Was es braucht
Zahlenmystik hin oder her, machen wir uns nichts vor: 2016 – Sweet Litte Sixteen – hat nicht wirklich gehalten, was der süße jugendliche Klang des Namens zu versprechen schien. Ich will gar nicht erst anfangen aufzuzählen, was so alles anders als erwartet oder einfach schlecht und schief gelaufen ist im eben zu Ende gegangenen Jahr. Sie wissen, wie die Namen der bekannten Desaster – die persönlichen nicht eingeschlossen – lauten, von A wie Aleppo und B wie Brexit bis zu T wie Trump und, ja, auch das, bis zu Trousergate. Von wegen Sweet Little Sixteen.
Was also dürfen wir für das kommende Jahr erwarten? Wenn schon in Deutschland, angeblich doch das Land der Dichter und Denker, im Fach Deutsch an Gymnasien eine korrekte Schriftsprache nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und in einer Deutscharbeit noch eine 1- bekommen kann, wessen Arbeit gravierende Mängel in Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik und Ausdruck aufweist? Trotzdem gibt es viele, die wollen, dass nicht nur von Bildung geredet und das Gegenteil praktiziert wird. Andere oder dieselben wollen zurück zu einem Wirtschaften, das nicht andauernd crashed. Auch möchten immer mehr Menschen nicht überall an Bildschirme gekettet sein und in jedem Augenblick ihre angeblich geheimen, in Wahrheit aus geklauten Daten erschaffene Wünsche angeboten bekommen.
Aber lassen wir das postfaktische Gejammer und die Illusion einer „post election policy“ und kommen, da die 20 als Rundzahl numerologisch eh nicht viel hergibt, zur Zahl 17, die uns nun ja ein Jahr lang begleiten wird. Der Kalender springt ohnhin ungerührt um und wir müssen mit, immer weiter, immer voran. Siebzehn, was hat es mit dieser Zahl auf sich?
Dass Schlagerbarden von „siebzehn Jahr, blondes Haar“ sangen oder ihre Kolleginnen Liedzeilen wie „Mit 17 hat man noch Träume“ trällerten, muss als historisch hingenommen werden, bringt uns aber nicht weiter. Macht man sich schlau, so findet man rasch heraus: Im Altertum und im Orient war die 17 von großer Bedeutung, wurden dem Staatsgott von Urartu, dem Gebiet um den Ararat, doch 17 Opfer dargebracht. In der Bibel ist sie überraschenderweise mit der Sintflut verbunden: Diese begann am 17. Tag des zweiten Monats und endete am 17. Tag des siebten Monats, als Noah den Ararat erreichte. Auch im Schlusskapitel des Johannesevangeliums spielt die 17 eine Rolle: Als Jesus sich seinen Jüngern am See Tiberias offenbarte, waren diese gerade beim Fischen, hatten aber die ganze Nacht nichts gefangen. Da sagte Jesus zu ihnen: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?’ Sie antworteten ihm: ,Nein’. Da sagte er zu ihnen: ,Werft das Netz an der rechten Seite des Bootes aus, dann werdet ihr finden.’“ Als Simon Petrus später das mit vielen großen Fischen gefüllte Netz an Land zieht, zählt er 153 Fische – „und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht“ (Joh 21, 1-14).
Es hat im Lauf der Zeit viele Überlegungen gegeben, weshalb hier die genaue Anzahl der Fische genannt wird und was es mit der Zahl 153 auf sich hat. Der Kirchenvater Augustinus nahm die Sache mathematisch und erkannte, dass 153 nichts anderes ist als die Summe der Zahlen 1 bis 17. Die Zahl 17 teilte er auf in die 10 Gebote und die 7 Gaben des Heiligen Geistes, und die Apostelgeschichte führt angeblich 17 Namen von Volksgruppen an, die das Pfingstereignis miterlebten. Sogar in der Apokalypse taucht die 17 auf. In Kap. 13,1 schreibt Johannes: „Da sah ich ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Köpfe und zehn Hörner und auf seinen Hörnern zehn Diademe und auf seinen Köpfen gotteslästerliche Namen.“ Das Tier, das den Fluten entsteigt, ist der Widersacher Gottes, der sich an dessen Stelle setzen möchte und die Attribute seiner Heiligkeit für sich beansprucht.
Immer wieder scheint die 17 mit Wasser, Fluten, Fischen und seltsamen Tieren verbunden zu sein. Womöglich liegt darin auch ein Grund dafür, dass die Griechen einst der Ansicht waren, das Holz für den Schiffbau solle tunlichst einem siebzehnten geschnitten werden. Auch wird in Ägypten Osiris, der Gott des Jenseits, der Wiedergeburt und des Nils, an einen siebzehnten im Sarg des Typhon den Fluten übergeben.
Wechselt man auf das Feld der Mathematik, so wird der Boden etwas fester, auf dem man steht. Man stößt auf Carl Friedrich Gauß, der im Jahr 1796 als erster bewiesen hat, dass man selbst ein regelmäßiges Siebzehneck mit Zirkel und Lineal konstruieren kann.
Die 17 gilt, und das stimmt etwas hoffnungsfroher, auch als Zahl des Überwindens. Wer 17 ist, wird schließlich bald volljährig, überwindet also die Zeit der Jugend. Sollten wir also trotz allem optimistisch sein? Selbst wenn, was kommt, auch dann im Dunkel bleibt, wenn wir auf die Zahl 17 schauen? Was braucht es, um den, vorsichtig gesagt, etwas verkrampften Zustand zu überwinden, in dem wir uns zu befinden scheinen?
„Wherewithal / Was es braucht“, ist der Titel einer Ausstellung von Lawrence Weiner, die noch einige Tage im Kunsthaus Bregenz zu sehen ist. Wie immer, so formuliert Wiener auch dort in seiner klaren, nie sentimentalen Art, weshalb Worte nicht für Lügen missbraucht werden dürfen, oder, wie er es einmal in einem Interview gesagt hat: „When you do the wrong thing you’re doing the wrong thing – there is now way to rationalize it“. Jeder weiß, wenn er etwas falsch gemacht hat, da helfen keine Ausreden. Kunst, immerhin, kann fragen „Was wäre, wenn ...“. So entstehen Alternativen. In der Kunst, davon ist Weiner überzeugt, sei es möglich, Menschen zu bitten, für einen Moment nicht zu glauben, was sie glauben, sondern das zu glauben, was man selbst glaubt. „Das“, sagte er in Bregenz, „fällt manchen sehr schwer. Man kann niemanden zwingen, etwas zu akzeptieren. Man kann es nur immer wieder anbieten. Anbieten und wieder anbieten.“ Das, soviel ist sicher, gilt auch 2017.