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AfE-Turm 1972 – 2014





Immerhin zwei Jahre lang war der AfE-Turm auf dem Universitäts-Campus Bockenheim nach seiner Errichtung im Jahr 1972 das höchste Gebäude Frankfurts. Die Abkürzung AfE steht für „Abteilung für Erziehungswissenschaft“, doch zog diese Abteilung nie ein. Ein Hochhaus nicht etwa für Banken, Versicherungen oder Kanzleien, sondern ein Turm für die Wissenschaft. Noch dazu für die häufig finanziell schlecht ausgestatteten Gesellschafts- wissenschaften! Eine Seltenheit, so ein Hochhaus für eine Universität, könnte man vermuten. Doch zwischen 1968 und 1973 waren die höchsten Bauten in Deutschland Türme der Wissenschaft, wie etwa die Universitäts-Hochhäuser von Hermann Henselmann in Leipzig und Jena.

Die Aufgabe, ein Hochschulgebäude vertikal zu organisieren, gelang den Architekten Nietschke und Werner der Staatlichen Neubauabteilung des Landes Hessen, die den Universitätsbau realisierte, nur unzureichend. Hinter einer klar gegliederten Fassade aus vorgesetzten Betonbänken, die zur Verschattung dienten, verbarg sich eine dysfunktionale Gliederung der Stockwerke. Im Südteil des Turmes befanden sich 31 Bürogeschosse für die Universitätsverwaltung, im Nordteil waren Hörsäle, Bibliotheken und Seminarräume in 23 Geschossen mit anderthalbfacher Etagenhöhe untergebracht. Die Erschließung dieser Räume war das große Problem im AfE-Turm. Fünf von sieben Aufzügen fuhren nur vier Ebenen an, alle weiteren Stockwerke mussten über das Treppenhaus mit den markanten, orangefarbenen Treppengeländern erreicht werden. Weil das Treppenhaus auf der 36. Ebene endete, konnte die Fachbibliothek für „Pädagogische Psychologie und Psychoanalyse“ auf der 37. Ebene gar nur über das Nottreppenhaus erklommen werden. Damit nicht genug: Die Fahrstühle bewältigten selten die studentischen Massen des universitären Alltags. War der Turm doch ursprünglich für 2.500 Studierende konzipiert, musste er es mit der doppelten Anzahl aufnehmen. Oft fielen die Aufzüge aus und verlängerten die Wartezeiten vor den Fahrstühlen in eine gefühlte Ewigkeit.

Mit der Sprengung des AfE-Turm am 2. Februar 2014 hat Frankfurt sein einziges öffentliches Hochhaus verloren, von dem aus jeder auf die Stadt und die Berge des Taunus blicken konnte. Kein Portier versperrte den Weg nach oben, noch mussten Eintritt für eine Aussichtsplattform oder teure Cocktails in hochgelegenen Bars mit Skyline-Blick bezahlt werden. Der Besucher drängte sich in einen Aufzug und konnte, oben angekommen, durch – meist ungeputzte – Fenster auf und über Frankfurt blicken. Dieser wahrhaftig freie Blick auf die Stadt ist nun verloren.

Und auch die Frankfurter Goethe-Universität verliert ein Gebäude, das ein Symbol der Kritischen Theorie war, in dem über die Schriften von Marx, Adorno und Habermas gestritten wurde. Ihre Aspiranten ließen „Randale, Bambule, Frankfurter Schule!“ durch das Foyer hallen, in dem das selbstverwaltete Turmcafé „TuCa“ als ihr zentraler Treffpunkt diente. Damit war der Turm auch ein Symbol für streikende Studierende – war er doch einfach zu verbarrikadieren, denn die Studierenden mussten lediglich mit verkanteten Stühlen die Treppenhäuser blockieren und die Aufzüge ausschalten – und stand ebenso für die universitäre Raumnot in deutschen Hochschulen. Heute weht über den parkähnlichen Westend-Campus der Goethe-Universität, der seit 2001 besteht, ein anderer Geist.

Nun hat sich Frankfurt noch einem seiner letzten großen Vertreter des Brutalismus entledigt. Die anderen markanten Bauwerke dieser Zeit, das Technische Rathaus und das Historische Museum, wurden bereits 2010 und 2011 abgerissen. Die von vielen ungeliebte Ästhetik des rohen Sichtbetons aus den 1970er Jahren musste dem rückwärtsgewandten Wiederaufbau der historischen Altstadt weichen.

Was aber passiert nun dort, wo am Sonntag der Uni-Turm kontrolliert und eindrucksvoll zu Fall gebracht wurde? Die städtische ABG Frankfurt Holding, die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Frankfurt, plant an dieser Stelle – wer hätte es geahnt? – zwei neue Türme. Frankfurt wird einmal wieder mehr Büroflächen und Raum für gehobenes Wohnen gewinnen.





Philipp Sturm
04.02.2014
Fotos: Oliver Elser, Deutsches Architekturmuseum, mit Dank an Florian Schönherr, Ofzoe Visual Projects