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Wenn der Anzug den Arzt ersetzt
Fabian Peters: Sie beschäftigen sich mit der Entwicklung technischer Textilien für die Weltraumfahrt. Wo finden diese Textilien zurzeit in der Raumfahrt Anwendung? Welche Forschungen an technischen Textilien laufen derzeit bei der ESA?
Arnaud Runge: Wir entwickeln bei ESA nicht die Textiltechnologien selbst, vielmehr untersuchen wir, in welchen Zusammenhängen smarte Textilien eingesetzt werden können, wie zum Beispiel für medizinische Zwecke. Im Rahmen medizinischer Anwendungen für Astronauten kommen solche Textilien bislang in zwei Bereichen zum Einsatz: als aktives System oder als Trägermaterial.
Als aktives System können diese Textilien die schädlichen Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Körper mindern, wie zum Beispiel Muskel- und Knochenschwund. Ein Problem für Astronauten sind Rückenschmerzen infolge der Schwerelosigkeit. Astronauten können nach einem Einsatz bis zu sieben Zentimeter größer sein, da sich die Wirbelsäule ohne entsprechende Belastung streckt. Zurück auf der Erde steigt das Risiko eines Bandscheibenvorfalls um das Vierfache und der Körper muss sehr vorsichtig trainiert werden. Die ESA hat daher die Entwicklung eines Produktes namens Skinsuit unterstützt. Dabei handelt es sich um einen maßgeschneiderten Overall mit einem bidirektionalen Gewebe, das der Schwerelosigkeit entgegenwirken soll, indem der Körper von den Schultern bis zu den Füßen mit einer ähnlichen Kraft zusammengedrückt wird wie auf der Erde. Die aktuellen Prototypen bestehen aus Spandex, aber es werden auch neue Materialien erforscht.
Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz solcher Textilien als ein Träger in den Sensoren integriert sind. Dies ist zum Beispiel bei einem Projekt mit der Bezeichnung “LTMS – Long Term Medical Survey” der Fall. In die Textilien werden multiple Sensoren integriert, um die physiologischen Parameter des Trägers zu überwachen.
Eine weitere Entwicklung, eine tragbare Überwachungstechnologie, wurde in einen Sportanzug eingearbeitet, den Astronauten während des Trainings tragen. Um weitere Erkenntnisse über die Muskelaktivitäten zu erhalten wurden drei verschiedene, in Kleidung integrierte Sensortechnologien kombiniert: EMG-Sensoren erkennen die Muskelaktivierung, NIRS-Sensoren erfassen Veränderungen im Sauerstoffgehalt ausgewählter Muskelgruppen und Plethysmografie-Sensoren messen den Umfang der Gliedmaßen als Indikator für Veränderungen im Muskelvolumen. Die kombinierten Daten werden dann genutzt, um die Muskelaktivität zu analysieren und das Training zu optimieren. Im Rahmen des Projekts werden zudem neue Erkenntnisse über Flüssigkeitsbewegungen in den Beinen gewonnen.
Welche Rolle werden textile Materialien bei zukünftigen Siedlungsprojekten außerhalb der Erde haben?
Arnaud Runge: Abgesehen von der medizinischen Anwendung wird natürlich weiterhin für eine neue Generation von Weltraumanzügen geforscht, die leicht und zugleich widerstandsfähig sein müssen. Außerdem wird über die Verwendung von aufblasbaren Strukturen für zukünftige Lebensräume nachgedacht. Man kann sich gut vorstellen, dass entsprechend robuste Textilien für diesen Zweck genutzt werden könnten.
Welche aus der Weltraumfahrt stammenden technischen Textilien können hier auf der Erde Anwendung finden?
Arnaud Runge: Bei allem, was für den Einsatz im Weltraum entwickelt wird, hat man auch immer die möglichen Synergien für eine Verwendung auf der Erde im Blick. Die medizinische Forschung zu Muskel- und Knochenschwund könnte uns wichtige Erkenntnisse über die Behandlung von Osteoporose liefern und Rehabilitationsprozesse optimieren. Textile Technologien, die für die Erkundung des Weltraums genutzt werden, können auch für zukünftige Lebensräume auf der Erde eine Rolle spielen, in erster Linie als schnell verfügbare und widerstandsfähige Schutzräume für Menschen, die in Gebieten leben, die von Naturkatastrophen zerstört wurden.
Aber es gibt auch exotischere Projekte der ESA, wie etwa “Couture in Orbit“. Bei dieser Unternehmung, die der Verbindung von Weltraum und “Haute Couture” gewidmet ist, arbeiten wir mit bedeutenden internationalen Modeschulen zusammen.
Werden zukünftig Textilien mit organischen Materialien Verbindungen eingehen? Wenn ja, welche Funktionen sollen diese Hybride haben?
Arnaud Runge: Dieser Aspekt könnte längerfristig untersucht werden. Es gibt bereits erste Vorstudien. Die ESA hat beispielsweise für hygienische Zwecke die Möglichkeit erforscht, wie Substanzen in Textilien mikroverkapselt und dann stufenweise und kontrolliert freigegeben werden können.
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Vom 9. bis 12. Mai 2017