Neue nordische Perspektive
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von Martina Metzner
21.07.2014 Berühmte Möbelentwürfe scheinen in Dänemark kein Heiligtum, Adaptionen im Gegenteil sogar erwünscht zu sein. Man hat nie das Gefühl, die Dänen würden das Erbe der Goldenen Ära, wie sie diese Zeit nennen, ikonisieren und mythisieren. Wie aber steht es um neue Ansätze und Ideen? Wie groß ist der Einfluss der Vergangenheit auf das neue dänische Design, auf das die Welt derzeit so intensiv schaut? Wo, wenn nicht bei Muuto, könnte sich die Antwort finden lassen? Möchte man den Möbelanbieter besuchen, der in den vergangenen Jahren zusammen mit Mitbewerbern wie Hay, Normann Copenhagen, Gubi, &tradition und neuerdings auch Menu die Designszene ordentlich aufgemischt hat, muss man erst einmal einige Stufen eines Hauses in der Altstadt erklimmen, wird dann aber schnell belohnt: Showroom und Firmenzentrale liegen auf mehreren Geschossen über den Dächern der Altstadt. Dürfte man sich einen Arbeitsplatz wünschen, einer hier oben reichte nahe an unsere Träume heran. Die Großraumbüros sind lichtdurchflutet, hell und freundlich gestaltet. Man sitzt, abgeschirmt durch Trennwände, in Gruppen von vier Personen beieinander; die Tische sind manuell höhenverstellbar, sodass man auch stehend arbeiten kann; für konzentriertes Arbeiten gibt es „Silence-Rooms“ – selbstverständlich ausgestattet mit Muuto-Möbeln und frischen Blumen. Ganz zu schweigen von der hauseigenen Gastro-Einheit – von Kantine wollen wir hier nicht reden –, die durch die offene Küche, einen freundlichen Koch und den herrlichen Ausblick so wirkt, als handele es sich um die Küche von guten Freunden. Spätestens beim Gang auf die Dachterrasse mit einem wirklich umwerfenden Blick auf Kopenhagen fragt man sich: Ist das hier noch Arbeiten oder schon das Paradies auf Erden? Neue Perspektive, mit Rückgriff Wieder unten angekommen, winkt uns Muuto-Chef Peter Bonnén zu sich. Der junge, schlaksige Kerl mit Vollbart, neben Kristian Byrge einer der Gründer, zeigt uns sein jüngstes Kind: einen Stuhl aus vollrecycltem PET. Auf die Frage, ob man überhaupt von einem neuen dänischen Design sprechen könne, reagiert Bonnén gelassen. Genau aus diesem Grund hätten er und Kristian Byrge 2006 Muuto gegründet. Muuto stehe für „muutos“, was auf Finnisch so viel wie „neue Perspektive“ heißt. Eine neue Perspektive bieten, nach Arne Jacobsen und Co., so Bonnén, gemischt mit einer kräftigen Portion Persönlichkeit, das sei es, was sie wollten. Muuto kooperiert – anders als Hay – deshalb auch ausschließlich mit skandinavischen Jungdesignern, darunter Anderssen & Voll (Norwegen), Andreas Engesvik (Norwegen), Jonas Wagell, (Schweden), Cecilie Manz (Dänemark), Thomas Bentzen (Dänemark), Claesson Koivisto Rune (Schweden), Jens Fager (Schweden), Ole Jensen (Dänemark) und Mika Tolvanen (Finnland). Es gehe um Funktionalität, um Qualität, um Einfachheit. Der Unterschied zwischen früher und heute wird deutlich: Einfach, aber nicht so streng wie früher, sondern spielerischer, sagt Bonnén. Ja, und natürlich gibt es Anklänge an die alten Zeiten, etwa die „Unfold“-Leuchte von Form us with love, die einer Industrieleuchte nachempfunden ist, aber aus Gummi besteht. Sprich: ein Rückgriff auf eine bewährte Form, verbunden mit einem neuen, vollkommen untypischen und daher überraschenden Material. Auch Frama ist ein Vertreter und Promoter des New Nordic Design: 2011 von Jase Kotan, Niels Stroyer und Driton Memisi aus einer Vertriebsagentur für Established & Sons und Stellar Works heraus gegründet, hatten sie lange genug mit angesehen, wie ausländische Firmen mit skandinavisch inspiriertem Design Geld verdienten und sich dann entschlossen, mit dem Label die eigenen Wurzeln zu stärken. Auch Frama arbeitet vorwiegend mit dänischen Designern wie Nicholai Wigg Hansen (der im Übrigen für Ikea das Sideboard „Locker“ und den Arbeitsstuhl „Jules“ entworfen hat) oder Toke Lauridsen zusammen, lassen in Dänemark, Litauen, Schweden und Polen produzieren, entwerfen aber vor allem selbst. Solide Materialien, puristische Finishings und ein Back-to-Basic-Anspruch bilden die Matrix ihrer Geschäftsidee. Hinzu kommt das klare Bekenntnis: „Wir wollen nichts Neues schaffen – wir wollen lediglich die Standards verbessern.“ So ganz kann das zwar nicht stimmen, wenn man sich den „9,5°-Chair“ anschaut, der sich mit seiner schrägen Linienführung zwischen Konzept und Design bewegt, aber wir lassen es mal so stehen. Regionales bevorzugt Dann wäre da noch die Sache mit der Nachhaltigkeit. Stimmt es wirklich, dass die Dänen so sozial und ökologisch verantwortungsvoll handeln und wirtschaften, wie sie es uns weismachen wollen? Der Anspruch begegnet einem auf Schritt und Tritt, man braucht erst gar nicht nach ihm zu suchen. Manches ist natürlich Marketing, etwa, wenn im Vier-Sterne-Hotel „Babette Guldsmeden“, in dem unsere Gruppe untergebracht ist, balinesisch anheimelnde Himmelbetten und First Class-Service auf Handtücher treffen, die den Aufdruck „Eco“ tragen. Vielerorts wird die Sache aber ernst genommen, etwa bei EGE Carpets, die zusammen mit dem dänischen Modedesigner David Andersen eine Teppich-Mode-Kollektion kreiert haben: Teppiche als Kleider, deren Grundstoff aus Teppichverschnitt stammt. Untragbar, gewiss, aber inspirierend. Wie auch andere dänische Firmen, die wir besuchen, ist EGE Carpets hinsichtlich seiner Bemühungen um soziales und umweltbewusstes Wirtschaften zertifiziert, unter anderem mit der weltweit gültigen Norm ISO 14001. Dass die dänischen Hersteller im Premium-Bereich – wobei man hier nicht, wie in Deutschland, über Premium spricht – vorwiegend in Skandinavien produzieren lassen, ist eine Selbstverständlichkeit. Als eindringlichstes Beispiel der Produktion vor Ort kann man wohl die Zimmermanns- und Schreiner-Kooperative von Peter Klint ansehen, eine gemeinsame Werkstatt von erfahrenen Handwerkern und jungen Designern, die sich seit ein paar Jahren in einer alten Lagerhalle im alten Nordhavn angesiedelt hat – ein traumhafter, lebendiger Ort samt Café, wo nicht nur altes Handwerk, sondern auch neueste Technologie zusammenkommen. So surrt hinter Kreissägen und Holzböcken in der hintersten Ecke ein 3D-Drucker vor sich hin. Wohin man auch schaut, es wird klar, dass die Dänen im Allgemeinen und die dänischen Möbelmacher im Besonderen den Willen haben, regional zu wirtschaften. Das Kopenhagener Restaurant Noma, das in den vergangenen Jahren vom Diners Club wiederholt zum „weltbesten Restaurant“ gewählt wurde und sich damit hervortut, Speisen aus regionalen Zutaten zu kreieren, ist dafür nur ein besonders deutliches Zeichen. Auch das Dänische Architekturzentrum (DAC) hat sich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben. Ausstellungen, Seminare, Schulungen – alles dreht sich um eine grüne, gesunde Zukunft. Aktuell in einem Projekt mit dem Titel „DK 2050 – what will Life be in Denmark like in 2050?“, bei dem das DAC Vertreter aus Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Staat an einen Tisch holt. Das liebste Kind des DAC indes, ist das Bryghusprojekt, ein von Rem Koolhaas‘ Büro OMA nach den neusten Standards nachhaltigen und energiefreundlichen Bauens geplantes Gebäude, in welches das Zentrum voraussichtlich 2016 einziehen wird. Da ist die Auszeichnung Kopenhagens als „European Green Capital 2014“ durch die EU-Kommission schon kein Zufall mehr. Nach zwei Tagen in Kopenhagen und etlichen Gesprächen mit Designern und Herstellern stellt man fest: Das dänische Design ist so lebendig wie nie zuvor. Die Geschichte wird behutsam in die Zukunft überführt. Aber auch jungen Gestaltern lässt man Raum, damit sie sich entfalten können. Beides zahlt sich aus: Die Unternehmen verdienen gut am wiedererwachten Interesse an der dänischen Moderne und an der Lust auf das New Nordic Design. Dieses besitzt zwar dieselbe DNA wie die Produkte seiner Wegbereiter, zeigt sich aber spielerischer und unbefangener. Anders ausgedrückt: Das „Einfache“ des dänischen Designs tritt nicht mehr streng und elitär auf, sondern zeigt sich mit einem kleinen Lächeln. Man gibt sich demokratisch und Niels Jörgensen gibt nicht umsonst als Kern des dänischen Designs „Bescheidenheit“ an. Manch einer hält dem die hohen Preise entgegen, die man in Dänemark generell und insbesondere für Möbel zahlen muss. In Dänemark sieht man das anders. Hier gibt es keine Geiz-ist-Geil-Mentalität. Man weiß, dass gute und solide Arbeit ihren Preis hat und damit auch das Produzieren im eigenen Land vergütet wird. Und noch etwas trägt zur Blüte der dänischen Designlandschaft bei: Dänen sind extrem offen gegenüber neuen, smarten und vor allem grünen Technologien. Innovative Technik und Umweltbewusstsein sind kein Gegensatz. Man kann es auch sagen wie die Designerin Louise Campbell: „Der skandinavische Designer von heute hat einen Fuß in einem Flugzeug, den anderen solide verwurzelt in der Natur.“ Teil 1 des Artikels finden Sie hier: Im Labor des guten Lebens: Dänemark trifft in Sachen Design aktuell den Nerv der Zeit. Steckt dahinter mehr als die Wiederauflage der Dänischen Moderne? www.andtradition.com
Ausstellung "Urban Nature"
Skandinavische Gütesiegel: Kreativität, Qualität und Wirtschaftlichkeit nutzen die skandinavischen Regierungen und investieren in die Förderung der Disziplin. Skandinavien - Hauptsache solide? Das große Special zum Thema "skandinavisches Design" |