Peter Sauerer ist ein Künstler, der schnitzt. Es sind wundersame, oft vertraute, aber auch vollkommen rätselhafte Dinge und Gestalten, die er aus dem Holz befreit. Erst waren es hauptsächlich Gebäudemodelle – der Tempel von Karnak oder das Münchner Haus der Kunst –, die ihn beschäftigt haben. Aus einem Block geschnitzt und in Teile zersägt, die von Schnüren eher lose zusammengehalten werden, hängen sie an der Wand – oft kopfüber. Diese „Schnurarchitektur“ macht aber nur einen Bruchteil seiner kleinen, immer etwas skurrilen Welt aus. Hinzu kommen Häuser, Pistolen, Figuren, Züge, Schiffe, jede Menge Autos – vom Checker Taxi über das Bat-Mobil bis zur Hermann Görings Mercedes 540 K. Sogar ein abgebranntes Streichholz in Originalgröße findet sich in Sauerers Fundus. Nun zeigt das Haus für Kunst Uri unter dem Titel „Miniversum“ Arbeiten von Peter Sauerer, denen Videoskulpturen von Katja Loher gegenübergestellt sind. Zudem hat Sauerer sich bei dieser Gelegenheit auch einen schönen roten Schweizer Pass besorgt, voller Schnitzwerken und einem Text, in dem Andreas Bee Fragen der Zahnprothetik nachgeht. (tw)
Nein, sie waren nicht aus Holz, wie man es auch heute noch ab und an lesen kann. George Washingtons Zahnprothesen wurden aus Stoßzähnen und Zähnen von Elefanten, Nilpferden, Walrossen und Rindern geschnitzt. Darüber hinaus benutzte der Arzt abgestorbenes Zahnmaterial seines Patienten für die Herstellung des Gebisses, außerdem einige Goldfedern, Goldnadeln, eine gestempelte Goldplatte, zwei unförmige Bleibasen, mehrere Eisenstäbe, Stahlfedern und Holzklammern. Als Washington im Alter von 57 Jahren Präsident wurde, musste er mit Prothesen zurechtkommen, die so schlecht passten, dass er wahrscheinlich meistens mit zusammengepressten Zähnen redete. Da er seine nächsten Vertrauten strengstens dazu verpflichtet hatte, die Zahnprobleme geheim zu halten, kam es schnell zu Missverständnissen bei denen, die nicht eingeweiht waren. Und nicht selten entstand so der Eindruck, hier rede jemand, der durch seine Zähne log.
Peter Sauerer ist beinahe im selben Alter wie seinerzeit George Washington. Im Gegensatz zum ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt er uns seine Zähne im Detail. Indem er sie schnitzt, fasst, vergoldet und an Schnüren aufgereiht in jenem Zustand präsentiert, in dem sie sich zur Entstehungszeit der Arbeit befinden, kommen wir zu dem Ergebnis: Sauerers Zahnbilanz kann sich sehen lassen. Denn von den 32 Zähnen sind noch 25 vorhanden, dreizehn im oberen und zwölf im unteren Kiefer. Acht Zähne verweisen mit Brücken, Kronen und Inlays auf eine fachmännische Behandlung.
Warum aber nimmt sich ein Bildschnitzer seiner eigenen Zähne an? Hat das vor ihm schon einer versucht? Zeigt hier jemand etwas nur deshalb in aller Genauigkeit, um etwas anderes zu verstecken? Maskieren oder verbergen die zur Schau gestellten Zahnreihen gar ein hintergründiges Sein, das naturgemäß im Verborgenen blühen muss? Ist dem Künstler möglicherweise daran gelegen, dass ein ganz bestimmtes Bild oder „eine Maske von ihm an seiner Statt in den Herzen und Köpfen seiner Freunde herumwandelt“?
Es bleibt ein Rätsel, auch wenn wir vermuten dürfen, dass vielleicht dem Zahnfleisch die eigentliche Aufmerksamkeit gelten sollte. „Es gibt“, notiert Friedrich Nietzsche, „Vorgänge so zarter Art, dass man gut tut, sie durch eine Grobheit zu verschütten und unkenntlich zu machen; es gibt Handlungen der Liebe und einer ausschweifenden Großmut, hinter denen nichts rätlicher ist, als einen Stock zu nehmen und den Augenzeugen durchzuprügeln, damit trübt man dessen Gedächtnis.“
Lassen wir es also vorerst dabei und trüben unseren Geist um des Geheimnisses willen durch den schönen Schein. Auf dem Feld der Kunst ist vieles symbolisch und poetisch zugleich. Und nicht zuletzt, abermals Nietzsche: „Alles, was tief ist, liebt die Maske.“
Haus der Kunst Uri, bis 19. Mai.
www.hausfuerkunsturi.ch
www.petersauerer.de
www.rehbein-galerie.de
www.fine-german-gallery.com
Peter Sauerer schnitzt, fasst, vergoldet die Zähne und reiht sie an Schnüren auf. Alle Fotos © Sabrina Spee, Stylepark
Ein Schweizermesser, in dem der Kopf eines Bärtigen versteckt ist und mit dem man das, was Peter Sauerer macht, eben nicht kann: schnitzen.
Jochen Rindts zerstörter Ferrari in der Nußschale.
Es sind wundersame, oft vertraute, aber auch vollkommen rätselhafte Dinge und Gestalten, die er aus dem Holz befreit.
Das Haus für Kunst Uri zeigt unter dem Titel „Miniversum“ Arbeiten von Peter Sauerer.
Sauerer verleiht seinen Modellen etwas Fragiles, Provisorisches, nahezu stummfilmhaft Tragisch-Komisches.