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Andalusisches Versteckspiel
von Milenka Thomas | 08.03.2013

Am 5. Dezember vergangenen Jahres, nur wenige Tage vor seinem 105. Geburtstag, verstarb Oscar Niemeyer, brasilianischer Jahrhundertarchitekt und Revolutionär der modernen Architektur. Die Handschrift seiner Bauwerke – bei der strenge Linien und Orthogonalität durch weiche Konturen und eine kurvenreiche Formensprache ersetzt werden – findet man längst auch in den Bauten von Architekturgrößen wie Jean Nouvel oder Zaha Hadid wieder. Doch auch weniger namenhafte Architekten lassen sich bei ihrer Arbeit von Niemeyer beeinflussen. So hat jüngst das spanische Architekturbüro Jesús Torres García ein Bauobjekt fertigstellt, dessen Konzept nach eigener Aussage auf den Prinzipien Oscar Niemeyers beruht.

„Der rechte Winkel zieht mich nicht an und auch nicht die gerade, harte inflexible Linie, die der Mensch geschaffen hat. Was mich anzieht, ist die freie und sinnliche Kurve, die ich in den Bergen meines Landes finde, im mäandernden Lauf seiner Flüsse, in den Wolken des Himmels, im Leib der geliebten Frau.“ - Oscar Niemeyer

Im malerischen Örtchen Salobreña in der südspanischen Provinz Grenada in Andalusien, errichteten die Architekten von Jesús Torres García Ende 2012 auf einem 263 Quadratmeter großen Areal den „Non Program Pavilion“. Unter dem Leitsatz „How to build in natural landscape?“ verwendeten die Architekten beim Bau vor allem solche Materialien, deren Materie und Farbe sich harmonisch in die umgebende Landschaft einfügen. Ein Großteil des Pavillons wurde mit hellen Holzpanelen verkleidet, und auch der von Niemeyer hoch geschätzte Werkstoff Beton fand Verwendung. Die Wände und das Dach aus Beton unterstützen dabei nicht nur die naturnahe Optik des Baus, sie haben auch ökologische Vorteile. Das Naturmaterial wirkt wärmeisolierend, sorgt für eine natürliche Klimatisierung des Gebäudeinneren und eine ausgeglichene Ökobilanz des gesamten Objekts.

Nicht nur die Materialien, auch die Silhouette des Hauses passt sich den Konturen der andalusischen Landschaft an. Die sanft geschwungenen Seitenwände sind als Adaption der von Niemeyer präferierten Bauweise einer organischen, kurvenreichen Formsprache zu verstehen. Seine Vollendung findet das Konzept in einer großzügigen, verspiegelten Glasfront, in der sich das umliegende Areal spiegelt. Einem Chamäleon gleich verschmilzt der „Non Program Pavilion“ mit der Vegetation, den hügeligen Ausläufern der Sierra Nevada und der Weite des andalusischen Himmels. Mithilfe dieses Camouflageeffekts haben die spanischen Architekten ein Bauwerk geschaffen, das nicht wie ein Fremdkörper in seiner Umgebung wirkt, sondern als Erweiterung der Natur verstanden werden soll – als neues, aber integriertes Element der Landschaft. Nicht die Architektur ist es, die hier die Umgebung prägt, es ist die Natur, die das Erscheinungsbild des Bauwerks bestimmt.

„Architektur besteht aus Traum, Phantasie, Kurven und leeren Räumen.“ - Oscar Niemeyer

Bei Tage bleibt das Innere des Pavillons hinter der reflektierenden Glasfront verborgen. Erst bei Einbruch der Dunkelheit, wenn das beleuchtete Haus von innen heraus zu strahlen scheint, gibt es die Sicht auf sein Innenleben frei. Die Wohnfläche des ebenerdigen Pavillons ist durch Weitläufigkeit und Geräumigkeit geprägt. Nur wenige, sanft gewölbte Betonwände unterteilen den Grundriss in angedeutete Areale.

„Meine Arbeit folgt nicht der Prämisse ,Form folgt Funktion’, sondern ,Form folgt Schönheit’”. - Oscar Niemeyer

Oscar Niemeyers Baukunst ist keine Architektur, die sich durch eine vorab definierte Funktion einschränken lässt. „Zweckarchitektur stinkt!“, sagte er einmal im Interview mit einer Kunstzeitschrift. Auch die Architekten von Jesús Torres García ließen sich die Umsetzung ihres Bauwerks nicht durch einen festgelegten Gebäudezweck diktieren. Sie schufen ein Objekt, bei dem die Optik der Funktion vorgelagert ist, die bis heute nicht klar definiert ist. Der Pavillon ist als sozialer Ort für die Gemeinde von Salobreña gedacht und kann von seinen Einwohnern auf vielfältige Weise genutzt werden, für Veranstaltungen, Ausstellungen, Konzerte und Geschäftsmeetings. „Non Program Pavilion“ ist nicht nur Name, sondern auch Programm!

Es wäre vermessen, bei dem spanischen „Non Program Pavilion“ von einem „echten Niemeyer“ zu sprechen. Eine ansprechende Interpretation seiner Bauweise ist das Gebäude jedoch allemal: Eine Hommage, die das Erbe des großen Architekten weiterleben lässt.

www.jesustorres.net

Im andalusischen Salobreña haben die Architekten von Jesús Torres García den „Non Program Pavilion“ erbaut, Foto © Jesús Torres García
Im andalusischen Salobreña haben die Architekten von Jesús Torres García den „Non Program Pavilion“ erbaut, Foto © Jesús Torres García
Die abgerundeten Seitenwände sind eine Hommage an Oscar Niemeyers kurvenreiche Bauweise, Foto © Jesús Torres García
Panorama-View Dank großzügiger Fensterfront, Foto © Jesús Torres García
Die Weiten des andalusischen Himmels spiegeln sich in der Glasfassade des Pavillons wieder, Foto © Jesús Torres García
Die Rückseite des Hauses ist mit hölzernen Panelen verkleidet, die in eine verspiegelte Glasfront übergehen, Foto © Jesús Torres García
Angelehnt an Oscar Niemeyers Bauphilosophie wurde vor dem Bau des „Non Program Pavilion“ keine konkrete Funktion für das Objekt festgelegt, Foto © Jesús Torres García
Bei Anbruch der Dämmerung gibt das verglaste Objekt Sicht auf den Innenbereich frei, Foto © Jesús Torres García
Optisch verschmilzt der „Non Program Pavilion“ Dank des Spiegeleffekts mit der umliegenden Landschaft, Foto © Jesús Torres García
Das geräumige Innenraumkonzept wird nur durch wenige, angedeutete Wände aus Beton unterbrochen, Foto © Jesús Torres García
Beim Bau wurden bevorzugt solche Materialien verwendet, die sich harmonisch in die natürliche Umgebung des Objekts einfügen, Foto © Jesús Torres García
Beton, eine der favorisierten Materialien des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer, fand beim Bau des Dachs, der Wände und des Eingangsbereichs Verwendung, Foto © Jesús Torres García
Der Pavillon soll der Gemeinde von Salobreña als vielfältig nutzbarer Ort dienen, etwa für Veranstaltungen, Konzerte oder Geschäftsmeetings, Foto © Jesús Torres García