Von den circa 350.000 Besuchern des Salone del Mobile finden einige auch den Weg zu den 120 Design Newcomern, die auf der SaloneSatellite ihre Möbel-Neuheiten dem Publikum vorstellen. Diese kommen weitaus erfrischender und experimenteller daher als die dem Massengeschmack angepassten Möbelideen in den restlichen Ausstellungshallen. Die Jungdesigner nehmen für die Teilnahme am großen Möbel-Karussell allerlei Strapazen auf sich. Sie reisen in Auto-Karawanen mit vollbepackten Kofferräumen und Autodächern durch ganz Europa oder fliegen mit Sperrgepäck aus allen Teilen der Erde an. Sie zahlen für eine Woche bis zu 2500 Euro für einen der 16 Quadratmeter großen Stände, um mit der Konkurrenz wetteifern zu können und sich erfolgreich möglichen Kunden zu präsentieren. Dieses Jahr unter dem Ausstellungsthema: „Design and Craftmanship: Together for Industry“. Um diesen Eifer und Motivation zu belohnen und den Zugang zu den Größen der Möbelindustrie zu erleichtern, vergibt die Messe seit drei Jahren den SaloneSatellite Award.
Ökologisch korrekte Kork-Leuchten
Die in Italien lebende Portugiesin Tania da Cruz konnte ihr Glück kaum fassen als ihr die Urkunde für den ersten Platz überreicht wurde. Sie überzeugte die Jury aus Designexperten, u.a. auch Stylepark Vorstand Robert Volhard, mit ihren Produkten aus dunkelbraunem expandiertem Kork, welche nach dem Künstler Georges „Braque“ benannt sind und aus modularen Wandelementen mit Isoliereigenschaften bestehen. Interessant ist auch die nicht ausgezeichnete Korkleuchte „Popcork“: Einen interessanten Kontrast bilden die frech aus dem korkigen Lampenschirm herauslugenden Glühbirnen und die knalligen Textilkabeln. Da das Material nicht lichtdurchlässig ist, entsteht die Beleuchtung indirekt und sehr zurückhaltend. Die weiche Materialität, die warme Haptik und Farbe erschaffen eine angenehme Beleuchtungssituation und gleichen damit den ersten Eindruck der etwas schwerfällig daherkommenden Grundform der Leuchte wieder aus. Der Nachhaltigkeitsfaktor in der Materialwahl spielt heutzutage eine wichtige Rolle im Möbeldesign. Da erscheint Kork auf den ersten Blick als ideale Entscheidung, vor allem da die Designerin aus Süd-Portugal kommt, einem Zentrum der Korkproduktion. Kork ist nicht wirklich so umweltfreundlich wie gedacht. Da der Korkverbrauch steigt und die Bäume hauptsächlich rund ums Mittelmeer wachsen, klettern die Preise während die Qualität sinkt. Der expandierte Kork dagegen besteht aus Abfallprodukten der Korkherstellung, die mittels Wasserdampf verbunden werden.
Möbel aus Plastiktüten
Nachhaltigkeit spielte auch für das zweitplatzierte Designstudio Re Design aus Ägypten eine entscheidende Rolle. Mariam Hazem, Hend Riyadh, Hadwa Omran verwenden für ihre Möbel und Alltagsgegenstände einen oftmals übersehenen Werkstoff: Plastiktüten. In Kombination mit recycelter Baumwolle ensteht das neue umweltfreundliche Textil „Plastex“.
Mit diesem Stoff hofft Re Design die lokale ägyptische Weberei wiederzubeleben. Sie nennen sich nicht ohne Grund Re Design for humanity. Aus der Kombination von Moral mit Nachhaltigkeit entstehen Hocker, Taschen, Stühle in farbenfrohen Musterungen, die von ihrer Anmutung her an traditionelle Flickenteppiche erinnern. Die Gestaltung der Produkte, die aus dem neuartigen Material geschaffen werden, scheint jedoch mehr im Hintergrund und die Thematik des Recyclens eher im Vordergrund zu stehen.
Die Wahl-Londoner ShiKai-Tseng und Hanshi Cheng von Poetic Lab schafften es auf den dritten Platz, indem sie Wohnräume durch poetische Momente aus Licht und Schatten bereichern. Das Resultat: „Wave“, eine rotierende Leuchte aus einem unregelmäßig geblasenen Glaskörper. Durch die Kombination aus LED und einem welligen Glaskörper der rotiert, ergibt sich ein zartes, einer Wasserbewegung ähnliches Lichtspiel und holt damit Sonne und Meer in die eigenen vier Wände. Die Musterung an der Wand erzeugt durchaus eine entspannte Atmosphäre, doch leider wird diese durch den unansehnlichen separaten LED-Strahler gestört. Trotzdem überzeugten die beiden Designer auch die Jury der Zeitschrift design report für ihren gesonderten Award und landeten hier sogar auf dem ersten Platz.
Drei weitere Neulinge der Designbranche bekamen eine Auszeichnung. Mit „Honourable Mentions“ wurden der italienische Designer Andrea Borgogni, der Chilene Matias Ruiz und Mecedorama aus Spanien ausgezeichnet.
Auch wenn die Preisträger interessante Konzepte darboten, zeigten einige nicht ausgezeichnete Projekte anderer Jungdesigner weitaus spannendere Ansätze, konsequentere Herangehensweisen oder eine ästhetische Formensprache bis ins letzte Detail.
Depressive Möbel
Charmant, ironisch und mit geistigem Tiefgang präsentieren die fünf German Design Studios, was die deutschen Nachwuchsgestalter zu bieten haben. Die Psycho Furniture von PYG & Sülzkotelett zeigten, dass auch Möbel psychisch krank sein können. Die Botschaft: obwohl Deutschland zu den reichsten und stabilsten Ländern der Welt gehört, steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen. Die direkte Umgebung wird angesteckt, hier die Möbel. Unter welcher Erkrankung die Möbel(besitzer) leiden wird bei dem „Anorexic Bed“ und dem „Hyperactive Chair“ sofort klar.
Aber es geht auch leiser. Joa Herrenknecht, ebenfalls von den fünf deutschen Studios, mit ihren geometrischen „PHASES“ Vasen oder ihrem „ISLA“ Teppich aus handgewebter Wolle, schlägt zurückhaltendere Töne an. Eine reduzierte, fein abgestimmte Farbgebung im perfekten Zusammenspiel mit dem Material sei ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit, so die Jungdesignerin aus Berlin. Ein weiteres Highlight: die norwegische Designerin Caroline Olsson. Die Form ihrer „Switch wall lamp“ aus Opalglas erinnert an Donuts, jedoch in zart pastelligen Farbnuancen mit einem altmodisch wirkendem Schalter in der Mitte des Kringels. Eine Einladung, mehr zu schreiben und zu zeichnen, macht Caroline Olsson mit der „Pencil Light“, die mit ihrer multifunktionalen, als Leuchte getarnte Stift-Box dem Benutzer überlässt, als was er sie nutzen möchte.
Parasitäres Möbeldesign
Weniger subtil, dafür ungewöhnlich resolut geht Samuel Treindl mit seinen Möbeln um. Und geht ihnen an den Leib. Der deutsche Designer und Künstler dreht den Herstellungsprozess um, kauft Möbel beim Discounter und schneidet ihnen Teile heraus. Daraus entstehen Bauteile für ein neues Möbelstück. Treindl nennt dies „parasitäres Möbeldesign“ und wandert damit auf dem schmalen Grat zwischen Design und Kunst.
Ob depressive Lampen, zarte Donut-Leuchten oder parasitäre Möbel. Jenseits des herkömmlichen Möbeldesigns zeigen die Newcomer neue Ansätze des Möbelmachens. Nachhaltigkeit gehört wie in den letzten Saisons ja fast mittlerweile zum Standard. Neu sind Möbel, die die Herangehensweise sichtbar machen und solche, die mit ihrer poetischen, emotionalen Kraft in Interaktion mit ihren Nutzern treten. Die Strapazen haben sich also gelohnt. Und wir freuen uns schon auf den SaloneSatellite im nächsten Jahr.