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Der Designer Steffen Kehrle, Foto © Dimitrios Tsatsas
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Fragen an
Steffen Kehrle

16.11.2012

Das vor drei Jahren gegründete Atelier des jungen Designers Steffen Kehrle liegt in einem idyllischen Hinterhof in München-Haidhausen. Nach seinem Industriedesign-Studium an der Universität für angewandte Kunst in Wien war er von 2007 bis 2009 als Designer bei Stefan Diez tätig. Heute arbeitet er zusammen mit drei Mitarbeitern an internationalen Projekten aus den Bereichen Produkt-, Ausstellungs- und Interiordesign. Darüber hinaus unterrichtet Kehrle seit Oktober 2009 an der Kunsthochschule in Kassel im Bereich Möbeldesign und Ausstellungsarchitektur.

HERR KEHRLE, SEIT 2009 FÜHREN SIE EIN EIGENES DESIGN-ATELIER. WAS SIND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN UND HÜRDEN FÜR EINEN JUNGEN DESIGNER?

STEFFEN KEHRLE Das Wichtigste ist, sich sehr genau Gedanken darüber zu machen, was man eigentlich möchte und dies vorausschauend zu planen. Wie ist meine Arbeitsmentalität? Wie stelle ich mir einen Entwurfsprozess vor? Möchte ich ein Büro, ein Atelier, eine Werkstatt? Möchte ich allein oder im Team arbeiten? Für mich persönlich war es nie ein Thema, allein zu arbeiten. Ich brauche den Austausch mit meinen Mitarbeitern und ihren Input, Diskussion und konstruktive Auseinandersetzung. Wenn ich eine Idee habe, spiele ich sie meinem Team zu, oder es kommen Ideen von meinen Mitarbeitern, die ich dann untersuche. Zum Beispiel: Wir arbeiten an einem Stuhl und Dominique hat die Idee, Abstandshalter zu verwenden, damit der Stuhl besser gestapelt werden kann. So entsteht ein ständiger Dialog.

Das Zweite, das ich total wichtig finde, ist die Infrastruktur. Eine Werkstatt, in der Dinge realisiert werden können, ist für mich essentiell. Der Beruf des Designers hat sehr viel mit Handarbeit zu tun, mit Basteln, mit Ausprobieren, mit dem Bau von Prototypen. Wir versuchen, sehr exakte Modelle zu bauen. Bei jedem Projekt gibt es schnell ein erstes Modell, um den Einstieg zu finden. Später bauen wir dann sehr präzise Modelle, für die wir uns zwei, drei Wochen Zeit lassen.

Für die Stühle für De Vorm beispielsweise haben wir aufwendige Werkzeuge entwickelt, um die Prototypen fertigen zu können. Sie bestehen aus Kunststoffstäben, für die wir uns Biegeschablonen gebaut haben, um sie thermisch zu verformen. Die Teile sehen exakt so aus, wie sie in Stahl aussehen würden. Als der Chef von De Vorm die Prototypen gesehen hat, konnte er es kaum fassen. Es kostet uns intern viel Zeit und Geld, diese Modelle zu bauen, doch es spart uns am Ende ein halbes Jahr Entwicklungszeit. Würden die Prototypen firmenintern gebaut, würden oft Monate vergehen.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die größten Herausforderungen und Hürden sind, dass man einen Einstieg finden muss. Man braucht den ersten Kunden, man braucht den zweiten Kunden – und man braucht den ersten wirklich guten Kunden. Aber auch die ersten Niederlagen. Auch das ist wichtig. Es ist wie bei einem Sportler: Wenn Du extrem viel Zeit in ein Projekt investiert hast und es geht den Bach runter, dann ist das ein echtes Problem und Du musst Dich auseinander setzen mit Deinen Fehlern und Schwächen. Doch nur so kannst Du lernen, wachsen und Dich verbessern.

WIE LÄUFT EIN TYPISCHER ENTWURFSPROZESS AB? NEHMEN SIE SICH ZEIT ZUM RECHERCHIEREN UND NACHFORSCHEN ODER ENTSTEHEN IDEEN EHER SPONTAN UND INTUITIV?

KEHRLE Wenn eine Firma gezielt auf uns zukommt, laufen die Prozesse intern eigentlich immer gleich ab. Wir haben ein großes Interesse und Freude am Recherchieren und versuchen uns dem Thema anzunähern, in dem wir auf dem Gebiet genau nachforschen. Und wir mögen das Fremdschauen, beispielsweise in den Bereich der Kunst oder der Architektur. Wir haben uns eine relativ große Bibliothek angelegt und alle im Büro haben mittlerweile ein gutes Grundwissen, was aber nicht nur im Produktdesign verhaftet ist, sondern in der Mode, in der Architektur, in der Kunst – also im gesamten kulturellen Bereich. Bei jedem Projekt brauchen wir einen ersten Aufhänger, eine formale oder konzeptionelle Idee, ein Material. Sobald wir diesen ersten Haken gefunden haben, legen wir los, und zwar in Form von Modellen. Dann brennt hier die Kreissäge!

Es gibt die ‚big idea‘, die klar umrissen ist: Fiat möchte einen Ausstellungspavillon, und unsere Idee ist es, dies mit Hilfe von Spiegeln zu realisieren, damit sich der Inhalt des Pavillons ins Unendliche verliert. Das ist die Idee. Um sie zu realisieren, brauchen wir aber unzählige andere Ideen – wir kooperieren mit einem Statiker, wir nutzen abgekantetes Stahlblech – und so weiter. Und jede dieser Ideen müssen wir natürlich wieder entwerfen und überprüfen und neu denken, eben vom Groben ins Feine übertragen. Alles wird immer konkreter und feiner, auch der Modellbau, der immer präziser und greifbarer wird.

Ein wichtiger Bestandteil eines Designprozesses sind immer auch die Restriktionen. Sie tauchen in jedem Projekt auf. Es kann zum Beispiel in der Produktion sein, weil der Metallbauer keinen 40er, sondern nur einen 60er Radius biegen kann. All diese Einschränkungen, die man zunächst als Hindernis ansieht, führen, so sie produktiv gemacht werden können, am Ende zu einem guten Produkt. Dann bekommt es eine Selbstverständlichkeit und man weiß: Es geht einfach nicht anders. Diese Sicherheit hilft mir sehr, um an einem Projekt nicht zehn Jahre zu arbeiten, sondern irgendwann einen Punkt zu setzen und es abzuschließen.

FÜR DAS 2012 GEGRÜNDETE LABEL „STATTMANN NEUE MÖBEL“ HABEN SIE EIN REGAL ENTWORFEN, DAS OHNE WERKZEUG, SCHRAUBEN UND LEIM AUFGEBAUT WERDEN KANN. WELCHE POTENTIALE STECKEN IN DER ZUSAMMENARBEIT MIT EINEM JUNGEN, NOCH NICHT ETABLIERTEN UNTERNEHMEN?

KEHRLE Es kommt für mich nicht darauf an, wie etabliert, sondern eher wie ambitioniert ein Unternehmen ist. Das Etablierte ist verlockend und es hat viel mit Renommee zu tun, wenn man einen Stuhl oder ein Regal für Cassina entwirft. Es verleiht einem eine ganz andere Präsenz. Ich habe das erlebt, als wir das erste Mal etwas für Muji entworfen hatten. Innerhalb von drei Monaten sind wir gefühlte hunderttausend Mal darauf angesprochen worden.

Mit einem jungen, nicht so etablierten Label passiert das vielleicht nicht, aber darauf kommt es mir im Moment nicht an. Wenn mir ein junges Label erklären kann, was sie gerne mit mir machen möchten und mir die Idee dahinter gefällt, dann ist mir alles andere für den Moment eigentlich egal. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen, aber wenn diese in Ordnung sind, finde ich es sehr schön, für ein junges Unternehmen zu arbeiten.

Nicola und Oliver Stattmann haben uns unheimlich viele Vorleistungen gegeben und sehr viel Energie in das Projekt gesteckt. Sie haben gekämpft und hart gearbeitet für ihre Idee – so stelle ich mir eine Zusammenarbeit vor.

Natürlich war auch das Projekt mit den Stattmanns nicht immer einfach, es gab Probleme betreffend der Stabilität und der Konstruktion meiner Entwürfe, aber alle Diskussionen sind auf einem hohen Niveau geführt worden, die mir das Gefühl gaben, das ich als Designer ernst genommen werde. Dies finde ich extrem wichtig, denn auch ich nehme jeden meiner Kunden ernst. Beide Seiten müssen mit Engagement dabei sein, nur dann kann ein Projekt gut werden.

SIE UNTERRICHTEN SEIT DREI JAHREN AN DER KUNSTHOCHSCHULE KASSEL MÖBEL- UND AUSSTELLUNGSDESIGN. GIBT ES DINGE, DIE IHRER ANSICHT NACH HEUTE IN DER DESIGN-AUSBILDUNG ZU KURZ KOMMEN? BEREITET DIE HOCHSCHULE AUSREICHEND AUF DAS BERUFSLEBEN VOR?

KEHRLE Design zu unterrichten ist insofern schwer, weil es kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Jede Kunsthochschule hat ihr Curriculum und gewisse Schwerpunkte, doch darüber hinaus ist Design sehr individuell zu unterrichten. Man muss versuchen, die Stärken jedes einzelnen Studenten herauszuarbeiten. Gleichzeitig gibt es eine übergeordnete Ebene, die jedem Studenten ein gewisses Maß an Können, an Skills und an Wissen mitgeben muss, die es ihm erlauben, richtig zu arbeiten. Zu diesen Dingen gehört die Designgeschichte, das zeitgenössische Design, Skills wie das Modellbauen, der Prototypenbau, das Handzeichnen, 3D-Zeichnen samt den dazu notwendigen Programmen. Das ist unser Handwerkszeug. Egal wie gut die Idee ist, die man hat, wenn man sie nicht umsetzen kann, kommt man nicht weiter.

Der Designprozess ist sicherlich ein Thema für das Studium, aber die Schwierigkeit ist nicht, einen Stuhl zu entwerfen oder zu bauen – das macht man seit tausenden von Jahren. Die Schwierigkeit besteht darin, ein Produkt produzierfähig zu machen. Es muss für einen vernünftigen Preis verkauft werden können, es muss am Markt bestehen können – dafür brauchst Du einfach richtig viel Wissen und jede Menge Skills. Gut zu sein, reicht in unserem Beruf heutzutage nicht. Du musst mehr als gut sein, um überhaupt die Chance zu haben, in einem guten Büro unterzukommen, Dich selbstständig zu machen und irgendwie Fuß zu fassen.

GLAUBEN WIR DEN VORHERSAGEN DES MAYA-KALENDERS, KÖNNTEN ES NUR NOCH 100 TAGE BIS ZUM ENDE DER MENSCHLICHEN ZIVILISATION SEIN. GIBT ES ETWAS, DASS SIE UNBEDINGT NOCH ERLEDIGEN MÖCHTEN?

KEHRLE Ich hoffe, die Mayas haben sich getäuscht. Mein Beruf, mein Freundeskreis, meine Familie – all das macht mir eine Riesenfreude und ich möchte es nicht missen. Aber es gibt tatsächlich einen Wunsch: Ich würde mir unheimlich gerne eine Auszeit von sechs Monaten nehmen. Ich merke, dass ich irgendwann mal Zeit für mich brauche, um meine Arbeit zu reflektieren und zu schauen, was ich tue und was ich besser machen könnte. Und zwar nicht projektbezogen, sondern generell auf meine gesamte Arbeit bezogen. Nach drei Jahren bei Stefan Diez und drei Jahren Selbstständigkeit ist es meiner Meinung nach an der Zeit, darüber nahzudenken, ob das, was ich tue, überhaupt gut ist. Das schaffe ich nicht in zwei Wochen Urlaub, dafür bräuchte ich mal etwas länger. Und ansonsten – in 100 Tagen kann man noch vieles entwerfen, da würden mir schon noch ein paar Sachen einfallen. Produkte für die Zeit nach dem Weltuntergang wären eine feine Sache. Vielleicht denke ich mal über eine Weltraumkapsel nach.

www.steffenkehrle.com

„Isar” eignet sich sowohl als Innen- wie auch als Außenstuhl, Foto © Dimitrios Tsatsas
Der stapelbare Metallstuhl „Isar”, entworfen von Steffen Kehrle für De Vorm, Foto © De Vorm
Alle Prototypen werden in der Werkstatt des Ateliers gefertigt, Foto © Dimitrios Tsatsas
Modell der „Fiat 500 Designgarage“, Foto © Dimitrios Tsatsas
Der Ausstellungspavillon für Fiat besteht aus einer modularen Stahlkonstruktion, Foto © Dimitrios Tsatsas
Die „Fiat 500 Designgarage“ wurde erstmalig im September 2012 in Köln präsentiert, Foto © Lorenz Holder
Spiegel sorgen für Reflexionen im Inneren des Pavillons, Foto © Dominique Beolet
Der Förderpreis „Neues Deutsches Kino“ für das Filmfest München 2012, Foto © Dominique Beolet
Modelle des Förderpreises, Foto © Dimitrios Tsatsas
Inspirationen und Produkte im Atelier, Foto © Dimitrios Tsatsas
„Framework“, ein Entwurf für den italienischen Hersteller l‘abbate, Foto © Dimitrios Tsatsas
Für das japanische Unternehmen Muji gestaltete Steffen Kehrle den Garderobenhaken „Double“, Foto © Steffen Kehrle
Teile der Ausstellung „Unplugged“ des Bureau Mirko Borsche für die Pinakothek der Moderne, Foto © Dimitrios Tsatsas