SALONE DEL MOBILE 2017
Kreativ beschleunigt
Es ist wieder soweit: Der Salone del Mobile in Mailand steht unmittelbar vor der Tür. Schon bald werden in den übervollen Messehallen draußen in Rho wie immer die neusten Neuheiten paradieren. Parallel wird bei den über die ganze Stadt verteilten Events „fuori salone“ bei Prosecco und Häppchen weiter aufgetrumpft, nachgelegt, angepriesen. Schulterklopfend wird die eigene Kreativität gefeiert, ununterbrochen der angeblich so unerschöpfliche Treibstoff heutiger Ökonomie verschwendet und sogleich wieder neu produziert. Wer keine Interviews geben oder über den Messestand führen muss, geht auf Entdeckungsreise. Zu bestaunen gibt es jede Menge – sei es Produkt oder Projekt, skurril oder seriös. Zu fragen auch: Was hat sich Grcic, was haben sich die Bouroullecs diesmal einfallen lassen? Welcher Stand überrascht, welcher ist misslungen? Wieso sieht man neuerdings soviel Gold? Haben Lampen noch immer einen Metallkäfig, in dem eine LED im Retrolook wie ein Vogel im Bauer gefangen ist? Läuft man dem Midcentury-Design immer noch hinterher? Wie viele Re-Designs gibt es diesmal? Hat einer hier nicht unverfroren einen Klassiker kopiert? Wie viele Prototypen werden dieses Jahr ins Rampenlicht gestellt, die nie in Serie gehen werden?
Das Ganze, soviel steht fest, wird auch in diesem Jahr ein großer Rummel und ein unendlicher Spaß rund ums Möbel- und Leuchtendesign werden – eben Big Business und Amüsierbetrieb zugleich. Da muss man einfach dabei und stets präsent sein, das gilt für den hungrigen Nachwuchs nicht weniger als für die Etablierten. Ganz gleich, wo man sich tummelt, ob in einem Hinterhof der Zona Tortona oder in einer alten Werkstatt in Ventura Lambrate, ob in irgendeinem Palazzo oder rund um San Babila und die Via Montenapoleone. Und gegen Mitternacht, wenn jeder erschöpft denkt, die Batterie sei leer, nun gehe gar nichts mehr, taucht man in – und vor allem vor – der Bar Basso dann doch noch einmal ein in die Community, die einen so wohlig umfängt, als sei sie ein Jungbrunnen. So ist Mailand, jedes Jahr im April. Für sanfte und allmähliche Entdeckungen bleibt hier keine Zeit. Was zählt, ist der Rausch, dabei zu sein. Wie sollte man auch sonst den Rest des Jahres mitreden können?
Seltsam ist, dass man diesmal in den Wochen vor dem Salone immer wieder auf Leute trifft – Designer und Hersteller – , die einem erzählen: Ich fahre dieses Jahr nicht nach Mailand, mir ist das alles zu viel. Ich habe anderes zu tun. Sicher, manchmal ärgert man sich über aufgeblasene Installationen oder darüber, dass eine Oberfläche, aus welchem Material sie auch sei, nicht mehr einfach nur eine Oberfläche genannt werden darf, sondern sogleich von „Surface&Interface“ die Rede sein muss. Sicher, von ungebändigter Kreativität angereichert und vom Marketing verbreitet, wuchern die Metaphern und Proto-Theorien, die noch dem banalsten Ding übergestülpt werden, in diesen Tagen besonders ungehindert bis ins Monströse. Sicher, ein Stuhl bleibt immer ein Stuhl, und ganz so neu, wie behauptet, ist vieles dann doch wieder nicht. Aber zu viel? Zu anstrengend?
Nein. So ist Mailand eben, wenn wieder Salone ist. Außerdem: Salone und Fuorisalone sind nicht nur Show, nicht nur Laufsteg und Geschäft, nicht nur Überforderung, sie sind auch der Ort eines Familientreffens. Mit allem, was dazugehört, von der Freude, alte Bekannte wiederzusehen, bis zu Konkurrenz, Neid und Streit. Schließlich wollen alle hier ihre Ideen und Visionen zeigen, wollen Zuspruch und Lob ernten für das, woran sie über Monate gearbeitet und gefeilt haben. Also sind alle erleichtert, endlich in Mailand zu sein, und schon deshalb notorisch gut gelaunt, weil sie bei der wichtigsten Möbelmesse des Jahres dabei sind, weil sie teilnehmen an der weltumspannenden Kreativität, die inzwischen jede Handlung und jedes noch so simple Ding erfasst zu haben scheint. Der Eindruck, das Überangebot überfordere, das vage Gefühl, es sei einfach zu viel, was hier auf einen einströme – sie gehören einfach dazu. Und so sehr man sich zwischendurch auch wünschen mag, endlich innehalten zu dürfen, abbremsen und langsam werden zu können – dafür bleibt den Rest des Jahres ja noch genug Zeit. Jetzt ist erst einmal Salone!