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Die Firmenzentrale von Magis in Torre di Mosto im Veneto.

STYLEPARK MAGIS – FOCUS ON HOSPITALITY
Das Übliche in Frage stellen

Das italienische Möbelunternehmen Magis lockt Designer aus aller Welt. Mit dem Chef Eugenio Perazza arbeiten sie gern zusammen – und werden nicht selten zu Freunden. Doch dafür gelten hohe Hürden.
von Thomas Edelmann | 25.10.2016

Blickt man anlässlich ihres 40jährigen Bestehens auf die italienische Firma Magis, beeindrucken die Beharrlichkeit und der Wille zur Neuerung, mit denen sie in vergleichsweise kurzer Zeit zu einem Schrittmacher des Möbeldesigns heranreifte. Dabei herrscht zur Zeit der Gründung in Europa, wie auch im Italien des Jahres 1976, alles andere als Aufbruchsstimmung. Heftige politische Kontroversen und Umweltkrisen bestimmen damals die Debatte. Zugleich beginnt die Suche nach veränderten Konzepten: Designer wenden sich ab vom herkömmlichen Produkt, forschen nach Alternativen. 

Auf Ideen bauen

Keine Zeit, um eine Firma für visionäre Möbelkonzepte zu entwickeln? Eugenio Perazza, Jahrgang 1940, lässt sich von alldem nicht beirren. Anders als manch andere italienische Designfirma beruht die Entwicklung von Magis nicht auf einem traditionellen Handwerksbetrieb, der sich in einen Industriebetrieb wandelt. Was die Firma macht und wofür sie steht, das reift zunächst als Idee im Kopf des Unternehmers heran. Bevor er dazu wurde, hat Eugenio Perazza in der Exportabteilung eines Herstellers von Haushaltswaren gearbeitet. Diese Firma kopiert einfach erfolgreiche Produkte. Perazza will den Firmenchef überzeugen, sich weiter zu entwickeln. Er lädt Richard Sapper ein, Drahtmöbel für den Contract-Markt zu gestalten. Doch dem Chef missfällt die Idee. Forschen und mit Designern zusammenarbeiten, das will er nicht. Doch gerade dies scheint Perazza in einer veränderten Welt unerlässlich. Er geht und startet mit geringem Kapital seine eigene Firma: Magis.

Tragwerk: Der Designer Ronan Bouroullec mit dem Regal der „Steelwood“-Serie.

Am Beginn stehen Dinge für den Haushalt

Unspektakulär wirkt der Klapp-Beistelltisch „Trio“, eines der ersten Produkte von Magis. Am knallig gelben Stahlrohr gibt es einen schwarzen Faltenbalg zur Höhenverstellung. Die runde Platte lässt sich umklappen, das auf drei Punkten ruhende Tischchen kann flach verstaut werden, falls es im Weg ist. Das gilt auch für andere praktische Haushaltsgegenstände aus Metall und Kunststoff, die zunächst das Programm kennzeichnen. Sie sind ansehnlich, einfach zu benutzen und ebenso leicht wegzuräumen. Dazu gehören die Trittleitern „Nuovastep“ (Design: Andries & Hiroko Van Onck) und „Flò“ oder das Bügelbrett „Amleto“. Magis ist nicht Sprachrohr des Gegendesigns. Zu vernünftig und am Nutzen orientiert ist die Ausrichtung. Bald schon tauchen Magis-Produkte in Science-Fiction-Filmen auf, so etwa 2001 in „A.I. – Künstliche Intelligenz“ von Steven Spielberg, denn ihre zeitgenössische Formensprache weist in Richtung Zukunft.

Wand der Designer in der Magis-Firmenzentrale: Hier verewigt sich Erwan Bouroullec.

Das Übliche in Frage stellen

Das persönliche Markenzeichen des Firmengründers ist seine oftmals auf die hohe Stirn gesetzte Brille, so als bedürften nicht allein die Augen der Unterstützung, um klar und deutlich sehen zu können, sondern mindestens genauso sehr der Verstand hinter dieser Stirn. Eugenio Perazza kennt Designer aller Generationen. Er arbeitet mit den Jungen, entdeckt und fördert Talente wie Jerzy Seymour, Jean-Marie Massaud oder Michael Young, hielt Kontakt zu Charlotte Perriand wie zu Pierre Paulin. Eero Aarnio, Enzo Mari, Marc Newson, Richard Sapper, Werner Aisslinger, James Irvine und viele andere haben für ihn entworfen. Dass viele weltbekannte Designer einige ihrer besten Stücke für Magis gestalten, ganz gleich ob sie am Anfang oder im fortgeschrittenen Stadium ihrer Laufbahn stehen, hängt mit Eugenio Perazzas Beharrlichkeit zusammen. Aber auch mit seinen Mitarbeitern, die kompetente Partner und nicht einfach Erfüllungsgehilfen der Designer sind. Deren Entwürfe überprüfen sie kritisch und konstruktiv, wovon beide Seiten profitieren – vor allem aber jedes realisierte Projekt. Perazza schickt Designer, die ihm auf der Messe mal eben einen neuen Entwurf zeigen wollen, mit den Worten weiter, falls sie für das Unternehmen einen Stuhl machen möchten, müsse dieser schon das Zeug haben, alle übrigen Magis-Stühle in Frage zu stellen: „Wenn ihr einfach einen schönen Stuhl machen wollt, dann geht woanders hin“. Anderen Unternehmern würde man das vielleicht als Arroganz auslegen. Doch die norwegischen Designer Anderssen & Voll, deren Barhocker „Tibu“ erfolgreich gegen frühere Modelle antrat, akzeptierten den Rüffel nicht nur anstandslos, sondern erzählen ihn im kleinen Jubiläumsbändchen „40 Magis“ auch noch munter nach. 

Zwei Männer im Schnee: Eugenio Perazza und der Designer Marcel Wanders.

Nach etwas Besonderem suchen

Vom Filmregisseur Ernst Lubitsch wird berichtet, er habe sich am Anfang eines neuen Projektes stets gefragt: „Wie macht man es normalerweise?“ – um sogleich zur Frage überzugehen: „Wie kann man es anders machen?“. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch der Filmfreund Perazza (Lieblingsfilm: „Die vier Federn“ von Zoltán Korda): „Von Beginn an geht es darum, ein Extra in jedes Projekt zu bringen, um sich zu unterscheiden.“ Er könne sich nicht leisten, in seiner Kollektion Dinge bekannter Gestalter unterzubringen, die sie bereits für andere ähnlich realisiert haben. Das gilt auch für Philippe Starck, dessen erste Anfrage für eine Zusammenarbeit Perazza lediglich ein „lass mich nachdenken“ entlockte. Bloß nicht noch eines der üblichen Plastikmöbel, wie sie Starck für viele andere Hersteller bereits gemacht hatte. Das Ergebnis des beiderseitigen Denkprozesses mündete dann im Auftrag für einen ökologisch vertretbaren Kunststoffstuhl – „Zartan“.

Hört die Signale: Designer Konstantin Grcic in der Magis-Zentrale.

Aus diesem Ansatz entsteht eine besondere Herausforderung für alle Designerinnen und Designer, die für Magis tätig werden und die sie – glaubt man ihren Statements in der kleinen roten Jubiläumsschrift – als ausgesprochen reizvoll empfinden. Erste Meilensteine waren in den 1990er Jahren Stefano Giovannonis „Bombo“, der organisch geformte Barhocker, der später ebenso zu einer ganzen Möbelfamilie ausgeweitet wurde wie Jasper Morrisons „Air-Chair“. Dieser Stuhl aus verstärktem Polypropylen war der erste, der per Gas-Injektionsverfahren in einem Stück hergestellt wird. Während des Spritzgießens wird dabei die flüssige Kunststoffmasse mittels Gas von innen in die Form gedrückt. Dabei entsteht eine stabile Konstruktion mit Hohlraum, woraus Materialersparnis ebenso wie geringes Gewicht und kürzere Produktionszeiten resultieren.

Selbstzitate sind verboten

Weil Magis wie ein Verleger passende Technologien, Werkstätten und Produktionspartner zusammenbringt, statt auf die immer gleiche Technik zu setzen und weil Eugenio Perazza wie sein Unternehmensorganismus die Abwechslung, die Herausforderung suchen, verbietet sich jedes Selbstzitat. Das erklärt zugleich, warum Magis lange Zeit nicht als Gesamtkonzept begriffen wurde, sondern als Ansammlung von Highlights. Bis heute findet sich das Unternehmen nur gelegentlich in den zahlreichen Übersichtsschauen und -katalogen, die dem italienischen Design gewidmet sind und es in stets neuen Kontexten sezieren und beschwören. Auch Flagship-Stores und andere geläufige Bestandteile zur weltweiten Markenpflege suchte man bei Magis lange vergebens. „Me too“ ist bei Magis undenkbar, oder doch nur als Bezeichnung für die eigene Kindermöbelkollektion. Beständig ist allein das Zusammenwirken von Eugenio Perazzas Willen, Wissen und Urteilskraft, was alle Aspekte von Innovation betrifft: Formensprache, Herstellungstechnik und Materialien.

Hier am Stift: Alessandro Mendini.
Der Designer Jaime Hayón mit einem Prototyp des Sessels „Piña“.

Ohne Geduld kein Chair_One

Dass all diese Zutaten keineswegs automatisch zum gewünschten Ergebnis führen, haben Perazza und Konstantin Grcic während der Entwicklung des „Chair One“ erlebt. Als der Unternehmer dem Designer vorschlug, für einen Stuhl Aluminiumdruckguss zu verwenden, entschied sich Grcic, nicht etwa wie üblich das Untergestell, sondern die gesamte korbartige Struktur seines Möbels aus Gussaluminium zu gestalten. Von der ersten öffentlichen Präsentation bis zur 2003 beginnenden Produktion vergingen Jahre. Die nachdrückliche Geduld trug Früchte: Das höchst erfolgreiche Projekt – ursprünglich war „Chair One“ für Warte- und Outdoorbereiche konzipiert, fand er bald seinen Weg in Wohnungen und Büros in aller Welt – und hat Unternehmer und Designer zusammengeschweißt. In der Jubiläumsschrift nennt Grcic Perazza „ohne Zweifel“ seinen „liebsten, engsten und am meisten inspirierenden Verbündeten in der Industrie“. Dass dieser ohne jede Angst in die Zukunft schaut und nach neuen Projekten, Abenteuern und Herausforderungen Ausschau hält, das schätzen Designer wie Konstantin Grcic oder Ronan und Erwan Bouroullec besonders an diesem unternehmungslustigen Familienmenschen. Zugleich sind sie, zumindest im übertragenen Sinn, Angehörige einer internationalen Magie-Gemeinde. Dass die Firma zugleich eine Art Familie (und umgekehrt) ist, klingt, sobald es um Italien geht, immer ein bisschen nach Klischee. Im Falle Perazza sind Firma und Familie tatsächlich aufs engste verbunden. Eugenios Sohn Alberto Perazza ist Co-Managing Director und kümmert sich um den ökonomischen Teil der Design-Visionen. Barbara Minetto, mit Alberto verheiratet, leitet das Marketing. 

Alles Superazza: In der Magis-Firmenzentrale haben sich viele Designer, die für das Unternehmen gearbeitet haben, verewigt.

Impulse setzen

Mehr denn je setzt die Firma mit Experimenten neue Impulse – wenn etwa Ronan & Erwan Bouroullec bei der Serie „Steelwood“ Holz und Metall innovativ kombinieren oder bei dem Programm „Officina“ dem Schmiedeeisen eine neue Form und Funktion im Möbelbau geben. Ob Ron Arad, Thomas Heatherwick oder Jaime Hayón, sie alle haben für Magis Objekte mit besonderer Magie geschaffen. Als Versinnbildlichung seiner Arbeit hat Eugenio Perazza das Maultier als Maskottchen für Magis gewählt, jenen zuverlässigen, neugierig-gutmütigen Lastträger, der sich besonders für schwierige, lange und bergige Strecken eignet. Über Lubitsch, den Andersmacher, hat der deutsche Kritiker Karsten Witte geschrieben, er habe „den sinnlichen Mehrwert“ verkörpert, „den das Kino immer verspricht und selten einlöst“. Den Mehrwert, den Design einst verkörperte, sieht Eugenio Perazza durch die verschärfte Konkurrenz der Designer schwinden. Gestalter lieferten zunehmend statt Design nur noch Stilübungen ab. Mit Magis, dem Designunternehmen, sind solche Eseleien jedenfalls nicht zu machen.

Außenbereich der Magis-Firmenzentrale mit der Outdoor-Variante des Sessels „Traffic“ und dem Chair One Public Seating System 1, beides Entwürfe von Konstantin Grcic.
„Spun“ von Thomas Heatherwick in der Magis-Zentrale.
Regalsystem „Boogie Woogie“ von Stefano Giovannoni in der Bibliothek.
Viel Verkehr: Bezugsstoff-Varianten des Sessels „Traffic“ von Konstantin Grcic.