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Erleuchtet: Das Victoria & Albert Museum, das selbsternannte Designzentrum des LDF. Alle Fotos © London Design Festival
28.280 bunte Glaskugeln
von Antje Southern
01.10.2013

Warum sich die Mühe machen und nach Mailand, Stockholm oder Berlin fahren, wenn man die neusten Designtrends auf dem „London Design Festival“, kurz LDF, präsentiert bekommt? Alle sind sich einig, dass man auf dem LDF gar nicht erst nach Designneuheiten suchen muss. Die meisten sind längst bekannt, waren sie doch unlängst auf einer anderen Designweek zu sehen.
Unsere Tour zu den verschiedenen Installationen, Ausstellungsorten und Veranstaltungen ist nicht von der Suche nach Neuem geprägt; vielmehr liegt uns daran, das diesjährige Treiben in der Welt der Gestaltung mit seinen Höhen und Tiefen zu vergleichen und rückblickend zu bewerten. Die Reise führt uns durch die ganze Stadt, die es auf ihre unvergleichliche Art schafft, zeitgenössisches Design mühelos mit historischer Tradition zu verschmelzen.

Die weitläufigen Räumlichkeiten des Victoria & Albert-Museums, das sich selbst zum Designzentrum des LDF ernannt hat, sind geradezu prädestiniert für die Inszenierung von Designobjekten. Obendrein bieten die Sammlungen, die 2000 Jahre Gestaltungsgeschichte schreibt, die perfekte Kulisse.

28.280 von Omer Arbel

Der Kronleuchter von Omer Arbel in Zusammenarbeit mit Bocci lässt auf zauberhafte Weise eine Verschmelzung aus Alt und Neu entstehen. Gleich im Eingangsbereich des V&A heißt die Installation die Besucher willkommen. Arbel ist stolz auf seine bisher größte Installation, die ihm ein Höchstmaß an technischem Geschick abverlangt hat. Schließlich mussten insgesamt 28 Leuchten mit jeweils 280 individuell gefertigten Glaslampen in der 30 Meter hohen Kuppel aufgehängt werden, ohne eine der insgesamt 280 Glaskugeln zu beschädigen. Das sanfte Lichterspiel, das von den pastellfarbenen Kugeln ausgeht, zieht den Blick des Besuchers auf spielerische Weise an der Kassettendecke entlang in die Höhe. Dass diese anmutige Ästhetik so beiläufig entstanden sein soll, wie der Designer sagt, ist schwer zu glauben. Jedoch sei es das Ergebnis eines Fertigungs- und Installationsprozesses, beharrt er, und nicht von künstlerischer Vorstellungskraft.

Der LDF-Informationsstand heißt „Louvres“ und befindet sich strategisch geschickt direkt unter der kaskadenförmig herabschwebenden Installation. Eigens von Giles Miller Studio in Auftrag gegeben, spiegelt sich der Empfang mit seiner facettenreichen, geometrisch geschliffenen und aus „Corian“ gefertigten Oberfläche im weichen Licht des Kronleuchters.

Ein detaillierter Plan zeigt die jeweiligen Standorte der Designinstallationen innerhalb des prunkvollen Gebäudes und schickt den eifrigen Pilger auf eine sieben Meilen lange Reise durch das Museum.
Den Gestaltern wurden gezielte Orte innerhalb der Ausstellung zugewiesen, an denen sie ihre Installationen errichten konnten. Als Verbindungsglied zwischen Alt und Neu hat Amorim, ein weltweit führender Kork-Anbieter aus Portugal, einen kunstvollen Bodenbelag aus diesem natürlichen Material auf der Brücke verlegt, die uns einen Blick auf die meisterliche Rekonstruktion des Innenraums einer Renaissance-Kirche ermöglicht. Die Zellstruktur des Materials bildet die Basis für das Trompe l’oeil-Muster – und nimmt obendrein Bezug zu den geometrischen Bodenfliesen im Raum darunter.

Dinner Party von Scholten & Baijings

Scholten & Baijings bitten zu Tisch und präsentieren diese fiktive Dinner-Installation im Norfolk Music-Raum. Allerdings nicht in einer makellosen Verkaufsraumästhetik, sondern als aufwühlendes Durcheinander, das die Gäste nach der Feier zurücklassen haben. Die Gestalter wollten damit eine Gegenüberstellung zeitgenössischer Alltagsgegenstände zu dem vergoldeten Prunk des Norfolk Music-Raums aus dem 18. Jahrhundert schaffen, was jedoch nicht ganz gelingt. Der Kontrast ist einfach zu stark.

Die erfolgreichste Installation auf dem LDF ist das zauberhafte Windportal von Najla El Zein, das dem Museum zu neuem Charme verhilft. Die Designerin aus dem Libanon hat mit einem Vorhang aus 5.000 Papierwindrädern einen Übergang zwischen dem Museumsinneren und einem offenen, überdachten Innenhof hergestellt, der sich bei jedem Lufthauch zu drehen beginnt. Und damit sämtliche Sinne anregt: Weiches Licht erweckt den Anschein, als ob die Sonne durch das Blattwerk blinzelt und durch die sich drehenden Papierrädchen entsteht eine säuselnde Klanglandschaft, die an Flötenspiel erinnert.

Gott steckt im Detail

Die faszinierende, sich über mehrere Standorte erstreckende Ausstellung zeigt die immense Vielfalt der Sammlungen, die ihre Entstehung dem berühmten Ausspruch Ludwig Mies van der Rohes verdankt: „Gott steckt im Detail.“ So stellte Swarovski 14 Designern unterschiedlichster Disziplinen Speziallinsen zur Verfügung und trug ihnen auf, das Augenmerk auf ein besonderes Detail zu richten, das leicht übersehen werden kann. So positioniert Ilse Crawford ihre Linse inmitten der „Ceramic Galleries“ auf die unleserliche Inschrift auf einer Porzellanteekanne, die im 17. Jahrhundert für einen chinesischen Gelehrten entworfen wurde. „Den historischen Typologien zum Trotz“ steht dort in schnörkelloser Schlichtheit geschrieben.

Mit der Ausstellung „Alessi Made in Crusinallo“ möchten das V&A-Museum und das LDF die Besucher dazu ermutigen, sich jenseits der Ästhetik mit dem Thema Gestaltung zu beschäftigen. Hier geht es um Kunst und Fertigkeit in der Herstellung, die oftmals ein Schattendasein führen. Die Show illustriert, wie sich das in der Manufaktur Alessi fest verwurzelte Verständnis von Kunsthandwerk in moderne industrielle Fertigung übersetzen lässt. So werden eine Reihe bekannter Alessi-Produkte standesgemäß in den Transportkisten der Manufaktur präsentiert. Zeichnungen aus dem Alessi-Museum und ein eigens für diesen Zweck in Auftrag gegebener Film geben Einblicke in die zukunftsweisenden Fertigungs- und Gestaltungsabläufe der Manufaktur.

Max Fraser, stellvertretender Direktor der London Design Week, konzentriert sich bewusst auf solche Gestaltungskategorien, die seines Erachtens unterrepräsentiert sind, insbesondere Typografie und Illustration. In Zusammenarbeit mit Moleskine hat das LDF 70 in London ansässige Designer gebeten, die Bedeutung der Illustration für den Gestaltungsprozess zu demonstrieren. Das Ergebnis: „Moleskine Sketch Relay“, Zeichnungen und Kritzeleien, die sich durch aufgeschlagene Leporello-Skizzenbücher ziehen.
Längst war es an der Zeit, dass sich eine Designausstellung auch einmal mit Typografie und Zeitschriftengestaltung beschäftigt. So ist das V&A-Museum zusammen mit dem LDF an Dominic Lippa, Partner im Grafikdesignstudio Pentagram, das unter anderem das markante Logo der London Design Week entwickelt hat, mit dem Wunsch herangetreten, die Ausgaben 8-18 der preisgekrönten Zeitschrift „Circular" auszustellen, die von Typografie-Liebhabern individuell gestaltet wurden.

Ein Blick in die Vergangenheit, um die Zukunft zu verstehen

Neben der kuratorischen Arbeit hat das LDF einen Designfonds aufgelegt, der jährlich 100.000 britische Pfund einbringt und dem V&A-Museum für den Kauf von zeitgenössischem Design zur Verfügung steht. Unter den Neuzugängen ist der „Liberator“, eine auf einem 3D-Drucker in Einzelteilen ausgedruckte Pistole aus der Feder von Cody Wilson. Der texanische Jurastudent begreift seine Arbeit jedoch nicht als Design im klassischen Sinne, sondern als eine politische Handlung. Dies zeigt, dass das Museum nicht vor dieser „fiesen“ Seite der Gestaltung zurückschreckt.
Andere Neuzugänge wie das „Toaster Project“ (2009) von Thomas Thwaites beleuchten heutige Produktionsbedingungen. So hat der Designer einen Toaster in seine Einzelteile zerlegt, sich die Rohmaterialien zum Bau desselben Modells beschafft, und dieses für 1187,54 britische Pfund in Eigenregie produziert. Zum Vergleich: Einen billigen Toaster aus dem Supermarkt bekommt man bereits für 3,49 britische Pfund. Weitere Objekte sind die Behälter der niederländischen Designfirma Studio Formafantasma, die für ihre Reihe „Botanica“ mit Kunststoffen experimentiert hat, die nicht aus Erdöl, sondern aus pflanzlichen Polymeren bestehen. Der Möbelbauer Gareth Neal schließlich ist überzeugt, dass man einen Blick in die Vergangenheit werfen muss, damit man die Zukunft verstehen kann. Die mit der Stichsäge ausgeschnittene Oberfläche der Kommode „George“ (2008/13), die sich unter den Neuakquisitionen befindet, hat Neal einem digitalen Zeichenfehler zu verdanken.

Die Gestaltungsgeschichte erzählt sich quasi von selbst, wenn man die verschiedenen Stilrichtungen von Möbeln und ihre Herstellung betrachtet. In diesem Sinne präsentiert das V&A-Museum Stühle, die es in die Endauswahl für die "Bodleian Library"-Competition geschafft haben. Dabei handelt es sich um in 3D ausgedruckte Prototypen sowie drei fertige Modelle von Amanda Levete Architects (Hersteller: Herman Miller), Matthew Hilton (SCP) und von Barber Osgerby, die mit ihrem Stuhl in Zusammenarbeit mit dem kleinen britischen Hersteller Isokon als Gewinner der Runde hervorgingen. Interessanterweise hat die Jury in ihrer Beurteilung häufig auf altmodische, traditionelle Werte gesetzt. So loben die Mitglieder Barber Osgerbys dreibeinigen Eichenstuhl für seine Verkörperung der Handwerkstradition und die skulpturale Form.

Verändert sich die Stimmung unserer Epoche?

Auf der gegenüberliegenden Flussseite zeigt das Design Museum das Konzeptauto von Ross Lovegrove für Renault zusammen mit Lovegroves neuem Stuhl „MOOT“ (Mood of Our Times), produziert von Established & Sons. Anstelle von bahnbrechendem Design finden wir hier jedoch Altes in neuem Gewand. Der „MOOT“-Stuhl demonstriert die Belastbarkeit von Kohlefasermaterialien, die Lovegrove sich zuvor in seinen Koffern und nun in der gewagten Krümmung der freischwingenden Sitzfläche zunutze macht. Jedoch ist die Gestaltungsästhetik mit ihren offensichtlichen Wurzeln im Bauhaus des 20. Jahrhunderts und den organischen Linien von Verner Panton auf eine enttäuschende Weise vertraut. Ein vergleichender Blick auf Barber Osgerbys Eichenstuhl lässt uns tatsächlich über die grundlegende Stimmung in unserer Epoche nachdenken. Nach all den Jahren des technischen Fortschritts strahlt der Gedanke an ein einfaches Leben erneut einen gewissen Zauber aus und deutet eine Rückkehr zum Handwerk an, zu vertrauten Konzepten, wie sie auch Ruskin und Morris vertreten.

Die Fortsetzung des Berichtes vom „London Design Festival" können Sie hier lesen.

www.vam.co.uk
www.londondesignfestival.com

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…5000 Windräder aus Papier.
Swarovski stellte Spezial-Linsen zur Verfügung, die Designer auf verschiedene Exponate des V&A ausrichteten.
Pentagrams „Circular" Magazine, ausgesucht und präsentiert von Dominic Lippa.
Frisch eingetroffen: Der „Liberator”, die 3D-Drucker-Pistole des texanischen Studenten Cody Wilson.
Die mit der Stichsäge ausgeschnittene Kommode „George“ von Gareth Neal entstand aufgrund eines digitalen Zeichnungsfehlers.
Max Fraser, stellvertretender Direktor des London Design Festival, stützt sich auf den Stuhl von Barber Osgerby, entworfen für den Wettbewerb „Bodleian libraries”.