O Gott, es ist zu spät. Schon ist der 1. September, die Ära der Energiesparlampe beginnt und ich habe keine Glühbirnen für den Rest meines Lebens bevorratet. - Werden die Leuchten in meiner Wohnung nach der nächsten geplatzten Birne noch dieselben sein? Werden wir alle Depressionen bekommen, weil der Blauanteil in den Energiesparlampen so hoch ist und wir deswegen nie wieder schlafen können? Müssen wir in der Wohnung Sonnenbrillen als Blendschutz auslegen, weil alle matten Birnen jetzt verboten sind? Gilt das Verbot nur für „Lampen mit ungebündeltem Licht", wie das so schön in der EU-Verordnung heißt, wird es also den 300-Watt-Strahler für meine „Toio" nach wie vor geben? Oder muss ich den ab sofort bei General Electrics in den USA direkt bestellen? - Keiner weiß so recht was Panikmache und was wahr ist. Natürlich verlangt der drohende Klimawandel nach veränderten Handlungsweisen und es ist ein richtiger Schritt, Energiesparen auch in den Privathaushalten stärker zu fordern. Dass wir dafür unser Handeln ändern und vielleicht hier und da auf Liebgewonnenes verzichten müssen, versteht sich von selbst. Doch je näher der Termin rückte, an dem der schleichende Tod der alten Glühbirne beginnen sollte, umso deutlicher wurde, dass das alles auch ein wenig überstürzt sein könnte: Noch gilt vielen die Entwicklung der Alternativen, etwa von LED-Leuchtmitteln, als nicht weit genug fortgeschritten. Und auch, was das für Alltags- und Designkultur bedeuten könnte, hatte wohl keiner so recht durchdacht. Die Lampenhersteller versuchten zwar auf ihren Homepages in dem ihnen eigenen Ingenieurs-Ton aufzuklären, aber wer sich durch ihr Angebot an Energiesparlampen klickt - „noch immer haben viele Verbraucher Vorurteile" - der sieht sich leider bestätigt: Viele der neuen Halogen-Lampen, die sich bemüht die Form der alten Birnen geben, sehen so falsch aus wie ein elektrifizierter Kerzenleuchter. Und die gewendelten Teile sind noch immer völlig indiskutabel. Sogar Apple hat in den Systemeinstellungen das Glühbirnen-Symbol für „Energie sparen" durch eine hässliche geschwurbelte Energiesparlampe ersetzt. Keiner aber hat eine Seite ins Netz gestellt, auf der man „Frisbi" eingeben kann und erfährt, ob das von Castiglioni höchstselbst vorgesehene Leuchtmittel jetzt verboten ist oder nicht und ob es Alternativ-Birnen gibt, die daran denken, auch seitlich durch den Lochblech-Zylinder des Designklassikers zu scheinen. Denn keiner weiß, ob die Lampenhersteller schon gemerkt haben, dass ihre Universal-Alternativen für die Glühbirne eben nicht nur „Geschmackssache" sind, wie das bei allen umstrittenen Designfragen so gerne heißt, sondern dass sie zu vielen, exakt auf Lichtwirkung hin gestalteten Leuchten, die ganze Jahrzehnte der Designgeschichte repräsentieren, einfach nicht passen. Doch statt Aufklärung zu bieten und Anreize zu schaffen ein Verbot auszusprechen, war politisch nicht gerade eine kluge Entscheidung. Schon aufgrund unserer Aversion gegen Dekrete von oben musste das nach hinten losgehen. Wir Deutschen, so liest man, seien besonders Energiesparlampen-kritisch. Vielleicht waren wir einfach in den letzten Jahren überraschter als andere, dass Verordnungen in die Welt geschickt und Flachbildfernseher auf den Markt gebracht wurden, die sich kurz danach als völlig unausgereift herausstellten. Und vielleicht haben wir einfach gelernt, dass auch ökologisch Sinnvolles eine Kehrseite haben kann, die sich erst mit Verspätung zeigt: Zum Beispiel dann, wenn die Ökobilanz einer Bio-Tomate berechnet wird, die um die halbe Welt gekarrt wurde. Oder wenn von einem eigentlich guten, aber leider zerbrochenen Leuchtmittel plötzlich die Gefahr ausgeht, hochgiftige Quecksilberdämpfe einzuatmen („Wenn Sie die Bruchstücke in einem Abfalleimer außerhalb Ihrer Wohnung entsorgen, bleibt das Quecksilber nicht im Raum; wenn Sie die Reste allerdings z. B. in dem Abfalleimer in der Küche lassen, ist dies kontraproduktiv. Das Gleiche gilt für Staubsaugerbeutel: Wenn Sie diesen nicht wechseln, nachdem Sie die Reste einer zerbrochenen Lampe damit aufgesaugt haben, werden die Dämpfe bei jeder Nutzung austreten." - Danke, Herr Osram!). Mediziner warnten in den letzten Monaten eindringlich vor den Gesundheitsgefahren, die von den Energiesparlampen ausgehen können. Vielleicht ist ja alles eine Wiederholung des Millennium-Bugs: viel Lärm um nichts und alles löst sich ab heute in sauber-strahlendes Wohlgefallen auf. Ganz bestimmt haben die Hersteller längst für jede einzelne Leuchte eine Alternativ-Birne entwickelt, die mit den vorhandenen Leuchten funktioniert, ebenso hell ist wie die bisherige Birne, sich genauso dimmen lässt und die identische Lichtstimmung erzeugt. Die Herstellung der Energiesparlampen verbraucht ganz, ganz sicher kaum Ressourcen und die Entsorgung der darin enthaltenen Umweltgifte klappt bestimmt auch problemlos. Die Energiesparlampen halten in Wirklichkeit ewig und gehen nur rein zufällig bei mir schon nach einem Jahr kaputt. Der Stromspareffekt ist wirklich spürbar, genauso wie bei der Sommerzeit, und kann unmöglich bei der aufwändigeren Herstellung und Entsorgung verpuffen, weil mehr geheizt wird oder der veränderten Lichtstimmung wegen einfach mehr Leuchten eingeschaltet werden. Wir kriegen keine Depressionen oder Herz-Kreislauferkrankungen, wie manche Mediziner prognostizieren, und auch das Quecksilber kann uns nichts anhaben. - Wer an all das nicht glaubt, kann nur Kerzen anzünden, abwarten und hoffen. Krumme Gurken sind ja jetzt auch wieder erlaubt.
Dass wir unsere Glühbirne als Kulturgut betrachten und sie uns in ihrer nachvollziehbaren Einfachheit, ja technischen Schönheit ans Herz gewachsen ist, damit hatte wohl kein EU-Politiker gerechnet. Dass sie einst als Symbol für ein neues, elektrisches Zeitalter gegolten hatte und den Triumph menschlichen Erfindergeistes über Dunkel und Finsternis versinnbildlichte, war ihnen wohl nicht so wichtig. Dass es Leuchtenklassiker gibt, bei denen die Lampe selbst zum wesentlichen Gestaltungsmerkmal wird und dass sie mit dem Verbot massiv in Designfragen eingreifen, dürfte ihnen auch egal gewesen sein. Dass Filmer für Filme übers 20. Jahrhundert und Museen für Kunstwerke, in denen Glühbirnen eine Rolle spielen, die originalen Lampen brauchen, hat sie nicht sonderlich interessiert. Und dass manchmal ein bisschen mehr Energie zum Wohlfühlen erforderlich ist... - wäre vermutlich peinlich gewesen so etwas Esoterisches in einer Brüsseler Sitzung zu äußern.
Selbst Umweltverbände zeigten sich skeptisch bezüglich Energieersparnis und problemloser Entsorgung. Und auch von einigen Gestaltern regte sich Widerstand gegen das Verbot eines Stücks Alltagskultur: Ingo Maurer, dem man Fortschrittsfeindlichkeit gegenüber neuen Lichttechnologien wirklich nicht vorwerfen kann und dessen „Bulb"-Leuchte der Glühbirne schon 1966 ein Denkmal setzte, rief zu Protest und Widerstand gegen die aus seiner Sicht voreiligen und unsinnigen Vorgaben auf. Seine diesjährige Präsentation in Mailand ließ sich in weiten Teilen als Anklage der EU-Verordnung werten: Maurers „Lucellino", die geflügelte, matte Birne, wurde demonstrativ als aussterbende Art präsentiert. Mit seinem „Euro Condom", einem Gummiüberzug für die noch erhältlichen klaren Birnen, zeigte er eine angemessen absurde Lösung, wie man doch noch zu einer - jetzt verbotenen - matten Birne kommt. Schließlich lassen sich neue Technologien als traditionelle Antriebsquelle fürs Design und neue Regelungen auch als kreative Herausforderung begreifen: Leuchten wie die „Eraser" von Steffen Kehrle lassen die gewendelten Energiesparlampen glücklicherweise optisch ganz verschwinden und finden eine simple, intelligente Lösung für das Problem mit dem Dimmen. Ben Wirth stellt mit „Incredible Bulb" eine Leuchte vor, die unter Einhaltung der neuen Vorschriften zur Hommage auf die schlichte Schönheit der Glühbirne wird. Und auch im SZ-Magazin werden demnächst einige Stardesigner der todgeweihten Birne die letzte Ehre erweisen und sie in Schönheit verglühen lassen.
Krumme Gurken, grüne Birnen
von Markus Frenzl | 01.09.2009