Zu den Privilegien, die nicht als solche empfunden werden, gehört das Schlafen in einem Bett. Mit der größten Selbstverständlichkeit werfen wir uns, ob allein oder zu zweit, aufs Bett, spüren dem sanften Vibrieren des Lattenrostes nach, lassen uns von der dicken Matratze wie von einem fliegenden Teppich durch unsere Träume tragen und ziehen uns, wenn mal alles zuviel wird, die Decke über den Kopf. Unsere Vorfahren mussten sich hingegen mit einer kargen Stätte aus Fellen, Stroh, Heu, Laub, Seegras, Moos und Torf auf dem Boden begnügen. Dass es früher weniger um die Wahl des angemessenen Härtegrads oder die ideale Luftzirkulation als um das Vermeiden von Erfrierungen ging, belegen die seit dem Mittelalter nachweisbaren Wandbänke in der Nähe des Ofens und die Darstellungen des Spannbetts, das – einer Hängematte ähnlich – nächtens über dem Herd befestigt wurde.
Das Bett ist, wie so vieles, das mit Komfort zu tun hat und dem Wohlbefinden dient, eine Erfindung des Orients. Die ersten, die sich hochbeinige Bettgestelle bauen ließen, waren um 3.000 vor Christus die Pharaonen. Auch Griechen und Römer ruhten gern auf Liegen, aber ihre Lagerstätten waren weniger dem Schlaf als vielmehr dem Essen, Trinken und Debattieren vorbehalten – und somit ein Zeichen von praktizierter Gastfreundschaft. Dass diese in der Antike als zwiespältige Angelegenheit betrachtet wurde, legt die von Diodor aufgezeichnete Geschichte des Prokrustes nahe. Der Riese und Wegelagerer Prokrustes schlüpfte listig in die Rolle des Gastgebers und bot Reisenden ein sauberes Nachtlager an. Nur hielt er nicht viel vom Maßstab des Menschen. Dem Ideal vollkommener Übereinstimmung suchte er dadurch näher zu kommen, dass er die Körper der Wanderer so lange gewaltsam dehnte, stauchte und verkürzte, bis ihre Ausmaße denen des Bettes entsprachen.
Wer sich nicht von den Gegenständen beherrschen lassen will, sondern etwas ihm Angemessenes sucht, hat es trotz der Vielfalt heutiger Massenproduktion nicht leicht. Das wird spätestens beim Bettenkauf klar. Da gibt es Gestelle aus Holz, Metall, Kunststoff, Bambus und Rattan, Lattenroste mit Fünf-Zonen-Einteilung, High-Tough-Quertraverse und motorisierter Hebevorrichtung, Matratzen mit Feder- oder Kokoskern, aus Latex, Kalt- und Viskoseschaum, eingehüllt in Kokos, Rosshaar oder Hanf. Nicht zu vergessen die ausgefalleneren Varianten wie das Himmel- und Wasserbett oder das Lederbett mit Dolby-Surround-System. Was Spezialisten wie der freundliche Herr Hallmackenreuther in solchen Fällen empfehlen, wissen wir, seitdem Loriot dem Bettenkauf im Fernsehen ein Denkmal setzte und die deutsche Sprache um die Wortschöpfung „Spannmuffenfederung" bereicherte: „das klassische Horizontalensemble". Selbst Plattitüden wie „Wir schlafen im Liegen" oder „Wenn meine Gattin aufwacht, nimmt sie gern eine Tasse Tee mit etwas Gebäck", bringen Herrn Hallmackenreuther nicht aus dem Konzept.
Was aber hätte er zum Designerbett gesagt? Kaum ein Designer dürfte je eine Nacht in einem solchen verbracht haben. Sogenannte Designerbetten geben vor, schlicht und edel daherzukommen, verbergen ihre Konstruktionsprinzipien aber zumeist unter einer dicken Schicht aus schwarzem oder weißem Napalon-Leder. Dabei ist das Bett durchaus eine anspruchsvolle gestalterische Aufgabe. Waren es einst Künstler, die die Sarkophage der Mächtigen mit marmornen Ruhekissen ausstatteten und für Könige wie Fürsten Prunkbetten schufen, um die Untertanen bei Audienzen mit roten Samtbaldachinen, Brokatverzierungen, Goldkronen, Wappentieren und Schmuckfedern zu beeindrucken und fügsam zu machen, so sind es seit Beginn des 20. Jahrhunderts Designer, die Schlafstätten für das bürgerliche Interieur entwerfen. Seither geht es weniger um Repräsentation als um Praktikabilität. Mit Alfred Roths „Modell 455" aus dem Jahr 1927 hielt die Stahlrohrästhetik der Büros Einzug in die Schlafzimmer. Aus Gründen der Platzersparnis griff Walter Gropius bei der Einrichtung der Musterwohnungen in der Karlsruher Siedlung Dammerstock sogar auf Klappbetten der Frankfurter Firma Heerdt & Lingler zurück. Da Wohnraum in den zwanziger Jahren teuer war, musste die gute Stube gleich mehreren Funktionen dienen. Nachts eignete sie sich als Elternschlafzimmer, tagsüber als Wohn- und Arbeitsraum. Die hochgeklappten Betten verschwanden morgens diskret hinter einem Vorhang. Das Klappbett, das sich am helllichten Tag im Schrank versteckte, war bis in die siebziger Jahre hinein beliebt – vor allem bei Bewohnern von Apartmenthäusern. Wohnraumknappheit war auch in der Nachkriegszeit ein wichtiges Thema, weshalb Hans Gugelot 1954 eine auf einem schmalen Metallgestell ruhende Liege samt Bettkasten konstruierte, die sich im Handumdrehen in ein Doppelbett verwandelt ließ.
Ende der sechziger Jahre kam ein neuer Trend auf: Wer als progressiv gelten wollte, verzichtete auf Bettgestell und Lattenrost. In Studentenbuden und Wohngemeinschaften mussten Matratzen auf dem blanken Boden liegen. Rückenschmerzen und Schimmelflecken nahm man gern in Kauf, denn es galt, sich vom Establishment abzugrenzen. Betont unkonventionell kamen auch die Stapelliegen daher, die seit 1967 nach Entwürfen von Rolf Heide aus Schichtholz gefertigt werden. Experimente wie diese bereiteten die Futon-Welle vor, die in den achtziger und neunziger Jahren durch die deutschen Schlafzimmer rollte. Der Futon wurde, entgegen japanischer Manier, auf einem niedrigen Gestell ausgerollt, womit man die Bereitschaft demonstrierte, möglichst nah am Boden zu schlafen, ohne zur Gänze auf den westlichen Komfort des Bettes verzichten zu müssen.
Seither bestimmen wohl eher die finanziellen Mittel als die Ideologien die Wahl des Bettes. Wer meint, der Traum von der Moderne sei endgültig ausgeträumt, wird sich in Ettore Sottsass' martialischem Gestell aus Palisander- und Laminatwänden oder in Matteo Thuns Mickey-Mouse-Version eines Doppelbetts wohlfühlen. Wer den Nomaden in sich entdeckt hat, kann mit Stecksätzen wie dem „Wogg 24" vom Atelier Oï oder dem von Christopher Martens für Nils Holger Moormann entwickelten „Siebenschläfer Bett" der Mobilität huldigen. Wem mehr das Handfeste und Solide liegt, dem seien massive Holzkonstruktionen wie die von Zeitraum oder Holzmanufaktur empfohlen. Wer das Leichte und Elegante liebt, findet vermutlich ebenso Gefallen am „Aluminium Bed", das Bruno Fattorini für MDF Italia entworfen hat, wie an Alfredo Häberlis „Legnoletto". Wer auf einer Insel in der Mitte des Raumes landen möchte, der greift auf Peter Malys Bett, produziert von Lignet Roset, zurück. Wer häufiger zwischen Einzel- und Doppelbett schwankt, dürfte beim „Scherenbett 990" von Benjamin Thut und bei „V" richtig liegen, das Roy Schäfer für Tojo Möbel mit einem Ziehharmonika-Effekt versehen hat. Und wer den Hang zur Bequemlichkeit mit leicht ironischem Unterton kommentiert sehen möchte, der wird wohl bei Patricia Urquiolas „Clip" landen. Nicht zu vergessen schließlich der aktuelle Trend, sich in kostspieligen neubürgerlichen Polsterbetten von Hästens oder Schramm Werkstätten zu tummeln, die höchsten individuellen Ansprüchen gerecht zu werden suchen.
„Sleeper Bed" nennt Jasper Morrison schlicht und einfach seinen Beitrag zur Designgeschichte des Betts. Und dass, obwohl doch im Bett keinesfalls nur geschlafen wird. Als erotische Spielwiese eignet es sich in jeglicher Form und Farbe, was sich an japanischen Shunga-Holzschnitten oder den bildlichen Anleitungen zum Kamasutra studieren lässt. Mit dem Liebesspiel sind – sieht man einmal vom aufblasbaren Bett mit Bondage-Vorrichtung „für die mobile Domina von heute" ab, das bei Beate Uhse erhältlich ist – daher kaum gestalterische Aufgaben verbunden. Ansonsten aber dürfte das Feld schier unerschöpflich sein, denn es gibt kaum etwas, das nicht im Bett stattfinden kann. Davon erzählen allerdings weniger die Gebrauchsgegenstände als die Bilder und Romane. Anthony Burgess hat manches in seiner Kulturgeschichte des Liegens aufgedeckt. So sucht Carl Spitzwegs „armer Poet" im Bett Schutz vor der Kälte und dem Regen, die in seine Dachkammer eindringen. Darf man einer Darstellung des Malers James Abbott McNeill Whistler Glauben schenken, so zeichnete Henri Fantin-Latour, ausstaffiert mit Schal und Hut, am liebsten im Bett. John Milton ließ wissen, dass er sein „verlorenes Paradies" in den Federn liegend dichtete; Gioachino Rossinis brachte seine Buffo-Opern im Bett zu Papier; auch Marcel Proust vervollständigte die letzten Bände „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" im Bett; und Henri Matisse fertigte seine Scherenschnitte auf dem Krankenlager an. Das Bett kann also durchaus eine Produktionsstätte sein, zumindest für Maler, Schriftsteller und Komponisten. Das verleiht ihrer Tätigkeit den Hauch des Anrüchigen und macht sie des Eskapismus verdächtig. Dass es nicht ganz ungefährlich ist, sich dauerhaft in einer Zwischenwelt von Träumen und Wachen einzurichten, das hat Iwan Gontscharow auf unvergleichlich komische Weise vor Augen geführt: Sein Oblomow verdämmert seine besten Jahre träge im Bett liegend. Er vergeudet seine Talente, seine soziale Stellung und sein Geld. Alles zugunsten der wohligen Wärme, die er im Bett verspürt und die ihn dazu veranlasst, sich in Morpheus Armen in andere Epochen, zu anderen Menschen und an andere Orte tragen zu lassen.
Eine umfassende Übersicht an Betten finden Sie hier:
In unserer Serie zu den Produkttypologien sind bisher erschienen:
› „Alles, was Möbel ist" von Thomas Wagner
› „Nicht anlehnen!" über Hocker von Nina Reetzke
› „Von Ruhe und Gemütlichkeit" über Lounge Chairs von Mathias Remmele
› „Schaumstoffwiese, länger frisch" von Markus Frenzl
› „Im Universum der Stühle" von Sandra Hofmeister
› „Alles, was Stuhl sein kann" von Claus Richter
› „Das Regal – ein Möbel der öffentlichen Ordnung" von Thomas Edelmann
› „Wie der Sessel Ohren erhielt" über Sessel von Knuth Hornbogen
› „Die Stütze der Gesellschaft" über Regale von Thomas Edelmann
› „Der Schaukelstuhl als Passagenphänomen" von Annette Tietenberg
› „Die kleine Welt der Multifunktionsmöbel" von Nancy Jehmlich