Das iPhone ist ein wundersames Ding. Wie einst der famose „Schachtürke" verborgen in Wolfgang von Kempelens Spielautomat des 18. Jahrhunderts hockte, so sitzt nun die kleine Blackbox als Herzstück in aufwendigen Apparaturen, die derzeit in einer Vitrine der "i-Kosmos"-Schau im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst zu sehen sind. Apple-Fans haben ihr Schmuckstück als Steuerelement in Teleobjektive, Mikrofonanlagen oder Navigationsinstrumente eingebaut. Einfach zum Spaß, denn eigentlich lohnt der ganze Aufwand nicht. Digitalkameras, Audiorekorder und GPS-Geräte erfüllen ihren Zweck weitaus besser - und sind billiger.
Aber wer den Apple-Style liebt, muss wohl dergleichen basteln. Er kann nämlich nicht „schrauben", iPhone & Co lassen sich nicht „frisieren". Jedes private Tuning ist durch die ebenso bedienerfreundliche wie hermetische Konstruktionsweise von vornherein ausgeschlossen. Im Gegensatz zu Moped-Jüngern, Manta-Fahrern oder den ganz normalen Computerfreaks darf die Apple-Gemeinde ihrem Objekt der Begierde nicht zu Leibe rücken.
Das oft beschworene „Kind im Manne" muss seinem Spieltrieb Einhalt gebieten, eine kulturgeschichtliche Zäsur bahnt sich an. Doch Rettung naht mit dem „physical computing". An der Spitze dieser Bewegung steht „Arduino", ein von Studenten des Interaction Design Institute im italienischen Ivrea entwickelter Mikrocontroller, der sich ohne Fachkenntnisse und zur Not sogar ohne Computer programmieren lässt. Künstler nutzen Winzlinge wie „Arduino Nano" zur Steuerung ihrer Video-Installation, Textildesigner implantieren „Lilypad" in ihre Gewebe. „Diecimila" und „Duemilanove" heißen die jüngsten Modelle und vor Kurzem ist „Arduino Mega" mit 128 Kilobyte Speicher und digitalen I/O-Ports auf den Markt gekommen. Damit lässt sich dann sogar bewerkstelligen, was als „toy-hacking" mittlerweile auch in Workshops für Kinder angeboten wird: das Umfunktionieren konfektionierter Produkte, experimentelles Auseinandernehmen des Spielzeugs - das im 21. Jahrhundert ebenfalls zu digitalen, fest verschlossenen Schachteln geschrumpft ist.
Dahinter steckt mehr als nur kindliche Neugierde. Die Motivation von Aktivisten des physical computing umreißt David Cuartielles in arduinothedocumentary.org mit der Devise "to take control back of what is inside!" Eben dieses Insiderwissen, den Quellcode, schirmt Apple mit dem Touchscreen ab. Bei „Arduino" aber liegt alles offen zutage, wird den Benutzern zugänglich gemacht, wenn sie nicht ohnehin ein Gerät nach ihren ureigenen Bedürfnissen gleich selber löten, schrauben oder stecken.
Die „Marke Eigenbau" hat vorerst noch den Designanspruch eines Stabilbaukastens, mit offenliegenden Kabelverbindungen, unter Verzicht auf „Stil"-Elemente wie schwarz glänzenden Klavierlack und ähnlich „wertige" Verschönerungseffekte. Aber gerade darin liegt jener Geist des Bauhauses verborgen, der immer schon auf Transparenz setzte, der technische Machart und Konstruktionsweisen anschaulich machte - während der Touchscreen diese „Begreifbarkeit" heute nur noch vorspiegelt. Was Apple und all die Klonprodukte der Konkurrenz vom Bauhaus übernommen haben, ist bloßes Dekor, die gefällig kantenlose Form beliebiger, je nach Saisongeschmack ausgewechselter Hüllen.
Im Vergleich zu den von bunten Icons übersäten Apple-Screens wirken Interfaces selbst technisch avancierter „Arduino"-Konstruktionen wie Messfühler, Laserharfe oder Modellflugzeug geradezu archaisch, wie aus einer längst vergangenen Computerwelt. Aber wer genauer hinschaut und vergleicht, für den leuchtet aus den Bildsymbolen der Apps das pure Unvermögen, digitale Abläufe angemessen zu visualisieren: Videofunktionen werden verkörpert durch ein altertümliches Fernsehgerät, eine „Glotze" der sechziger Jahre. Zur elektronischen Mail führt ein ganz normaler Briefumschlag, Symbol der althergebrachten Schneckenpost. Und für das Telefonieren via Internet steht der Knochenhörer eines Schnurtelefons. Alles nur Nostalgie?
Nein: Ästhetik - aber eben nicht im luftleeren Raum, sondern eingebunden in knallharte Marktwirtschaft. Die vertrauenerweckende, ohne zwingenden Grund je nach Modetrend veränderte Benutzeroberfläche garantiert den Absatz jeweils „brandneuer", im Grunde aber baugleicher Modelle. „Moralischer Verschleiß" wird das Phänomen in der klassischen Ökonomie genannt. Die DDR definierte es im „Lexikon der Kunst" als „Abnutzung, die durch veränderte praktische und ideelle Beziehungen des Menschen zum betreffenden Gegenstand" bewirkt wird. Getrieben von staatlich verordneter Technikeuphorie identifizierten Honeckers Ideologen - „Unsere Mikrochips sind die größten!" - als Ursache für den moralischen Verschleiß „neue Funktionslösungen" und „Verbesserung der Gebrauchswerteigenschaften". Das war plumpe Propaganda - die nun als kunsthandwerklich verfeinerte iPad-Reklame wiederkehrt.
Dagegen sträuben sich die noch vorhandenen Reste technischer Intelligenz. Zum einen tendiert der moralische Verschleiß bei selbst gebauten - und dadurch lieb gewonnenen - Produkten gegen Null. Zum anderen ist die Demontage und Wiederverwertung elektronischer Bauteile, also das neuerdings vom Ressourcenfresser Apple beschworene „green design", fester Bestandteil des „physical computing". Und schließlich besinnt sich sogar die akademische Welt auf den ursprünglichen Ingenieursgeist: Von Bewerbern für das Projekt „Aktivitäts- und Situationserkennung im Feuerwehrumfeld" wünscht sich ein Uni-Institut: „Sie schrecken auch vor dem Experimentieren mit einfacher Elektronik (z. B. Arduino) nicht zurück."
Der i-Kosmos / Macht, Mythos und Magie einer Marke
Vom 11. März bis 8. Mai 2011
Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main
www.angewandtekunst-frankfurt.de