NACHHALTIGKEIT
Metamorphosen gestalten
Anna Moldenhauer: Was treibt euch an?
June Fàbregas: Zum einen, dass durch die Industrialisierung die Materialien zunehmend uniform geworden sind. Da ist kein Spiel für Varianz oder für Vielfältigkeit. In der Natur ist es komplett andersherum – es gibt immens viele Arten von Hölzern, Steinen et cetera. Während der Covid19-Pandemie durften wir eindrücklich erfahren, wie abhängig wir von den Ressourcen anderer Länder sind und dass diese nicht unendlich zur Verfügung stehen. Was uns antreibt sind diese Aspekte, dass wir als Gemeinschaft nicht kreislaufgerecht mit den Ressourcen umgehen, dass unsere Versorgung nicht für die weitere Zukunft durchdacht ist und dass auch die Ästhetik vieler industriell hergestellten Materialien mangelhaft ist.
Freia Achenbach: Zudem finden wir den Gedanken schön, einem Material, was auf den ersten Blick keinen Wert mehr hat, einen neuen Nutzen zu geben.
Zu den ungenutzten Ressourcen, die ihr wiederbelebt, gehören unter anderem mineralische Gesteine sowie Bauschutt, Dachziegel, Glasreste und auch ausgediente Grabsteine. Wie erkennt ihr, wann eine Ressource für euch brauchbar ist?
Freia Achenbach: Wir prüfen sehr stark, welche Ressourcen in der direkten Umgebung anfallen, wie an unserem Standort in Stuttgart. Die Stadt hat viele Baustellen, die Menge an Bauschutt ist entsprechend hoch. Dann prüfen wir, ob das Material schon wiederverwendet wird. Wenn ja, in welcher Form. Wir analysieren die Möglichkeiten von einer anderen Perspektive aus anzusetzen und bewerten demnach, ob das Material für uns spannend ist, um damit zu arbeiten.
June Fàbregas: Ebenso versuchen wir vorzugsweise mit natürlichen Materialien zu arbeiten, die keine Giftstoffe aufweisen. Das ist auch zu unserem eigenen Schutz, da wir die Materialien sowohl selbst abholen wie weiterverarbeiten, wir sind in direktem Kontakt mit ihnen.
Wie kommt ihr an die Materialien heran?
Freia Achenbach: Beim Beispiel Bauschutt wenden wir uns direkt an die BetreiberInnen der Baustellen und fragen nach, ob wir mit den Reststoffen arbeiten können. Für unsere Forschung an einer Alternative zum Zement kooperieren wir mittlerweile auch mit Recyclinghöfen. Ab und an werden uns Materialien angeboten, wie alte Dachziegel. Ob wir diese annehmen können, hängt auch davon ab, ob wir genügend Raum haben sie zu lagern. Das ist aber eher die Ausnahme, in den meisten Fällen kommt der Impuls von uns.
June Fàbregas: Es kommt darauf an, in welchem Stadium der Forschung wir uns befinden. Die Erforschung einer Betonalternative läuft schon gut drei Jahre, da sind die Abläufe recht klar – andere Projekte sind gerade erst gestartet und vieles ergibt sich spontan.
Ihr habt unter city-mine.online ein digitales Archiv rund um die Materialreststoffe der Stuttgart21-Baustelle erstellt. Was war die Idee?
Freia Achenbach: Stuttgart21 ist ein sehr prägnantes Ereignis in der Stadtgeschichte von Stuttgart. Wir verstehen bei diesem Projekt die Materialreststoffe sowohl als Ressource wie als Informationsträger. Über das Archiv werden die Fundstücke neu betrachtet, sie erhalten eine Wertigkeit und eine Plattform. Es ist eine spielerische Auseinandersetzung mit ihren Formen und Eigenschaften, ergänzt durch Informationen, die der Materie wieder einen Sinn verleiht. Das Archiv ist aktuell abgeschlossen, aber wir könnten es bei Bedarf jederzeit fortführen.
June Fàbregas: Eine weitere Methodik ist für uns der Austausch mit anderen Kreativen. Das Archiv dient so auch als Quelle. Zudem schließt die Erkundung der eigenen Umgebung an die archäologischen Entdeckungsreisen der letzten Jahrhunderte an. Die spannenden Orte, in denen man Neues entdecken kann, sind manchmal direkt vor unserer Haustüre.
Eure Ergebnisse sind sehr unterschiedlich, funktional, skulptural, experimentell. Ihr verbindet Forschung und Praxis. Wovon hängt das jeweilige Ergebnis ab?
June Fàbregas: Das Ergebnis ist oft an eine Zusammenarbeit gebunden, wie mit Kunstinstitutionen oder der Forschung, die es uns ermöglicht die Botschaft in eine Form zu bringen und Anklang in der Wirtschaft zu finden. Die Arbeiten zeigen verschiedene Stadien – mit der Kunst können wir eine Vision kreieren, die Forschung hilft uns Abläufe zu verstehen und über Alternativen nachzudenken, das Produkt oder funktionale Objekt schafft eine Verbindung zu den KonsumentInnen.
Freia Achenbach: Am Ende hängt das Ergebnis auch oft von dem Briefing oder den Rahmenbedingungen ab, wie dem Zeitraum, der uns zur Verfügung steht oder dem thematischen Fokus. Wie die Aussage lautet, die man treffen möchte. Geht es darum neue Verarbeitungsmöglichkeiten zu zeigen oder eine experimentelle Verarbeitungstechnik? Soll das Ergebnis ein Produkt sein oder dient die Forschung eher der Erkenntnis, was mit der Technologie grundsätzlich möglich ist?
Die Projekte erstrecken sich mitunter über mehrere Jahre. Wie finanziert ihr euch?
Freia Achenbach: Das ist manchmal nicht so leicht. Die Forschung an alternativem Zement haben wir im Rahmen des Landesgraduiertenstipendiums begonnen, in dessen Kontext wir ein Jahr Zeit hatten. Parallel gibt es Phasen, in denen wir keine Förderung oder Finanzierung für unsere Arbeit erhalten, daher arbeiten wir auch in anderen Freelancer-Jobs und sind im Grunde immer auf der Suche nach einer Zusammenarbeit mit Unternehmen oder Institutionen. Insbesondere wenn es sich um die Umsetzung einer Idee im Bereich der Forschung handelt, können wir das mit unseren Möglichkeiten im Studio nicht alleine stemmen.
Wart ihr bei der Recherche für eine neue Ressource überrascht, dass diese bisher nicht genutzt wurde?
June Fàbregas: Im Grunde sind wir das bei allen Ressourcen, die wir erforschen. Bei unserer Recherche für einen Betonersatz haben wir beispielsweise auf den Schuttkippen gesehen, dass dort Marmor zusammen mit Asphalt oder Betonbruch zusammengemischt wird. Die Bruchstücke an sich waren so vielfältig – das Endprodukt nur noch grauer Sand.
Freia Achenbach: Wir verstehen schon, dass die großen Prozesse oft kompliziert sind und es für uns als Studio einfacher ist von außen eine andere Perspektive zu entwickeln. Das ist auch ein Vorteil. Überrascht über manche Abläufe der Ressourcenverwertung sind wir oft dennoch.
June Fàbregas: Interessant ist auch, wie stark sich die Wertigkeit von Materialien verändern kann. Salz war einst ein wichtiges Zahlungsmittel, heute ist es ein Alltagsgut.
Was muss sich eurer Meinung nach in der Gesetzgebung ändern, damit Urban Mining – die Ressourcennutzung der Stadt – zum Standard wird?
Freia Achenbach: Wir haben in Deutschland eine Vielzahl an Normen und Zertifizierungen, die die Wiederverwertung von Materialien sehr kompliziert werden lassen. Ein Material wie Bauschutt seriell nutzen zu können ist ein langwieriger Prozess. Für den Einstieg wäre es hilfreich Pilotprojekte anzubieten, in dessen Rahmen Materialien getestet werden können.
June Fàbregas: Wir sollten mutiger werden auch mal ein Experiment auszuprobieren, anstatt Prozesse über ein Jahrzehnt hinter verschlossenen Türen zu analysieren. Wenn dieser abgeschlossen ist, haben wir vermutlich bereits andere Probleme, die es zu lösen gilt. Durch die abwartende Haltung sind andere Länder oft schneller in der Entwicklung als Deutschland. Ein Beispiel: Wir haben Kontakt zu einem Recyclingunternehmen, die sich auf die Wiederverwertung von Dachziegeln spezialisiert haben. Diese werden als Reststoffe eingekauft und zerschreddert. Es gäbe viele Unternehmen, die Interesse an dieser Ressource hätten, da sie unter anderem als Dünger taugt. Das Recyclingunternehmen darf sein Produkt aber nicht weiterverkaufen, da es als Abfall gilt. An solchen Begrifflichkeiten hängt oft, ob eine Entwicklung erfolgreich verläuft oder nicht.
Was war euer Konzept für den "Baked Ornament Rug"?
Freia Achenbach: Das Projekt ist in Kooperation mit GRDXKN Structure Printing entstanden. Es ist eine Textildrucktechnologie, die wir in diversen Anwendungsbereichen getestet haben, um zu verstehen welche Eigenschaften das Material hat, wie es verarbeitet werden kann. Beispielsweise hinsichtlich der Rutschfestigkeit oder Abriebfestigkeit. In Form des "Baked Ornament Rug" haben wir so das Material im Schablonendruck auf das Textil aufgetragen, so entsteht das Muster nicht durch den sehr aufwändigen Prozess des Webens, sondern zeichnet sich wie ein dreidimensionales Relief auf dem Textil ab. Parallel war es auch ein Spiel mit dem bekannten Bild eines ornamentalen Teppichs, die Übersetzung etwas Gewohnten in eine neue Form.
Woran arbeitet ihr aktuell?
June Fàbregas: Unsere Forschung an einer Betonalternative können wir in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik in Stuttgart fortsetzen, um diese nun in ein Produkt zu übersetzen. Zudem nutzen wir die Technologie auch für andere Zwecke, wie für den Bau eines Altars aus Asche.
Freia Achenbach: Parallel haben wir im letzten Jahr die Installation "In Situ" realisiert, wofür wir unsere eigenen Produktionstools entwickelt haben. Diese ermöglichen uns das Material in einer Art zirkulären Extrusion zu verarbeiten. Mit dem gleichen Verfahren würden wir nun gerne mehr in das Objekt gehen.
Was verbirgt sich hinter eurem Namen?
Freia Achenbach: Der Name Anima Ona hat keine tiefere Bedeutung. Es ist ein Wortspiel aus katalanischen und deutschen Begriffen, also unsere jeweiligen Muttersprachen.
June Fàbregas: Zudem hat uns das Autorendesign auch nicht sonderlich gereizt. Stattdessen möchten wir signalisieren, dass wir ein Studio für kreatives Arbeiten sind, das sich stets verändert, keine feste Größe hat. Uns ist die Kooperation mit anderen Disziplinen wichtig.