Geschichte, so Karl Marx, ereigne sich gleich zweimal: einmal als Tragödie und einmal als Farce. Im Pavillon der Vereinigten Staaten in den Giardini lässt sich womöglich eine dritte Variante finden: Geschichte als Sportstunde. Wer glaubt, das sei eine eher heitere Sache, der irrt. Vielmehr widmen sich Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla, die seit 1995 gemeinsam als Künstlerpaar arbeiten, unter dem Titel „Gloria" den Abgründen und Absurditäten einer nicht nur national, sprich amerikanisch, geprägten Körperpolitik. Die Vorstellung des Körpers als Schauplatz von Politik ist nicht eben neu. Schon bei den Griechen war die Olympiade ein Wettkampf von Kriegern. Die Art und Weise, wie Allora und Calzadilla den Körper als Display von Macht, Politik, Geschäft und Religion beleuchten und in einer Kombination aus Skulptur, Performance und Video mehr oder weniger aktuelle Verbindungen reflektieren, erweist sich durchaus als originell. Zutage gefördert werden dabei – nicht immer erfreuliche – Erkenntnisse über Mechanismen der Körperkontrolle.
Ein Panzer als Trainingsgerät
Es beginnt spektakulär: Vor dem Pavillon liegt ein veritabler, beigefarbener Panzer kopfüber wie ein totes Insekt auf seinem Geschützturm. Auf den mächtigen Ketten, die nach oben zeigen wie eine Reihe hilflos in der Luft rudernder Füße, ist ein Laufband angebracht, auf dem jeweils eine professionelle Läuferin oder ein Läufer in Trikots der amerikanischen Nationalmannschaft dahintraben. Ob sie durch ihr Laufen die lautstark rasselnden Panzerketten antreiben oder diese dem Athleten das Tempo diktieren, bleibt in der Schwebe. Begreift man die performative Installation als gleichsam surreales Ensemble, das an sich unvereinbare Elemente symbolisch miteinander verschmilzt (die nicht ganz zufällige Begegnung eines Panzers und eines Laufbandes auf dem nationalen Seziertisch), so sind beide Lesarten gleichermaßen reizvoll. Denn einmal ist es der Körper des – angeblich zivilen – Sportlers, der die Kriegsmaschine antreibt, das andere Mal ist es die Maschinerie des Krieges, die dem Sportler das Tempo diktiert. „Track and Field" lautet der Titel der Arbeit, und so fallen Schlachtfeld und Laufbahn, tatsächlich in Eins, und alles, was hier und dort geschieht, geschieht um des Ruhmes willen, für Glanz und Gloria der Nation.
Krieg und Sport als Ruhm-Agenturen
Man würde sich die Sache also zu einfach machen, betrachtete man das Ensemble in Abwandlung des Slogans der DDR-Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen" schlicht als temporäres Anti-Kriegs-Monument, das nun eben Panzer in Laufbänder verwandelt. Die Sache ist vertrackter. Längst ist das eine – der Sport als nationale Ruhm-Agentur – mit dem anderen – der Armee als der anderen großen nationalen Ruhm-Agentur – auf fatale Weise verbunden. Erst wenn man die – scheinbar zivileren Formen – einer nationalen Körperpolitik hinzunimmt, die in einer Skulptur, drei performativen Installationen und einem Video im Inneren des Pavillons erkennbar werden, wird die Komplexität und Flexibilität der Formbarkeit und Biegsamkeit des amerikanischen Volkskörpers und dessen Verbindungen zu Ertüchtigung und Ruhm deutlich.
Die Freiheit triumphiert in Krieg und Frieden
Gleich hinterm Eingang des Pavillons, in dessen Rotunde, trifft man auf eine verkleinerte Bronze-Replik der „Statue of Freedom", die bis 1863 die Kuppel des Capitols in Washington krönte und auch als „Die Freiheit triumphiert in Krieg und Frieden" bekannt ist. Nun liegt die allegorische Figur ungelenk und steif auf einer Sonnenbank und muss die Bräunungsprozedur ebenso erdulden wie den Titel „Armed Freedom Lying on a Sunbed". Die bewaffnete Freiheit auf einer Sonnenbank – ist die wehrhafte Nation mit einem Mal schwach geworden? Oder ist die Freiheit selbst nun gebräunt, geschwärzt, ja sogar verkohlt?
Turnen in der Business-Class
Es folgen, räumlich getrennt, zwei weitere Arbeiten. „Body in Flight (Delta)" und „Body in Flight (American)" sind jeweils hölzerne Nachbauten von exklusiven Business-Class-Sitzen amerikanischer Airlines, die sich bei Nachtflügen in Betten verwandeln lassen. Sie mutieren zu Turngeräten, die den Charakter seltsamer Altäre annehmen, auf denen eine Messe der Körperertüchtigung gefeiert wird. Mal wird das effektive Geschäftsbett aus den Lüften zum Schwebebalken, mal zum Barren oder zum Pferd, auf dem – streng voneinander getrennt – weibliche und männliche Athleten ihre Kür turnen und dabei ebenso Flexibilität wie Kraft beweisen. So wird auch das „Business" zur akrobatischen Übung und der Körper zum Werkzeug des geschäftlichen Erfolgs. Das Video „Half Mast/Full Mast", in dem Männer ihren Körper im rechten Winkel an Fahnenmasten hängen wie im Winde flatternde Fahnen, und eine Orgel, in die ein Geldautomat eingebaut ist, der, wenn man etwas abhebt, die Orgel dazu bringt, eine immer andere, zufällig generierte Tonfolge oder Melodie zu spielen, runden das Ensemble ab.
Jeder ist eine Fahne
Eines wird deutlich: Statt bloße Symbolpolitik zu betreiben oder Amerikas Vorgehen etwa im Irak oder in Afghanistan plakativ anzuprangern, versuchen Allora und Calzadilla tiefere Schichten der Nation freizulegen. Religion als Geschäft, das Geschäft als Übung in Flexibilität und Anpassung, schließlich der Sport als pseudo-militärische Körperertüchtigung – all das mag einem, zu bloßen Thesen verkürzt, etwas platt vorkommen. Die performativen Installationen sind es aber keineswegs. Wenn man zusieht, wie sich eine Turnerin geschmeidig um die Flugzeugsitze windet, sie wie eine Tempeltänzerin körperlich preist, ehrt und feiert, dann beschleicht einen der Verdacht, der amerikanische Traum der Freiheit könnte sich auf seinem Weg in die Körper in einem Alptraum verwandelt haben. Überhaupt geht es nicht um den Wettstreit von Ideen, sondern um den Macht- und Siegeswillen, der den Körpern eingeschrieben ist. Alles an diesen Verkörperungen ist adrett, alle Körper funktionieren, spulen ihr Programm ab – und sind doch nur Marionetten in einem brutalen Spiel um Macht und Ruhm, Sieg und Niederlage. Dass der Körper der amerikanischen Nation nicht frei, sondern zugerichtet ist, zeigt sich daran, wie und wo jeder einzelne Körper einsetzbar und wie biegsam, sprich manipulierbar er ist. Selbst Fahne und Körper lassen sich nicht trennen. Kurt Tucholsky hat schon 1931 festgestellt: „Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht." Gloria! Gloria! Das Laufband wartet.
In unserer Reihe zur 54. Kunstbiennale von Venedig sind bisher erschienen:
> „Jenseits von Angst und Afrika" von Thomas Wagner
> „Taubenverteilen im Park" von Thomas Wagner
> „Wir verlassen den amerikanischen Sektor..." von Joerg Bader und Thomas Wagner
> „Mitgefangen, mitgehangen" von Annette Tietenberg