Winter in Zürich, der See ruhig, die Wolken grau. Ein Lichtblick bietet derzeit das am Ufer der Limmat gelegene Museum Bellerive. In seinen Räumen glitzert und funkelt es. Die Ausstellung „Kronleuchter - Juwelen des Lichts" kommt genau richtig in der dunklen Winterzeit. Erstmals wird darin die Entwicklung des Kronleuchters vom siebzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart beleuchtet - gleichsam vom Öllämpchen bis zur Leuchtdiode.
Die Tage des Kronleuchters seien gezählt. Im Reiche des elektrischen Lichtes fehle ihm jede Existenzberechtigung und sein baldiges Ende sei nicht fern, liest man in der „Zeitschrift für Beleuchtungswesen" aus dem Jahr 1897. Heute, über ein Jahrhundert später, strahlt der Kronleuchter mehr denn je, allen skeptischen Stimmen zum Trotz. Zeitgenössische Varianten schmücken Privathäuser, exklusive Boutiquen, trendige Friseursalons und Säle von Luxuskreuzern, First-Class-Hotels und Nachtclubs von London bis Shanghai.
Fürstliches Statussymbol
Ein Blick zurück offenbart den Bedeutungswandel. Die ersten Kronleuchter - je nach Sprachgebiet auch Krone, Luster oder Lüster genannt - gab es schon im Mittelalter. Doch erst der Sonnenkönig Ludwig XIV. erhob sie zum Muss in den europäischen Herrscherhäusern des siebzehnten Jahrhunderts. Wie der Name schon sagt, adelte der Kronleuchter als Krone jeden Festsaal. Die aus kostbaren Materialien gefertigten Hängeleuchter waren die höchste Zierde, der Glanzpunkt bedeutender Räume am Hofe. Er symbolisierte nicht nur Luxus sondern auch Macht - und verlieh abendlichen Festen strahlenden Glanz.
Um die geringe Lichtmenge fast ins Unendliche zu vervielfältigen, nutzte man den Trick, in ausgewählten Festsälen die Wände gegenüber der Fenster mit aufwendigen Spiegeln zu schmücken - ein Paradebeispiel ist der Spiegelsaal im Schloss Versailles. Dieses Licht war allerdings nicht „statisch" wie in heutigen Zeiten. Das flackernde Licht zahlloser Kerzen erzeugte helle und dunkle Lichtgestalten - eine Magie, die heute weitgehend verschwunden ist. Gerade einmal fünf Lux Lichtstärke reichten für die Atmosphäre in den Sälen König Friedrich des Grossen in Schloss Sanssouci in Potsdam - heutige Grossraumbüros benötigen tausend Lux.
Geschliffener, kostbarer Bergkristall verlieh den majestätischen Kronleuchtern den Beinamen „Juwelen des Lichts". Kronleuchterschmuck in Form von Kugeln, Ovalen oder Tropfen zierte die Luxusobjekte. Grössere Bergkristallfunde in den Alpen führten zu üppigen Dekorationen in der Form von Laubblättern, Blüten aber auch Musikinstrumenten. All das hatte seinen Preis: Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kostete ein Bergkristalllüster rund dreitausend Taler, immerhin so viel wie zehn Gemälde aus der Schule Jean-Antoine Watteaus.
Demokratisierung des Lüsters
Im achtzehnten Jahrhundert, dem „Siècle des Lumières", führte der Wunsch nach Aufklärung und Erleuchtung zu einem grösseren Lichtbedürfnis. Der Kronleuchter hielt nun auch in weniger wichtigen Räumen Einzug. Die Exemplare wurden kleinteiliger, verspielter, zarter. In den Vordergrund traten Metallgestelle, die Behänge aus Glasteilen in Form von Eiszapfen oder Perlenketten zierten - ganze Kaskaden von geschliffenen Teilen umgaben manche Leuchter. Mit der Industrialisierung wanderte der Kronleuchter bald vom Ballsaal in das Ess- oder Wohnzimmer. Edisons Glühbirne zog in die Wohnung ein. Mit der Elektrifizierung und der industriellen Herstellung von Kronleuchtern setzte der Wandel vom exklusiven Luxusobjekt zum erschwinglichen Dekorationsobjekt ein - eine Demokratisierung des Kronleuchters.
Lüster in vielfältigen Formen fertigt noch heute die Wiener Traditionsfirma Lobmeyr. Das seit 1823 bestehende Unternehmen - ein wichtiger Leihgeber der Züricher Ausstellung - belieferte einst die Hofburg, Schloss Schönbrunn, die bayrischen Königsschlösser und zahlreiche andere europäische Herrscherhäuser. Einer der spektakulärsten Entwürfe der Gegenwart ist der Kristalllüster „Exploding Star", der in mehrfacher Ausführung seit den sechziger Jahren in der New Yorker Metropolitan Opera hängt - und heute frisch restauriert in neuem Glanz erstrahlt. Auch der sieben Tonnen schwere Deckenlüster mit einem Durchmesser von zwölf Metern und mehr als tausend Lampen im Sitzungssaal des Obersten Sowjets im Kreml stammt aus Wien.
Moderne Variationen
Ein Kronleuchter ist immer auch eine Rauminstallation. Heute eröffnen neue Leuchtmittel wie die Halogenleuchte, die Energiesparlampe und die Leuchtdiode dem Lüster neue Möglichkeiten. Einen Ausblick, kontrastierend zu den historischen Entwürfen, zeigen die Beispiele zeitgenössischer Gestalter im Museum Bellerive. Einer der schönsten Entwürfe ist Alicja Wasielewskas „Morph Chandelier", ein zartes Gespinst in modernster Glasfasertechnologie, das auf der Idee eines traditionellen Häkelmusters basiert. An der Grenze zur Kunst bewegt sich Ursula Pallas Entwurf: Ihr Lüstergerüst ist ganz mit Caramel ummantelt. Je länger die Birnen brennen, desto weicher wird die klebrige Masse: der Leuchter als Fäden ziehendes Zuckerstück. Ad absurdum führt Philippe Starck den Kronleuchter als Lichtquelle: Sein Entwurf „Zénith" für Baccarat ist aus schwarzem Kristall gefertigt - Lichtvernichtung statt Illumination.
Dass aber auch heute noch Kerzen unser Gemüt erleuchten, demonstriert der Leuchter von Atelier Oï. Am Ende dünner Karbonfiberstäbe hängen Kerzen. Und wie die Zeit bei einem gemütlichen Essen vergeht, so verändert sich der Kronleuchter. Die herunterbrennenden Kerzen sorgen dafür, dass die Stäbe in die Höhe steigen. Ein poetischer Versuch darüber, wie die Zeit verrinnt.
Kronleuchter - Juwelen des Lichts
Museum Bellerive, Zürich
Vom 3. Dezember 2010 bis 27. März 2011
www.museum-bellerive.ch