sich die Jury dennoch nicht entscheiden. Und das ist verständlich, denn "Ballast" ist nicht nur wegen des Namens eine Provokation für die Möbelindustrie, deren Produkte immer schwerer, kostspieliger und unflexibler werden. Etablierte Unternehmen streben nach hochwertigen Luxusprodukten, die sich umstandslos in aufgeräumt-sachliche Immobilien der Jetztzeit dekorieren lassen.
Bei Anton Defant ist vieles anders. Er sagt von sich, dass er übers Skateboardfahren zum Design gekommen sei. Aus dieser Perspektive nimmt er eine Stadt als Anhäufung möglicher "Spots" wahr, die man "fahren" kann. Ganz unmittelbar, nicht abstrakt, sondern oftmals körperlich, vermitteln sich so Qualitäten der Oberflächen einer Stadt. Den alpinistischen Begriff des "Basecamp" hat er in urbane Sphären überführt. "Dadurch, dass Skaten mit vielen anderen kreativen Disziplinen verbunden ist", schreibt Anton Defant in einem Statement, sei der Weg nicht weit, "seinen Style in vielen unterschiedlichen Medien zu suchen. Dies, aber auch "eine Prise Glück, Neugier und Ehrgeiz" brachten ihn an die "Angewandte" und, so sagt er: "dieselbe Mischung treibt mich heute noch an." Im Studium wie den parallel und seit dem Abschluss realisierten Projekten widmet sich Defant technischen Aspekten von Gestaltung ebenso, wie einer eher spielerisch-anarchischen Entwurfsmethodik. Schmuck, Mode, Sitzobjekte begeistern ihn. Subtiler Humor kommt gelegentlich zum Einsatz, doch legt er Wert darauf, wie es auf seiner Website zu lesen ist, "dass jedes Stück eine Verpflichtung zu Vernunft und Qualität" widerspiegele.
Über die Familie Defant ließe sich einiges erzählen. Anton wurde 1995 in Kiel geboren und deutet nur kurz an, dass sein Vater Österreicher und Künstler ist, was ihn nach Wien zum Studieren führte. Seine Schwester Charlotte half ihm zusammen mit einer Freundin beim Nähen der transparent-aufgelösten Textilstruktur von "Ballast", sie betreibt ihr eigenes Modelabel. Sein Cousin Jakob dreht Dokumentarfilme, ein anderer ist Cellist. Grenzüberschreitungen und Kooperation sind da naheliegend. Keineswegs nur, aber gelegentlich eben auch innerhalb der Familie. Heute arbeitet Anton Defant in Berlin in einer Werkstattkooperative im Projekt San Gimignano Lichtenberg von Arno Brandlhuber. Dort hat er das Waschbecken von Luigi Colani aus den 1970ern überarbeitet und für das dänische Modelabel mfpen ein Spannschienen-System entwickelt. Für den italienischen Hersteller Campeggi arbeitet er an einem Möbel, das 2025 in Mailand vorgestellt werden soll.
Doch zurück zur Lücke: Weshalb entwirft jemand ein dreisitziges Sofa, dass sich auf die Größe eines Rucksacks zusammenfalten lässt? Es gibt eine praktische und eine systematische Begründung. Ein Antrieb seines Projektes war, dass Anton Defant vor seinem Wechsel nach Berlin bereits in Wien in kurzer Zeit zwanzigmal umgezogen war. Die theoretisch-systematische Seite hängt mit seiner Auseinandersetzung mit Angler-, Camping- und Faltstühlen zusammen. Defant begeistert die selbstverständliche Geste, mit der sich ein solches Objekt aufklappen und nutzen lässt. Zunächst erprobt er seine Ideen einer faltbaren Struktur an einem Einzelsitz, entwickelt einen billigen Faltstuhl unter Verwendung von Originalteilen weiter zu "Campsite", der auf eine veränderte kulturelle Kontextualisierung dieses Simpelmöbels abzielt.
Später kommen neue Materialien ins Spiel, Stefan Diez vermittelt den Kontakt zu einem Hersteller von robusten Netzen, wie sie im Gepäckraum von Flugzeugen genutzt werden. Sicherheitsgurte fürs Auto nutzt er als textile Tragstruktur. Zugleich arbeitet er an den Mechanismen der Metallkonstruktion, in die sich diese Gewebestruktur einhängen lässt. Im Laufe des Designprozesses verändert Defant die Dimensionen, dupliziert den Grundbaustein, beginnt Details auszuarbeiten. Weil sie für ihn leichter handhabbar sind, aber auch um sich doch wieder von Camping-Möblern abzusetzen, nutzt er Vierkantelemente, statt der in der Outdoorwelt verbreiteten Rundrohre. Um passende Konstruktions-Prinzipien kennenzulernen, startet Anton Defant eine Recherche, die vom stoffbespannten Safari- oder Kolonialstuhl über Feldbetten bis zum Ziehharmonika-Bett reicht, das sich zu einem Kasten zusammenschieben lässt.
Gibt es nicht längst auch Vergleichbares? In der Tat schuf Stefan Heiliger 1986 für Strässle das klappbare Sofa "Bat", das einer organischen Formensprache verbunden war. Formbestimmend waren ein auf dem Boden liegender Faltmechanismus und eine segelartig aufgespannte Rückenlehne – selbst der "Spiegel" erwähnte das Stück in einer Kurznotiz. Heute ist es vereinzelt noch bei Auktionen erhältlich. Die belgische Designerin Laurence Humier schuf 2007/2008 miteinander verbundenen faltbare Stühle namens "Meeting Chairs" aus Stahl und Aluminium, sie befinden sich in den Sammlungen des Museum of Modern Art, New York und des Vitra Design Museums, Weil und werden auf Bestellung produziert.
"Ballast" wird womöglich in Kleinserie vom Designer direkt produziert und vertrieben. Viele Gleichteile machen es möglich. So viel jedenfalls ist heute schon sicher: Von Anton Defant wird noch die Rede sein.