REVIEW – MILAN DESIGN WEEK 2023: 5VIE
Gestaltung als Instrument
Von 17. bis 23. April verwandelte sich das Netz an Gässchen und kleinen Straßen zwischen dem Corso Magenta, Sant'Ambrogio und Le Colonne di San Lorenzo bereits zum zehnten Mal in ein wundervolles Freilichtmuseum für entdeckungslustige Designfans. Wer den kleinen gelben Hinweisschildern neugierig folgte, konnte in zahlreichen Ateliers, Innenhöfen und Ausstellungen viel Überraschendes und Sehenswertes entdecken. Denn unter dem diesjährigen Titel "Design for Good” lud das Designviertel 5VIE seine BesucherInnen dazu ein, Design als Instrument zur Kreation und Hege tiefgehender menschlicher Beziehungen zu betrachten. Einen Schwerpunkt bildete dabei das Thema Nachhaltigkeit. Das Wortspiel "Design for Good" spiegelt den Wunsch nach etwas Greifbarem ebenso wider wie das Bestreben, dieses auf das Gemeinwohl auszurichten. Internationale KuratorInnen, KünstlerInnen und Designer waren im Vorfeld dazu aufgerufen worden, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen und die Ergebnisse in mehreren von 5VIE realisierten Ausstellungen an ausgesuchten Orten zu präsentieren. Themen wie Spiritualität, Naturverbundenheit, die Beziehung zu den eigenen historischen Wurzeln, das Drama der Unkommunizierbarkeit und der Begriff der Konnektivität machten deutlich, dass die Stärke des Designs in der poetischen Verbindung zwischen der ästhetischen Dimension (dem Schönen) und der ethischen Dimension (dem Guten) liegt.
“Die aktuellen Ereignisse stellen uns vor unvorhersehbare Herausforderungen und die Aufgabe des Designs besteht darin, nicht gleichgültig zu bleiben und die Dringlichkeit in Chancen zu verwandeln. In einer Zeit rascher Veränderungen kann die Notwendigkeit, wirksame, pragmatische und schnelle Antworten zu finden, dazu führen, dass man den Sinn für Orientierung verliert. In der Auseinandersetzung mit Innovation und Nachhaltigkeit halten wir es für unerlässlich, dass sich das Design Zeit nimmt, um sich neu zu vernetzen und neue, gerechte und gute Designmethoden zu entwickeln”, so die Köpfe hinter 5VIE, die auch auf die Notwendigkeit aufmerksam machen wollten, die Wiederbelebung der Beziehungen und des natürlichen Austauschs unter den Menschen voranzutreiben. 5VIE versteht sich aber nicht nur als Designviertel, sondern auch als Kulturproduzent. Die jeweiligen Produktionen sollten Momente der Reflexion über den Stand der Kunst der Disziplin darstellen, im Zuge derer die Beitragenden dazu aufgefordert worden waren, einen Aspekt des jeweils festgelegten Themas zu vertiefen. In diesem Jahr präsentierte 5VIE sechs Produktionen in Zusammenarbeit mit internationalen Kreativen. Daneben gab es in zahlreichen Showrooms und Pop-Up-Ausstellungen jede Menge Design zu entdecken. Vier unserer Highlights:
Jan Kath
Unkonventionell, visionär, eigenwillig: unter dem Motto “Across the Board" zeigte der bekannte Teppichdesigner Jan Kath in der Galerie Alberto Levi eine Auswahl der bedeutendsten textilen Kunstwerke aus den letzten Kollektionen. Jan Kath verzichtet bewusst auf strenge Designregeln und übersetzt die Ikonographie klassischer Teppiche bevorzugt in eine moderne Matrix. Der unverwechselbare Stil der handgeknüpften Teppiche spiegelt die Handwerkskunst und die Bewahrung alter Techniken wider. Parallel wurden drei grafische Teppichserien von der Architektin und Innenarchitektin Clara Bona vorgestellt.
ON•ENTROPY
Im Innenhof der Stadtvilla des 5VIE Hauptsitzes in der Via Cesare Correnti präsentierte sich die Ausstellung “A Future for the Past” des griechischen Design-Duos on•entropy als eine Hommage an das kostbare Erbe des Marmors von Tinos und an die Entwicklung der für die griechische Insel typischen Handwerkskunst, die sich in den Veränderungen der Gesellschaft im Laufe der Jahren widerspiegelt. Die Schwestern Niki and Zoe Moskofoglou hatten die mit ihrem Familienleben eng verwobene intime Geschichte in einer sinnlichen Umgebung aus Licht, Schatten, Weihrauchduft und Reliquien um das Herzstück der Installation, einen skulpturalen Marmortisch-Altar, inszeniert. Ein Akt der Rückgewinnung, der das formale Erbe und technische Wissen der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft projiziert.
PRENDETE E MANGIATE
Die von Sara Bologna kuratierte Gruppenausstellung "Prendete e Mangiate" am 5VIE Hauptsitz – SIAM in der Via Santa Marta widmete sich ganz dem Thema Tischkultur. Die Installation eines langen, mit Kunst- und Designobjekten gedeckten Tisches als einem Ort des Austausches und Zusammenkommens, dem Schärfen der Sinne und der Verhandlung mit uns selbst und anderen lud die BesucherInnen dazu ein, Essen und Worte auszutauschen und sprichwörtlich das Brot miteinander zu brechen. Zu sehen waren die Werke internationaler KünstlerInnen, KunsthandwerkerInnen und DesignerInnen wie 1220° Keramik, Casa Remedios, Catto Design Studio, DBO Home, DecorAzione by Angela Florio, LAM Ceramica, The Art Flower Maker.
ROBERT STADLER
Während des Fuorisalone 2023 zeigte die Galerie Carwan die exklusive Auftragsarbeit "OMG-GMO" des Wiener Designers Robert Stadler, die in Kooperation mit Bitossi Ceramiche über zwei Jahre hinweg entstanden war. Der in Paris lebende Vertreter der bildenden Künste setzt sich seit Jahrzehnten kritisch und intellektuell mit aktuellen Themen auseinander. Im Zuge der Kreation der Kollektion lieferte der Designer nun einen augenzwinkernden Kommentar zur Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, indem er die genetische Manipulation von Obst und Gemüse gestalterisch thematisierte. Makellos gelbe Bananen, fleischige Avocados, Lauch, Karotten und viele andere Grundnahrungsmittel verwandelte der in Wien geborene Stadler in humorvolle, funktionale Alltagsobjekte wie Tische, Leuchten und Stühle.
