Das goldene Haus leuchtet und sticht schon von weitem aus seiner Umgebung hervor. Weder der Straßenname noch die Fondazione Prada waren dem Taxifahrer ein Begriff, das goldene Haus aber, meinte er, kenne er; man würde schließlich davon reden. Si capisce. Rem Koolhaas wird die Fassade aus Blattgold in der Pressekonferenz eine „spontane Entscheidung in letzter Minute“ nennen und anfügen, Blattgold sei ein vergessenes und hervorragendes Fassadenmaterial und obendrein noch günstiger als viele andere Materialien – wie beispielsweise Marmor. Dabei geht es bei dem Projekt nicht darum, mit Gold zu protzen, sehr wohl aber um Reichtum. Nicht im monetären Sinn, sondern um einen Reichtum, der aus Vielfalt, aus Perfektion, aus Räumen und Materialien entsteht. Und es geht um das Aneinanderfügen unterschiedlicher Stofflichkeiten, um Veränderungen, Farben und Oberflächen. Das ist eine Sprache, die beide Unternehmen fließend sprechen: das eine in der Mode, das andere in der Architektur.
Die neue Fondazione Prada liegt im Mailänder Süden. Das Stadtgebiet besteht überwiegend aus Wohnhäusern, Industriehallen, Autohäusern und einem ausrangierten Bahngelände. Das Areal der Fondazione Prada war ehemals eine Destillerie, mit Bauten, die zum Teil 100 Jahre alt sind und sich wie ein Rahmen um das Gelände legen. Von Außen nimmt man allein das goldene Haus wahr, dessen obere Geschosse lockend über den Bestand herausragen, und einen Teil der silbern glänzenden Fassade eines Neubaus, der sich über den Bestand bis zur Straße hervorschiebt. Seit 2008 hat OMA an dem 19.000 Quadratmeter großen Gelände geplant – allein der Turm („Torre“), ein zehngeschossiges Hochhaus mit weiteren Ausstellungsflächen, befindet sich noch im Bau und soll erst Ende des Jahres fertig werden.
Alt und Neu zusammenfügen
Rem Koolhaas beschreibt die Bauaufgabe als eine klassische Renovierung: „Wir haben den Ort analysiert, und wollten, dass sich Alt und Neu nahtlos zusammenfügen.“ Also fügten die Architekten dem Gelände lediglich zwei (mit dem „Torre“ letztlich drei) neue Bauten hinzu. Der eine ist ein wuchtiger Kubus, verkleidet mit einem Aluminiumschaum, dessen offenporige, korallenartige Struktur träge silbern glänzt. Der andere Bau bildet exakt die Grundform einer Halle nach, die nicht mehr erhalten werden konnte. Er ist vollständig verspiegelt und wirkt deshalb wie eine Fata Morgana. Beide Neubauten wurden nicht einfach plump als Solitäre auf das Gelände gesetzt, um sich selbst zu zelebrieren, sie verbinden sich vielmehr mit dem Bestand, überragen, überschneiden und verschmelzen mit ihm.
Eine Anthologie aus Räumen
Gegliedert wird das Areal durch die in ihrer Größe, Topographie und Materialität unterschiedlichen Außenbereiche. Mal bilden sie eine Straße, mal einen großen Platz und mal entsteht aus dem Zusammenspiel der Bauten und Dachüberstände ein intimer Hof. Es scheint fast so, als hätten die Architekten einige der schönsten öffentlichen Räume und Plätze Italiens aufgesucht und an ihnen Maß genommen, um sie auf dem Prada-Gelände nachzubilden – derart perfekt wirken sie, so präzise sind sie komponiert. So entstand beispielsweise zwischen dem goldenen Haus und einem Bestandsbau ein intimer Bereich – mehr eine große Hofeinfahrt, als ein weitläufiger Platz –, an dem man sich gern versammelt und der eine geschützte Offenheit ausstrahlt. Zwischen den beiden Neubauten hingegen öffnet sich eine Piazza, die sich in der verspiegelten Fassade des einen Baus gleich in ihrer Größe zu verdoppeln scheint.
Und nicht nur die Außen-, auch die Innenräume bilden eine einzigartige Sammlung: Jeder Ausstellungsraum – wirklich jeder – unterscheidet sich von all den anderen. Dieses räumliche Repertoire verschafft der Fondazione Prada mit ihrer breit angelegten Kunstsammlung die Möglichkeit, tatsächlich jede Form von Kunst ausstellen zu können. Zugleich geleitet diese Anthologie aus Räumen den Besucher über das Gelände und überrascht ihn mit immer wieder anderen räumlichen Situationen – ganz wie eine Stadt: Pradapolis.
Verfeinerte Architektursprache
Das Thema der Kollage, des Kontrastierens, Zusammentreffens und Überschneidens zeigt sich freilich nicht nur in Räumen und Kubaturen, sondern auch in der reich bestückten Palette der verwendeten Materialien: Stahl, Aluminium, Blattgold, Glas, Putz, Kunststoff, Holz, Lochblech, Beton, Travertin sind verbaut worden. Und als wäre das allein für die meisten Architekten nicht schon zuviel, treten die Materialien auch noch in unterschiedlichen Ausführungen auf. Nonchalant dekliniert Koolhaas verschiedene Materialtypologien durch: Stahl gibt es als Rost, gelocht, als Gewebe oder mit Punktraster; Holz als eine Art Kopfsteinpflaster und als Wandpaneel – und so weiter und so weiter. Einiges kennt man bereits von anderen OMA-Bauten. Hier aber erreicht die Koohlhaas’sche Architektursprache eine neue Feinheit und Detailverliebtheit. Da schmiegt sich der Giebel eines alten Hauses dicht an die Aluminiumfassade, die Fassadenelemente des verspiegelten Baukörpers lassen sich aufklappen, so dass der Bau gleichsam verschwindet; und die Bogenfenster eines alten Hauses werden im Glas des Neubaus zitiert, vergrößert und abstrahiert.
Kollage als Gestaltungskonzept
Doch es sind nicht nur die präzisen Details, die das Wunderland der Fondazione Prada aus Räumen, Strukturen und Texturen so gelungen erscheinen lassen, es ist vor allem die geschickte Kombination all dieser Elemente. Wer weiß, vielleicht hat da das Modeunternehmen auf die Architekten abgefärbt? Oder man hat in den Jahren der Zusammenarbeit eine gemeinsame Sprache entwickelt. Wie dem auch sei, es überrascht immer wieder, wie gut die zum Teil eigenwilligen und kräftigen Materialien und Strukturen zueinander passen. Die geschäumten Aluminiumpaneele vertragen sich hervorragend mit Travertin, während die unterschiedlichen Metall-, Stein- und Holzbeläge den Außenbereichen einen je eigenen Charakter verleihen und sie subtil in Zonen einteilen. Dabei wirken die weitgehend industriell gefertigten und robusten Materialien ausgesprochen elegant.
Auch die von dem Filmregisseur Wes Anderson gestaltete Bar „Luce“, an deren Wänden und Decken Holz, Stahl und Glas wie Tapeten aufgeklebt wurden, passt zu dieser einzigartigen Raum- und Materialkollage. Dafür aber sind Mobiliar und Personal physisch greifbar – beides hyper-stilisiert im Erscheinungsbild alter, milanesischer Bars, allerdings ohne die Farborgie, wie man sie vielleicht nach dem Film „Grand Budapest Hotel“ und dem vorab gezeigten Werbefilm zu der Bar erwartet hätte.
Im Geist der Marke
Der Campus der Fondazione Prada in Mailand – die Fondazione Prada unterhält in der Ca’ Corner della Regina in Venedig noch eine Ausstellungsdependance – gesellt sich also nun zu den Museen anderer Modeimperien. Im letzten Jahr wurde Frank Gehrys Formengewitter für die Fondation Louis Vuitton in Paris eröffnet, am 1. Mai 2015 weihte der Modeschöpfer Giorgio Armani sein grau verputztes Mausoleum in ehemaligen Silos der Mailänder Zona Tortona ein. Während Gehry vor allem seine Markenarchitektur und Armani sich selbst zelebriert, ist das Areal der Fondazione Prada ein Ort, der eine Kollage aus Kunst und Architektur, aus Räumen, Licht und Materialien feiert – mit einer Präzision, Leichtigkeit und Hingabe ans Detail, wie man sie lange nicht gesehen hat. Rem Koolhaas hat mit dem Mailänder Ensemble einen Sieg über Gleichmacherei und Einfallslosigkeit in der Architektur errungen und einen Ort geschaffen, der dem Geist von Prada huldigt.