top
Lightshow im Jugendzentrum Paradiso (circa 1970)

Rauschhaft und renitent

Das Stedelijk Museum schaut in einer großen Ausstellung zurück auf das einstige Hippie-Mekka Amsterdam.
11.07.2018

Die Niederlande blicken aktuell zurück auf die Geschehnisse rund um das Jahr 1968. So zeigte etwa der niederländische Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig eine Art Reenactment des "Bed-in for Peace", das John Lennon und Yoko Ono im März 1969 im Amsterdamer Hilton veranstalteten. Gerade eröffnet hat nun im Stedelijk Museum die Ausstellung "Amsterdam, the Magic Center", die sich mit der Kunst und Gegenkultur zwischen 1967 und 1970 in der Stadt beschäftigt. 

Abbildung aus der Zeitschrift "Gandalf" (1969/1970)
Lightshow im Jugendzentrum Paradiso (circa 1970)

Amsterdam wurde in den späten 1960er und 1970er zu einem der europäischen Zentren der Studentenbewegung. Die Gründe waren vielfältig: Die historische Innenstadt bot viel Freiraum zur Selbstentfaltung. Die historische Bausubstanz war abseits der eleganten Hauptgrachten vernachlässigt und preiswert zu mieten oder noch preiswerter zu "kraken", also zu besetzen, denn viele alte Häuser standen aus Spekulationsgründen leer. Hinzu kam der über in Jahrhunderten entstandene liberale Geist der Stadt. So wurde Amsterdam in diesen Jahren zu einem regelrechten Gegenentwurf zur bürgerlich-calvinistischen niederländischen Gesellschaft. "Amsterdam ist nicht die Niederlande" heißt es bei dem 2010 verstorbenen Schriftsteller Harry Mulisch über diese Zeit. Die Amsterdamer Spielart der "68er-Revolution" war stark beeinflusst von den Aktionen der "Provo-Bewegung", die, ähnlich den deutschen "Spontis", Satire und Provokation als bevorzugtes Mittel des Protestes einsetzte. Diese ironische Tonlage blieb auch nach der Selbstauflösung der Provo-Bewegung im Jahr 1967 wichtiges Merkmal der Amsterdamer Jugend- und Alternativkultur. Ein anderes war der Hang zum Psychodelischen, der fraglos mit der Liberalisierung der niederländischen Drogengesetzgebung in Zusammenhang steht. Auch die Befreiung aus dem Korsett protestantischer Lustfeindlichkeit wurde in vielfältiger Form gelebt. 

Licht- und Toninstallation "Sunny Implo" von Louis van Gasteren and Fred Wessels (1969)

Das Amsterdamer Stedelijk Museum, das sich bereits in der Nachkriegszeit als Förderer der Avantgarde hervorgetan hatte, öffnete sich schnell den neuen Kunstströmungen. Unumstritten war es in der jungen Szene trotzdem nicht, stand es doch auch sinnbildlich für jene bürgerlichen Eliten, die es zu bekämpfen galt. 50 Jahre später hat die Preisexplosion auf dem Immobilienmarkt die meisten Kreativen und Revoluzzer aus der historischen Innerstadt in andere Quartiere abwandern lassen. Die liberale Drogenpolitik zieht nun statt Hippies scharenweise Rauschtouristen an, die grölend durch die Grachten ziehen. Höchste Zeit also für etwas Nostalgie! (fap)

Amsterdam, the Magic Center. Art and Counterculture 1967-1970
Stedelijk Museum
Museumplein 10
1071 DJ Amsterdam
bis 6. Januar 2019

Öffnungszeiten:
Sa. bis Do.: 10 bis 18 Uhr
Fr.: 10 bis 22 Uhr

Installation der Eventstructure Research Group auf dem Frederiksplein (1969)
Handleiding Krakers (Hausbesetzer-Handbuch), Titelgestaltung: Tjebbe van Tijen
Cor Jaring: Holland Promotion Serie A
Marinus Boezem: Bettwäsche in den Fenstern des Stedelijk Museums (1969)
Lightshow im Jugendzentrum Paradiso (circa 1970)