Rollentausch
Anna Moldenhauer: Wie ist die Zusammenarbeit mit der Heimtextil zustande gekommen?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: Die Zusammenarbeit mit der Heimtextil entstand aus einem Treffen mit gemeinsamen Visionen und weniger aus fachlicher Expertise. Im Laufe der verschiedenen Ausgaben hat Alcovas wandernde Plattform die Textilindustrie auf unerwartete Weise gekreuzt und die Zukunft des Wohnens und Herstellens erforscht, indem sie Stoffe in Erzählungen, Räume und Strukturen verwandelte. Im Jahr 2019 schloss sich Alcova mit Bananatex zusammen, um die exponierte Panettone-Fabrik "Ex Cova" in eine provisorische Ausstellungsfläche zu verwandeln und das wasserabweisende Textil in direktem Kontakt mit den Elementen zu präsentieren. Dieser Ansatz – wo Materialien Geschichten im Raum erzählen – wurde in allen Editionen von Alcova fortgeführt. "House of Lyria" brachte die haptische Tiefe der handwerklichen Textilherstellung ein; Buro Belen verschmolz Technologie mit Handwerk und setzte neue Maßstäbe in der Textilproduktion; Beni Rugs ehrte die reiche Tradition des marokkanischen Webens und Atelier Luma erforschte das Roboterfilzen als neue Technik. Jede Partnerschaft bestärkte Alcovas Engagement, Textilien neu zu denken, nicht nur als Produkte, sondern als integrale Bestandteile eines Raumes. In Anbetracht dessen sah die Heimtextil in Alcovas Vision eine Möglichkeit, im Rahmen der Trends 25/26 frische, immersive Erfahrungen zu bieten, die es den Besucherinnen und Besuchern ermöglicht, sich auf der globalen Bühne mit Textilien sowohl als historische Artefakte wie auch als Materialien der Zukunft auseinanderzusetzen.
In der "Trend Arena" in Halle 3.0 werden für die Messegäste frühere Textiltrends reflektiert und neu belebt. Nach welchen Kriterien habt ihr die vergangenen Textiltrends hierfür ausgewählt?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: Bei unserer Auswahl vergangener Textiltrends ging es weniger um Nostalgie als vielmehr um Resonanz – darum, wie spezifische Momente in der Textilgeschichte beständige Ideen zum Ausdruck bringen. Wir haben uns auf Trends konzentriert, die transformative Auswirkungen hatten, sei es durch Materialinnovationen, soziale Relevanz oder kulturelle Symbolik. Jeder ausgewählte Trend hat einen Bezug zur Gegenwart und ermöglicht es den MessebesucherInnen zu sehen, wie die Textilgeschichte die zeitgenössischen Bedürfnisse und Möglichkeiten beeinflusst.
Der Titel der Heimtextil Trends 25/26 lautet "Future Continuous" – warum ist der Blick zurück für die Entwicklung neuer Ideen im Textilsektor wichtig?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: "Future Continuous" zeigt auf, dass Innovation keine Abkehr von der Geschichte ist, sondern ein Dialog mit ihr. Im Textilbereich gibt es eine Fülle an historischem Wissen – Techniken, Philosophien, sogar ethische Ansätze –, das relevanter denn je erscheint. Wenn wir zurückblicken, wahren wir nicht nur die Vergangenheit, sondern nutzen sie als fruchtbaren Boden für neue Ideen und entwickeln unsere Praktiken mit einem Augenzwinkern gegenüber dem, was vorher war. Es ist eine Erinnerung daran, dass bedeutender Fortschritt oft in der Reflexion wurzelt.
Teil der Präsentation sind sechs Interviews mit DesignerInnen, TextilforscherInnen sowie VertreterInnen von Verbänden und Institutionen. Dabei wird die Textilindustrie und deren verwandte Themen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Was war euch bei der Auswahl der Interviewpartner wichtig abzubilden?
Valentina Ciuffi und Joseph Grima: Wir haben Stimmen gesucht, die die Grenzen der Branche in Frage stellen, und bringen EntscheidungsträgerInnen, ForscherInnen, TextilhistorikerInnen, KünstlerInnen und InnenarchitektInnen zusammen. Alle Befragten bieten einen einzigartigen Blickwinkel – sei es auf Nachhaltigkeit, Handwerk oder Innovation – der uns dazu anregt, die Rolle von Textilien in der heutigen Welt neu zu überdenken. Diese Vielfalt an Perspektiven hilft uns, eine vielschichtigere Erzählung zu entwickeln und aufzudecken, wie tief Textilien in kulturellen, sozialen und materiellen Erscheinungsformen verankert sind.
Für die Ausstellung habt ihr eine Farbauswahl mit 18 Tönen von unterschiedlichen DesignerInnen kuratiert, was war hierbei für euch ausschlaggebend?
Valentina Ciuffi und Joseph Grima: Unsere Farbpalette wurde mit Bedacht zusammengestellt, wobei sowohl die Substanz als auch die Geschichte im Vordergrund standen. Jeder Farbton wurde nicht nur aufgrund seiner ästhetischen Wirkung ausgewählt, sondern auch aufgrund der Geschichte, die er erzählt – verwurzelt in Materialien, Techniken oder kulturellen Einflüssen. Inspiriert von unseren Dialogen haben wir für jede Farbe einen einzigartigen Namen kreiert und Bedeutungsebenen hinzugefügt, die über die visuelle Wahrnehmung hinausgehen.
Alcova ist eine Plattform für unabhängiges Design, die in Mailand ungewöhnliche, historische Orte bespielt. Inwiefern könnt ihr diesen Charakter auf die Präsentation in den Messehallen übertragen?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: Alcova ist in vielerlei Hinsicht eine eigenständige Veranstaltung – wenn auch eine ausgesprochen unkonventionelle. Im Kontext der Heimtextil wird unser Ansatz für die Gestaltung der Trend Arena in der Halle 3.0 nicht nicht auf abgetrennte Räume setzen, sondern die Möglichkeit nutzen, eine Umgebung zu schaffen, die einen offenen Dialog mit dem Publikum und der Branche fördert. Wir wollen Gespräche über unsere Forschung anregen und ein immersives Erlebnis schaffen, das Alcovas besonderen Ansatz im Umgang mit Räumen und Ideen widerspiegelt.
Welche etablierten Ansichten sollte die Textilindustrie in Frage stellen, um neue Perspektiven zu öffnen?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: Eines der größten Paradigmen, mit denen sich die Branche auseinandersetzen muss, ist die Betonung von Menge statt Wert. Der Übergang zu langsamen, bewussten Produktionspraktiken ist unerlässlich, wenn wir eine Zukunft gestalten wollen, die sowohl die Menschen als auch die Ressourcen respektiert. Ein entscheidender Faktor bei dieser Umstellung ist die Materialbeschaffung, da der Anbau von Textilien und ein verantwortungsbewusstes Ressourcenmanagement für die Nachhaltigkeit eines Produkts von zentraler Bedeutung sind. Ein Umdenken in Bezug auf die Rolle der lokalen Produktion innerhalb einer globalen Industrie könnte neue Modelle hervorbringen, die sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch tragfähig sind und einen Textilsektor fördern, der wirklich regenerativ ist.
Inwiefern dienen Textilien auch heute noch als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel von tiefgreifenden, gesellschaftlichen Veränderungen?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: Textilien sind von zentraler Bedeutung für unser Leben, sie umgeben uns in öffentlichen und privaten Räumen und stehen in engem Kontakt mit unserem Körper. Vor allem Heimtextilien haben nach der globalen Pandemie wieder an Bedeutung gewonnen, da die Menschen den Komfort, die Wärme und den persönlichen Ausdruck, den Textilien in die alltägliche Umgebung bringen, noch mehr zu schätzen wissen. Dieser Wandel spiegelt eine erhöhte Wertschätzung für Materialien wider, die nicht nur ästhetisch ansprechend sind, sondern auch taktilen Komfort bieten und uns in vertrauten Räumen verwurzeln. Textilien im Wohnbereich haben eine tiefe Wirkung und verkörpern Werte wie Fürsorge, Wohlbefinden und Nachhaltigkeit, wenn wir darüber nachdenken, wie diese Elemente unser tägliches Leben verbessern.
Was ist für einen ganzheitlichen Ansatz in der Textilindustrie ausschlaggebend?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: Ein ganzheitlicher Ansatz bei Textilien muss über das Produkt hinausgehen und den Prozess einbeziehen, von den Rohstoffen bis zum Ende der Lebensdauer. Es geht darum, Systeme ebenso zu entwerfen wie Objekte, wobei jede Produktionsstufe als Teil eines zusammenhängenden Ganzen betrachtet wird. Dies bedeutet Transparenz, ethische Praktiken und die Verpflichtung, unsere gemeinsamen Ressourcen zu regenerieren, anstatt sie zu erschöpfen.
Welche Erkenntnis habt ihr während eurer Recherchen für die Heimtextil Trends 25/26 gewonnen?
Valentina Ciuffi and Joseph Grima: Unsere Forschung verdeutlichte die bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit textiler Traditionen und ihre grenzenlose Fähigkeit zur Neuerfindung. Diese Reise hat eine Vielzahl von Ansätzen aufgezeigt und bestätigt, dass es keine einheitliche Lösung für eine so komplexe, systemische Herausforderung gibt. Von der Wiederbelebung natürlicher Fasern und neu konzipierten landwirtschaftlichen Praktiken bis hin zu branchenübergreifenden Experimenten, lokalen Innovationszentren und gemeinsam genutzten Maschinen – jede Strategie bringt uns einer nachhaltigen Zukunft näher. Dieses Gleichgewicht zwischen Kontinuität und Wandel steht im Mittelpunkt von Future Continuous. Wir haben verstanden, dass die Textilindustrie sowohl die Verantwortung als auch die Chance hat, auf eine Weise voranzugehen, die zukunftsorientiert und dennoch tief in der Tradition verwurzelt ist – indem sie traditionelle Praktiken an die heutigen Bedürfnisse anpasst und gleichzeitig ein wirklich regeneratives Design-Ökosystem fördert.