PREVIEW – MILAN DESIGN WEEK 2023
Versteckte Juwelen
Valentina Ciuffi und Joseph Grima riefen 2018 die analoge Plattform "Alcova" ins Leben, ein neues Ausstellungskonzept während der Mailänder Designwoche, das stets in verwunschenen Orten stattfindet und im vergangenen Jahr von rund 60.000 BesucherInnen erkundet wurde. Valentina Ciuffi ist die Gründerin des multidisziplinären Studio Vedèt, Joseph Grima ist Mitbegründer des Design Research Studio Space Kaviar und Creative Director der Design Academy Eindhoven. 2018 debütierte Alcova in den Ruinen einer ehemaligen Panettone-Fabrik (Cova & G Bakery) nördlich des Hauptbahnhofes, und parallel dazu 2019 in einer ehemaligen Kaschmir-Spinnerei aus den 30er Jahren, Alcova Sassetti.
Esther Strerath: Alcova ist umgezogen und wird nach zweimaliger Präsenz in einem ehemaligen Militärhospital abermals an einem bis dato unbekannten Ort stattfinden. Wollten Sie die Location ändern?
Valentina Ciuffi: Ja, wir wollten etwas Neues. Es liegt in unserer DNA, Dinge zu verändern, neue Orte zu enthüllen und es ist Teil unseres Jobs, Ausstellungen zu organisieren, deren Örtlichkeiten wechseln. Wir sind jetzt im "Ex-Macello", in ehemaligen Schlachthöfen an der Porta Vittoria, viel dichter am Zentrum, neun Taxi-Minuten von dem Dom entfernt.
Wie haben Sie das "Ex-Macello" gefunden?
Valentina Ciuffi: Joseph und ich stromern oft durch Mailand ohne festes Ziel und sind beide fasziniert von verlassenen, vergessenen Orten in der Stadt. Im ersten Jahr, 2018, handelte es sich um einen privaten Ort, eine Ex-Panettone-Fabrik, der einer Bäckerei gehörte. Es war ein erstaunlicher, verwunschener Ort, mit einem riesigen, unbedachten Bogen. Jeden zweiten Tag gingen wir in die Konditorei der EigentümerInnen, die überhaupt keine Vorstellung davon hatten, was wir dort anstrebten. Da waren wir sehr beharrlich – auch das ist Teil unserer DNA. Heute haben wir übrigens unser Büro dort in der Nähe. Die Schlachterei haben wir so bereits vor vier Jahren entdeckt, doch damals war die Location nicht zu haben. Manchmal ist es kompliziert, die EigentümerInnen ausfindig zu machen. Doch wir waren verliebt in das Areal und erfuhren irgendwann, dass die Stadt Mailand mit den BesitzerInnen in Kontakt war. Tatsächlich gehört es einer Firma, die dort eine Schule, Sozialwohnungen und ein Museum plant. In der Zwischenphase dürfen wir dort tätig sein.
Wie kam es zu dem Namen "Alcova", den man vielleicht mit Nische übersetzen könnte?
Valentina Ciuffi: Die Panettone-Fabrik nannte sich Cova, doch den Namen durften wir damals nicht verwenden, Alcova leiteten wir schlussendlich davon ab. Dort hatten wir 3000 Quadratmeter mit wucherndem Grün, ohne Dach, aber mit einer intimen Atmosphäre. Wir zeigen ja immer noch "hidden gems", versteckte Juwelen. Baggio, das Gelände des Hospitals, war zwar bekannt, doch den Teil, den wir bespielt haben, hatte niemand je zuvor gesehen. Ebenso wohl die Schlachthöfe mit ihren 15 Hektar, die wir nun teilweise bespielen. Und die Prozentzahl junger DesignerInnen überwiegt auch bei den insgesamt 90 AusstellerInnen.
Gibt es Grundvoraussetzungen, die AusstellerInnen in der Alcova erfüllen müssen? Und, wenn ja, unterliegen sie zeitgenössischen Strömungen?
Valentina Ciuffi: Nein, Alcova ist eine Plattform und wir möchten reifen Projekten die Chance geben, gesehen zu werden. Aber es ist keine Show, die wir kuratieren. Jede Person die dort ist, hat ihre eigene Leidenschaft, Recherche, ein eigenes Projekt, an dem sie seit mindestens einem Jahr arbeitet. Letztendlich handelt es sich um zu vermietende Flächen. Gleichwohl selektieren wir. Rund 1000 Vorschläge erreichten uns für 2023. Wir wählen aus, was auf einer Linie mit unseren Interessen liegt. Das kann Innovation bezüglich eines Materials sein, oder eines Herstellungsprozesses, einer Ästhetik, oder bezüglich der Nachhaltigkeit, auch wenn ich das Wort nicht leiden kann, da es inflationär benutzt wird. Und manchmal sind die Projekte auch einfach nur schön.
In diesem Jahr gibt es erstmals neben den Ausstellungen einen kuratierten Bereich, was wird dort gezeigt?
Valentina Ciuffi: Ja, wir nennen ihn Alcova Project Space. Hier entschieden wir, nicht zu vermieten. Es ist ein großes Investment für uns und bezüglich des Budgets völlig verrückt, berücksichtigt man, dass wir Strom, Licht, Wasser dorthin bringen müssen. In dieser Zone kuratieren wir und die AustellerInnen wurden von uns eingeladen. Der Space wird auch nach der Mailänder Designwoche weiter bestehen. Dort gibt es drei Themen: "Digital Ornamentalism", das postapokalyptische "After Party" und "Argumented Nature", das sich auf supernatürliche Materialien bezieht.
Klingt sehr komplex.
Valentina Ciuffi: Stimmt, vielleicht ist es besser, wenn wir nicht kuratieren. (lacht)
2018 stellten 20 DesignerInnen/ Unternehmen in Alcova aus, heute sind es rund 90. Mailand kann ja auch recht gnadenlos sein. Lambrate ist gescheitert, Tortona kaum mehr spannend. Wie schützen Sie sich gegen Verschleiß?
Valentina Ciuffi: Wir bewegen uns. Man muss berücksichtigten, dass die Projekte, die gestorben sind, reicher starben, als wir es sind. Sie haben die ganze Energie des Distrikts zerstört. Der Grund, warum er am Ende nicht mehr gut aussah, ist, dass die VeranstalterInnen nicht jeden einzelnen Platz übernehmen konnten, sowohl in Tortona, wie auch in Ventura. Dort konnten dann die Läden der Nachbarschaft selbst Ausstellungen realisieren. Die Qualität ist so recht schnell gesunken. Vielleicht sagt man über Alcova bald etwas Ähnliches. Doch wir werden nie unsere Seele verlieren. Wir haben noch niemals einen "open call", einen offenen Aufruf im Internet veröffentlicht. Im Grunde bleiben wir so wie zu Beginn. Wir selektieren, wir versuchen Einzelausstellungen zu ermöglichen, stecken viel Energie in das Finden des richtigen Platzes für das jeweilige Projekt. Es wird nicht perfekt werden. Und das war es nie. Im nächsten Jahr müssen wir allerdings größer werden, um sicherzustellen als Einzige diesen Ort zu bespielen, der danach abgerissen werden wird.
Wird es zukünftig ein Alcova außerhalb Mailands geben?
Valentina Ciuffi: Wir arbeiten daran, ganz konkret. Es wird in einer Stadt sein, neben einer Messe, in der junge Design-Realität nicht repräsentiert werden kann. Unser Format funktioniert, wenn wir kollateral zu einer großen Ausstellung arbeiten. Natürlich werden wir in dieser anderen Stadt wieder ganz klein beginnen. Wir sind immer noch ein winziges, unabhängiges Team von nicht einmal fünf Leuten.
Welche Ausstellungen werden Sie sich während der Mailänder Designwoche ansehen?
Valentina Ciuffi: Das Nilufar Depot, in dem ich eine Ausstellung kuratiere, und auch die Dependance in Via della Spiga. Auf jeden Fall besuche ich die Triennale, sowie die Schauen von Nicolas Lecompte, Robert Stadler, Bitossi. Drop City hört sich spannend an. Es ist eine lange Liste. Ich glaube, wir werden eine gute Mailänder Designwoche haben!
Alcova
Ex Macello
Viale Molise, 62
20137 Mailand
Öffnungszeiten:
17. bis 23. April 2023
11 bis 19 Uhr, letzter Einlass um 18 Uhr
Eintritt frei
Materials Bar:
19., 21., 22. und 23. April 2023
19 bis 21 Uhr