Neues aus dem Textillabor
von Unbekannt Unbekannt
23.04.2015 Fasern, Gewebe und intelligente Textilien – seit geraumer Zeit haben Hochschulen, Forschungsinstitute und sogar einzelne Architekturbüros die Textilforschung im Bereich des Bauens für sich entdeckt und versuchen, die Grenzen des Stofflichen maximal auszureizen. Dabei reicht die Bandbreite an Forschungsergebnissen von neuen Verbundwerkstoffen über bewegliche Textilwände bis hin zur digitalen Fabrikation. Gerade durch digitale Anwendungen und robotische Fertigungsmethoden können völlig neue Konstruktionen realisiert werden und außergewöhnliche Bauwerke mit intelligenten Materialen entstehen – Zeit für einen Streifzug durch die Forschungslandschaft des textilen Bauens. Wie kommt das Licht in den Beton? Seit Anfang der 1990er wird an sogenannten Textilbeton geforscht. Carbon- und Glaserfasern ersetzen die herkömmlichen Stahlbewehrungen und ermöglichen extrem dünne und leichte Betonbauteile mit hoher Tragfähigkeit. Aber Textilbeton kann mittlerweile noch viel mehr: Mit Hilfe der sogenannten Faserverbundwerkstoffe können performative und transformative Architekturen wie der 2012 fertig gestellte Neubau des Instituts für Textiltechnik der RWTH Aachen realisiert werden. Dank Lucem Lichtbeton ist hier ein im wahrsten Sinne des Wortes ein leuchtendes Beispiel für die neuen Möglichkeiten des Gestaltens mit Textilbeton entstanden. Für die Fassadenverkleidung kamen 136 dünne Lichtbetonplatten mit tausenden eingebetteten hochfeinen sowie lichtleitenden optischen Fasern zur Verwendung. Hinter jedes Fassadenelement wurde ein LED-Paneel montiert, das mit drei RGB-Chips bestückt ist und ein Spektrum von 16 Millionen Farben aufweist. Bei Dunkelheit verwandeln sich die tagsüber anthrazitfarbenen, blickdichten Lichtbetonpaneelen in hell leuchtende, transluzente Oberflächen. Über eine Software können darauf statische, bewegte oder interaktive Licht-Farbspiele inszeniert werden. Hier wird durch Lichtbeton die Idee der Medienfassade neu interpretiert. Vor allem liegt die Zukunft des Textilbetons aber in seinem Beitrag zum energieeffizienten und nachhaltigen Bauen. Der Einsatz des leichteren Textilbetons spart Ressourcen. Zudem wird derzeit kontinuierlich an der Weiterentwicklung der Faserverbundstoffe aus zwei oder mehreren Werkstoffen im Beton gearbeitet. Als intelligenter Baustoff kann Beton zukünftig dann nicht nur über die Textilbewehrung Licht leiten, sondern auch mittels textiler Sensoren Hitze, Wasserschäden oder Bauteilverformungen erkennen. Fertigung aus Roborterhand Wie sich Gebäude aus Faserverbundwerkstoffen mit robotischen Fertigungsmethoden errichten lassen, das untersuchen das Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart. Im Rahmen einer fortlaufenden Reihe temporärer Versuchsbauten errichteten die Forscher und Studenten unter der Leitung von Achim Menges im März 2014 einen Pavillon aus robotisch gewebten Fasern. Die geometrische Ausformung der Tragstruktur basiert auf dem doppelschaligen Aufbau der Deckflügelschalen flugfähiger Käfer und besteht aus 36 unterschiedlich ausgeformten Bauteilen mit individuellem Faserverlauf. Zu deren Erstellung wurden zwei kooperierende Roboter programmiert, die in Harz getränkte Glas- und Carbonfasern in einem kernlosen Wickelprozess auf Rahmen wickelten. Die Methode ist besonders ressourcenschonend sowie materialsparend und zeigt, welche neuen Faserverbundbauweisen durch die computerbasierte Erfassung und Synthese von biologischen Strukturprinzipien in Kombination mit robotischer Herstellung möglich sind. Dynamische Wände für ein neues organisches Bauen Ein weiteres Experimentierfeld des Textilen in der Architektur liegt in der Bewegung und Interaktion: Der Idee eines universellen Raumes folgend, löst sich das architektonische Element „Wand“ von seiner ursprünglich statischen Funktion. Mit Hilfe neuartiger Textileigenschaften entstehen bewegte, dynamische Wänden als flexible, auf den Nutzer reagierende Hülle. Mette Ramsgard Thomsen befasst sich beispielsweise am Centre for Information Technology and Architecture (CITA), der Königlichen Dänischen Kunstakademie mit Forschungsprojekten wie „Slow Furl“ (2008). In ihren Installationen reagieren robotische Membrane über Sensoren auf Reize, übersetzen diese in Bewegungen und entwickeln ein eigenes Verhalten. So entsteht eine Architektur der Faltungen, Nischen und Zwischenräume. Eindrucksvoll war auch die „Kinetic Wall“ des Berliner Architekturbüros Barkow Leibinger auf der letzten Architekturbiennale in Venedig 2014. Dabei wurde eine Membran straff auf eine Sekundärkonstruktion gespannt, in der einzelne pneumatische Schieber installiert und an ihren Köpfen mit der Membran verbunden wurden. Über digitale Steuerung konnten die Schieber einzeln ein- oder ausgefahren werden, so dass Mulden, Auskragungen oder Nischen entstanden. Die zwei aufeinanderliegenden Membranschichten erzeugten durch Spannung und Dehnung des Materials einen besonderen Moiré-Effekt: Durch die sich abwechselnden Raumfiguren in der Bespielung der Membran entstehen differenzierte ephemere und transluzente Intensitäten an Materialschichtung. Diese weiche Textilinstallation verweist auf die Entwicklungspotenziale ein neues organischen Bauens – die Wand wird hier zum raumbildenden Gefüge. Vom Eisbären lernen In den letzten Jahren gewinnt die Bionik oder die Natur als Ideengeber für die Entwicklung neuer Formen und textiler Materialen auch im Bauwesen mehr Raum und Aufmerksamkeit. Seit 2013 geht beispielweise eine Forschungsgruppe dem Phänomen Eisbärenfell für einen neuartigen Membranbau mit höchster Energieeffizienz und verlustfreiem Wärmespeicher nach. Die Funktionsweise des weißen Fells und der schwarzen Eisbärhaut wurde hier am „Eisbär-Haus“, einem Versuchspavillon, für die Architektur adaptiert. Entwickelt wurden spezielle textile Solarthermiekollektoren, die sich gerade für anspruchsvolle, nicht ebene Dachflächen für Membranbauten eignen. Wie beim hellen Eisbärenfell lässt die äußere Schicht aus Ethylen-Tetrafluorethylen-Folie (ETFE) mit Sonnenkollektoren und einem flexiblen Wärmeabsorber das Sonnenlicht durch. Die unterste Schicht besteht aus einer schwarzen, hoch porösen Absorberfolie, so dass die Luft dazwischen zirkulieren und sich bis zu 160 Grad erwärmen kann, wie die Zirkulation des Blutes beim Bären. Um die gewonnene Energie aus der erwärmten Luftzirkulation (140 Grad zu 1000 Watt/Quadratmeter) nicht zu verschwenden, wurde ein neuer effizienter Wärmespeicher entwickelt, der die Sonnenenergie in chemische Energie umwandelt und nahezu verlustfrei speichert. Das Prinzip Eisbärenfell könnte so in der Zukunft zu energiesparenden Foliendachkonstruktionen mit einer Nullenergiehausbilanz führen.
„Vom Tuch zum Haus“: „Der Baustoff der Zukunft“: „Architektonischer Stoffwechsel”: „Es sprudelt in der Kalebasse": |
Das Soccer City Stadion in Johannesburg wurde 2010 von Boogertman und Partner entworfen. Foto © Hightex
Die Fassade des Stadions ist einem afrikanischem Trinkgefäß, der Kalebasse nachempfunden und besteht aus Textilbeton mit Glasfaser. Foto © Rieder
Das Institut für Textiltechnik der RWTH in Aachen mit leuchtender Lichtbeton.
Foto © Lucem Lichtbeton / LUCEM GmbH Detail der Fassade: Hier wird die Medienfassade durch den Lichtbeton neu interpretiert.
Foto © Lucem Lichtbeton / LUCEM GmbH Gewickelte Gebäudehülle aus Glas- und Carbonfasern: der „ICD/ITKE Research Pavilion 2013-14” auf dem Gelände der Universität Stuttgart. Foto © ICD/ITKE University of Stuttgart
Am Institut für Tragwerkskonstruktion und Konstruktives Entwerfen in Stuttgart setzt man Industrieroboter ein, die Bauteile aus Glas- und Carbonfasern herstellen. Foto © ICD/ITKE University of Stuttgart
Das Forschungsprojekt „Slow Furl” wurde 2008 am Centre for Information Technology and Architecture in Kopenhagen durchgeführt. Die cybernetischen, biegeweichen Wände reagierten auf Bewegungen der Besucher. Foto © CITA
Kinetische Wand: Installation zur Architekturbiennale 2014 in Venedig von Barkow Leibinger aus Berlin.
Foto © Johannes Foerster Seit 2013 befasst sich eine Forschungsgruppe unter der Mitwirkung des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf mit einem neuartigen Membranbau, der höchste Energieeffizienz und einen verlustfreien Wärmespeicher bietet. Foto © TAO Trans
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