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Alicja Kwade

Das Ganze, von außen betrachtet

Alicja Kwade zählt zu den wichtigsten KünstlerInnen der Gegenwart. In ihren Skulpturen, Installationen, Videos und Fotografien hinterfragt sie Systeme, die wir zum Verständnis der Welt verwenden. Mit ihren architektonischen Skulpturen schafft sie zudem einen neuen Wahrnehmungsrahmen. Einblick in ihre Arbeit gibt sie uns im Interview.
16.06.2022

Anna Moldenhauer: Frau Kwade, die Frage warum das System, die Konventionen, die wir als Realität empfinden, so sind wie sie sind, prägt Ihre Arbeiten – sowohl aus naturwissenschaftlicher als auch aus der philosophischen und kulturwissenschaftlichen Betrachtung. Sie erforschen das Grundsätzliche, unsere Existenz, unsere Systeme, unser Sein im universellen Zusammenhang. Inwieweit haben wir eine Chance, diese von uns konstruierte Welt tiefgreifend zu transformieren?

Alicja Kwade: Wir haben jede Chance für fast jede mögliche Welt. Das Problem ist nur, das wir sehr viele kleine organische Teile sind, die sehr einfach einzunehmen und zu manipulieren sind. Folglich können wir das Ganze nur von innen betrachten. Das lässt uns immer wieder die gleichen Muster benutzen und Dinge wiederholen. Die meisten Menschen wollen auch nichts bewusst ändern. Gleichzeitig ist jede unserer Entscheidungen eine ständige Kreation der Welt – ob die Entscheidung nun von Innen oder von Außen kommen mag.

Zu Ihren Arbeiten gehören auch architektonische Strukturen, mit denen sie neue, teils illusorische Perspektiven schaffen. Dank Ihren Werken beginnt man den Ort, an dem sie platziert sind, detaillierter wahrzunehmen, wie bei "In Blur" oder "ParaPivot". Was möchten Sie bei den BetrachterInnen auslösen?

Alicja Kwade: Es gibt grundsätzlich keinen Unterschied ob und was Innen oder Außen ist, die Aussage der Arbeit betreffend. Es macht aber einen Unterschied, wen man anspricht. Öffentliche Arbeiten sind oft schwieriger, da man auf vieles mehr achten muss, und auch sehr viel mehr im Material beschränkt ist, dass den Ansprüchen standhalten muss. Entsprechend limitierter ist man formal, was natürlich auch inhaltliche Einflüsse hat. Es ist aber die Mühe wert, da man eben ein größeres Publikum erreicht, das zudem vielleicht gar nicht nach Kunst sucht – und auch dieses zu erreichen ist wesentlich. Mit Kunst im öffentlichen Raum kann man ganze Kommunen beeinflussen und im besten Fall zu einer Identifikation mit der Kunst und dem Ort führen, was vor nationalistischen Identifikationsmechanismen schützt.

Ich habe gelesen, dass Sie den Eindruck haben, dass die Zeit niemals ausreicht für alle Ihre Werkideen und dass Sie daher sehr zügig arbeiten. Gleichzeitig ist die Zeit an sich und ihr Einfluss auf uns auch Thema vieler Ihrer Arbeiten. Wie wären wir in der Lage dieses rastlose System zu verändern?

Alicja Kwade: Ich teile gar nicht die allgemeine Meinung, dass ein rastloses System eine Abhängigkeit darstellt, die man loswerden muss oder sollte. Es kommt sehr darauf an, was dabei herauskommt. Mehr Zeit und Rast sind nicht unbedingt mit Qualität gleichzusetzen. Und die Zeit wird für meinen Geschmack viel zu sehr romantisiert und klassifiziert – es ist ja fast so, als wenn wenig Zeit nicht gut wäre. So einfach verhält sich das mit der Zeit meines Erachtens aber gar nicht. Ich hätte gerne viel länger wenig Zeit. Nur weil wir zeitlich begrenzte Wesen sind, meinen wir alle mehr Zeit zu wollen.

Für Ihre Arbeiten transformieren Sie Alltagsgegenstände, die einst für eine bestimmte Funktion gestaltet wurden – seien es Smartphones als DNA-Helix, pulverisierte Champagnerflaschen, Wanduhren, an denen sich nicht mehr die Zeit ablesen lässt. Ist für die Verwandlung auch das Design und die Materialität für Sie ausschlaggebend?

Alicja Kwade: Das Objekt muss möglichst wie das gedachte Objekt aussehen. Ich kann leider nicht wissen, wie andere Menschen "Stein", "Lampe" oder "Uhr" denken. Aber die Objekte, die ich benutze, entsprechen meinem gelernten und vereinfachten Bild für das Wort. Und dann gibt es Objekte, die ich bewusst wähle, weil sie für eine bestimmte Zeit stehen. Ich vermute, dass der gedachte Stein in 100 Jahren im wesentlichem der gleiche bleibt, während sicher kein Mensch mehr auf Anhieb an ein iPhone denken wird, wie es in der heutigen Form existiert.

Teil Ihrer Arbeit ist die Illusion der Individualität. Gleichzeitig streben Kreative sowohl in der Kunst als auch im Design und in der Architektur nach einem individuellen Werk. Stehen sie sich damit selbst im Weg?

Alicja Kwade: Meine Arbeit zeigt oft, dass es eben keine Wahrheit oder Individualität gibt, sondern nur Variationen in Raum und Zeit.

Installation view of Big Be-hide (2019) for Helsinki Biennial Helsinki 2021. Courtesy of the artist, KÖNIG GALERIE, Berlin/ London.; Helsinki Biennial

Viele Ihrer Arbeiten sind skulptural, vereinfacht bezeichnen Sie sich auch als Bildhauerin. Warum haben Sie sich für diese Form des künstlerischen Ausdrucks entschieden?

Alicja Kwade: Ich habe noch keinen guten Grund gefunden, warum ich malen sollte. Ich hatte viele gute Gründe für Videos und Fotografien, anfangs auch wirtschaftliche, da das Medium von der Kunsthochschule zur Verfügung gestellt wurde. Als ich dann etwas Geld hatte, habe ich alles für das Material ausgegeben und konnte Objekte auch wirklich physisch herstellen. Und da ich den Außenraum und vor allem öffentliche Außenskulpturen immer wichtiger finde, ist Skulptur fast der einzige Weg.

Warum sind Sie für die Kreation der Entwürfe, das Zeichnen, das Konzeptionieren am liebsten allein im Raum?

Alicja Kwade: Weil das ein sehr intimer Prozess ist und weil man in einen anderen Zustand kommen muss, der fast sowas wie eine Trance ist. Der Zustand ist nicht einfach zu erreichen und geht nur in Abgeschiedenheit – und mit Musik.

Was ist ein Rätsel unserer Welt, das Sie gerne lösen möchten?

Alicja Kwade: Ich wüsste gerne warum das Ganze mit uns und der Welt. Aber besser nicht, es hat wohl einen guten Grund das unsere Gehirne nicht dafür ausgelegt sind das zu verstehen.

An welchen Projekten arbeiten Sie mit Ihrem Team gerade?

Alicja Kwade: An ganz vielen.

"Pars pro Toto", 2018