JUNGE TALENTE
Viele Facetten
Anna Moldenhauer: Du hast Architektur und Spatial Design studiert, warum hast du für deine Ausbildung diese Kombination gewählt?
Aaron Wessels: Nach meinem Studium der Architektur an der Peter Behrens School of Architecture in Düsseldorf habe ich ein wenig Zeit gebraucht, um mich zu orientieren. Währenddessen habe ich unter anderem im Architektur- und Designjournalismus gearbeitet, was mir eine andere Perspektive auf die Branche gegeben hat. Zudem fand ich den Kontakt zu ProduktdesignerInnen sehr spannend, zu erfahren wie Gestaltung nah am Körper sein kann. Das war quasi ein Zoom-In-Moment für mich, da ich zuvor in der Architektur sehr großflächig gearbeitet hatte. Dennoch fehlte mir nach einer Weile die eigene Kreation – mich selbst auszudrücken durch das, was ich schaffe. Bei Besuchen in Kopenhagen war ich von dem Umgang der dänischen Gesellschaft mit Design sehr fasziniert. Die Royal Academy dort bietet den Studiengang "Spatial Design" an, bei dem es darum geht, die Architektur aus dem Inneren zu schaffen. In dem Studium konnten wir selbst darüber entscheiden, welchen Maßstab wir wählen. Eine kleine Architektur zu entwerfen, liebe ich ebenso wie ein Möbelstück zu kreieren. Während dem Studium in Kopenhagen habe ich mich mit der Arbeitsweise von vielen dänischen ArchitektInnen befasst, mit ihrer Ganzheitlichkeit von Gebäuden bis zum Türknauf alles zu gestalten. Das zu erkennen, war ein wichtiger Moment für mich: Ich muss mich nicht festlegen. Durch mein Design lerne ich mich selber kennen. Die Gestaltung kann eine lebenslange Aufgabe mit vielen Facetten sein.
Welche Erkenntnisse hast du aus deiner Zeit im Studio von David Thulstrup für deinen weiteren Weg mitgenommen?
Aaron Wessels: Für David Thulstrup ist die Arbeit mit Material essenziell. Jede Materialqualität bringt etwas in den Raum hinein, verändert die Atmosphäre in diesem. Wählt man das "falsche" Material, hat das auch einen Einfluss darauf, wie der Raum wirkt, dessen sollte man sich bewusst sein. Zudem habe ich in der Zeit viele spannende Personen kennengelernt. Wie viele Menschen zu dem Team der Studios gehören, die einen großen Namen tragen, wird oft übersehen, obwohl sie es sind, die mit ihren eigenen Visionen die Hauptidee unterstützen. Zu erkennen, was sich durch eine Teamleistung erreichen lässt, war ein essenzieller Learning-Prozess. Sensibilität für das Material und eine Offenheit für die Kooperation zu entwickeln, war zudem eine gute Grundlage für mein Masterstudium.
Ein Ziel von dir ist das Wesentliche auf den Punkt zu bringen – wie ist deine Herangehensweise?
Aaron Wessels: Die Bausteine, die mir während dem Studium in Kopenhagen an die Hand gegeben wurden, waren dahingehend ziemlich gut. Wenn wir ein Projekt starteten, war die Auseinandersetzung mit der Historie des Platzes immer wichtig. Eine andere Säule war, welche Menschen kommen in den Raum, welche Bedürfnisse haben sie und welche räumlichen Qualitäten sollten für diese gegeben sein. Hinzu kommen das Material und das tektonische Element. Wenn ich räumlich arbeite, finde ich es aktuell sehr spannend einen Bestand als Basis zu haben. Mein erster Schritt ist immer die Räume zu analysieren und zu schauen welche Materialien vorhanden sind. Oft gibt es viele Schichten, die man abtragen muss, sowohl haptisch wie räumlich gesehen. Die Frage ist: Was ist die Essenz des Raumes und was bringt er mit? Der Ursprung muss nicht immer das Optimum bedeuten, es kann auch sein, dass die räumliche Reise interessant ist. In der heutigen Gesellschaft wird oft ein "Clean Space", eine pure, reine Fläche, gewünscht. Die ist meiner Meinung nach aber nicht spannend. Räume, die voller Leben sind, muss man nicht immer mit der eigenen Version überzeichnen oder kaschieren, sondern das, was bereits besteht, lässt sich auch mit den eigenen Ideen verbinden. Man sollte sehr sensibel mit dem Ist-Zustand umgehen, mit dem man arbeitet, da sich im Zweifel bereits jemand darüber zuvor viele Gedanken gemacht hat. DesignerInnen nehmen sich oft sehr ernst und wollen ihre Vision groß ausleben, aber das muss nicht bedeuten, dass man dafür einen neuen, weißen Raum braucht.
Die klare Struktur des Beistelltisches "Brut" besteht aus Douglasien-Reststücken von Dinesen und satiniertem Glas – warum hast du dich für diese Kombination entschieden?
Aaron Wessels: Der Ursprungspunkt waren Deckenstrukturen in der brutalistischen Architektur. 2018 habe ich mit einer guten Freundin eine kleine Exkursion gemacht, zu einigen Gebäuden in den Vororten von Paris. Ich war fasziniert, wie sanft die Betonstrukturen im Tageslicht wirkten, wie dieses sehr starke Material durch Licht aktiviert wird. Als ich später einen Holztisch bauen wollte, habe ich mich damit wieder auseinandergesetzt, um die Geradlinigkeit und den grafischen Moment in eine Formensprache zu bringen. Zudem wollte ich sie mit einem Material kombinieren, dass die Grundstruktur offenbart. Klares Glas hat eine sehr harte Wirkung, daher habe ich unterschiedliche Bearbeitungsformen ausgetestet und auch selbst das Material gesandstrahlt. Das war der Moment, in dem ich dem Ganzen nähergekommen bin. In Kopenhagen bin ich dann auf eine kleine Familiengläserei gestoßen, die mir satiniertes Glas empfohlen hat, sprich eine Kombination aus Sandstrahlung und einer chemischen Behandlung. Das ist auch praktikabler, da keine Fingerabdrücke sichtbar werden, wenn man es anfasst. Das Licht fällt sehr schön durch das Glas auf die Struktur und bringt eine gewisse Diffusität mit, die dem Material eine Wärme verleiht. Ebenso wirkt das Holz in Verbindung mit dem satinierten Glas ein wenig tektonischer. Peter Zumthor sagte ja mal, dass der Raum und das Objekt temperiert werden müssen und ich finde, dass das sehr wahr ist.
"Brut" war bereits bei der Präsentation in der NoDe (House of Nordic Design) Ausstellung auf den 3daysofdesign in diesem Jahr mehr als ein Prototyp, deine Idee für den Beistelltisch ist schon sehr ausgereift. Siehst du eine Chance für eine Markteinführung?
Aaron Wessels: Während der 3daysofdesign hatte ich tatsächlich die Gelegenheit, mich mit zwei Kreativdirektoren von Möbelmarken zu unterhalten. Man weiß nie, wo diese Gespräche hinführen, aber es ist ein erster Schritt. Ich bin erst seit zwei Jahren mit dem Studium fertig und diese Zeit ist für mich spannend. Dementsprechend mache ich viele Dinge auch zum ersten Mal. Natürlich ist es das Ziel, dass "Brut" nicht nur bei mir zu Hause steht.
Deine Arbeit ist interdisziplinär – von Möbeln über Leuchten, Retailkonzepten und Setdesign. Gibt es ein verbindendes Element, das dir in allen Projekten wichtig ist?
Aaron Wessels: Darüber habe ich schon öfters nachgedacht, denn es ist wohl die schwierigste Frage von allen. Es ist für mich wichtig atmosphärisch zu arbeiten. Ob ich mich im Spatial Design bewege, im Produktdesign oder im Set Design – ich will immer eine gewisse Sensibilität vermitteln, mit was man sich umgibt und dass es oft auch weniger sein kann. Ich möchte nicht blind einer Idee folgen, sondern den Kontakt zu dem halten, was bereits im Raum vorhanden ist. Das Design eines Produkts muss zu dem Ort passen, für den es entworfen wurde. Ein Produkt sollte im Raum zurückgenommen wirken, und parallel ein Solitär sein. Beim Setdesign erstellt man meist eine Szenerie für einen anderen Kontext, da möchte ich atmosphärisch unterstützen. So sehe ich auch meine Arbeit, dass ich Räumlichkeiten und Produkte kreieren will, die eine Atmosphäre schaffen, in der man sich wohlfühlt. Das ich kaum mit organischen Formen arbeite oder mit Farben experimentiere, ist einfach mein eigener Ansatz. Ich glaube es geht darum sich treu zu bleiben und zu versuchen sich ein wenig von Trends zu lösen, die stets sehr präsent sind. Viele große Marken verkünden "Wir machen keine Trends", aber implementieren dennoch jedes Jahr neue Farben und Formen, weil sich die Produkte dann besser verkaufen. Letztendlich möchte ich mit meinen Designs vermitteln, dass es immer noch möglich ist, sich mit einer Gestaltung über einen langen Zeitraum umgeben zu wollen. Mein Ursprung liegt in der Architektur und somit haben die Produkte, die ich entwerfe, meist auch etwas Tektonisches. Die Klarheit der Architektur in ein Produkt zu übersetzen, ist Teil meiner Designsprache.
Du bist in Deutschland geboren und führst dein Studio Wes derzeit von Kopenhagen aus. Wie empfindest du die Ausgangslage für junge DesignerInnen in der dänischen Hauptstadt?
Aaron Wessels: Ich habe vor zwei Jahren mein Studium beendet und viele meiner Mitstudierenden haben im Augenblick keinen Job, suchen händeringend nach Möglichkeiten. Der Markt in Kopenhagen ist sehr übersättigt. Ich hatte das Glück, dass ich noch während meines Studiums von Muuto angesprochen wurde, ob ich drei Tage die Woche für sie arbeiten will. In der restlichen Zeit kann ich eigene Projekte verfolgen. Das ist eine tolle Ausgangssituation, die mir ermöglicht meinen eigenen Weg einzuschlagen. Dem zuvor standen sehr viele Versuche mich in der Stadt zu vernetzen. Jill Sundqvist, Head of Spatial Design bei Muuto und dort meine Vorgesetzte, hat meinen Kontakt nach einem Treffen behalten und mich drei Jahre später für den Job kontaktiert, was zeigt, dass sie eine sehr loyale Person ist. Das war einfach ein großes Glück. Grundsätzlich kann ich sagen, dass es sehr schwierig ist, als DesignerIn in Kopenhagen Fuß zu fassen. Die jungen Studios und Unternehmen, die in der dänischen Szene erfolgreich sind, werden oft von Kreativen geleitet, deren Eltern bereits in der Branche etabliert sind. Das sie die diese Möglichkeit haben ist toll, aber nach außen vermittelt es oft einen falschen Eindruck. Kopenhagen wirkt wie eine wahnsinnig vibrierende Szene mit vielen Chancen. Aber wenn man nicht bereits einen entsprechenden Hintergrund hat, ist es eine ziemliche Herausforderung den Startpunkt zu finden – wie talentiert man ist, spielt dabei keine Rolle.
Woran arbeitest du gerade?
Aaron Wessels: An der Gestaltung eines Restaurants in Berlin, im Komplex der Wilhelm Hallen. Das ist ein neues Galerieviertel. Ich bin sehr glücklich über das Projekt, da es mir die Chance gibt in einem historischen Gebäude zu gestalten, mit einer großen Fläche zu interagieren. Der Bau umfasst ehemalige Industriehallen mit unbehandelten Wänden, und von dieser Farbwelt inspiriert habe ich bereits ein Regalsystem entworfen. Dem folgen jetzt die architektonischen Elemente. Parallel arbeite ich an einem Kerzenhaltersystem, was ich sehr modular bilde. Auch die Verpackung ist Teil des Designprozesses, denn diese möchte ich so gering wie möglich halten. Dafür bin ich gerade auf der Suche nach spannender Materialität.