Es ist wieder Januar – und das heißt: Sie wissen, was zu tun ist! Denn auch 2015 ruft Köln pünktlich zur imm cologne, zu den Passagen und diversen anderen Veranstaltungen. Das noch recht frische Jahr, es kann also beginnen, mit Köbes, Kölsch und Halvem Hahn (noch immer kein Geflügel), mit Möbeln satt und „pure“, aber auch mit ernsten Fragen und Herausforderungen. Um es gleich und ohne Umschweife zu sagen: In Systemfragen sind wir empfindlich. Wir Deutschen – wir ganz besonders. In West und Ost, in der Politik wie beim Fußball. Kapitalismus (nur rheinischer!) oder Sozialismus, 4-3-3 oder 4-3-2-1, das kann entscheidend sein. Wobei es der Rheinländer im Allgemeinen und der Kölner im Besonderen mit dem System zu seinem und unser aller Glück nicht ganz so genau, das heißt dieses nicht zu ernst nimmt. Nicht von ungefähr heißt es im 3. Artikel der Rheinischen Grundgesetztes: „Et hätt noch emmer joot jejange“. Möge es auch weiterhin gut gehen, auch wenn selbst der Rheinländer zugeben muss, dass es derzeit mit den Sicherheiten nicht allzu weit her ist. Chaos und ambivalente Gefühle so weit das Auge reicht.
Erst vor Kurzem, genauer, einen Tag vor Dreikönige, wurde doch kurz nach halb sieben tatsächlich der Dom abgeschaltet! Präzise gesagt, die Außenbeleuchtung der Hohen Domkirche. Da stand es, das mächtige, dunkle gotische Steingebirge und mahnte, weil sich in Deutz als Ableger oder Nachahmer der keineswegs nachahmenswerten Dresdner „Pegida“-Montagsdemonstrationen eine „Kögida“-Schar („Kölner gegen die Islamisierung des Abendlands“) formiert hatte. Überhaupt war’s finster in der Stadt, waren doch auch die Lichter am Historischen Rathaus, an Groß St. Martin, dem Schokoladenmuseum und dem blaue Musical-Zelt – ja selbst am Müngersdorfer Stadion und den Rheinbrücken gelöscht worden. Nur der WDR hatte seltsamerweise nichts mitbekommen und das Licht brennen lassen.
Vielleicht hatte ihm ja das richtige System gefehlt. Oder es gab eine Systemstörung. Fest steht nur: Manchmal ist es ein Akt der Aufklärung und des Protests, das Licht zu löschen.
Wie auch immer, das System und Systeme überhaupt sind es wert, genauer betrachtet zu werden. Auch und gerade, wenn es ums Design geht. Was man sich im MAKK in Köln auch gedacht hat. Wobei es nicht immer gleich um Politik, aber dann doch wieder um gewisse Belange der Polis geht, in der Ausstellung, die dort stattfindet.
System Design – Über 100 Jahre Chaos im Alltag heißt die Schau. Wobei Systeme – systemtheoretisch betrachtet – Konstruktionen sind, die von Beobachtern eingeführt und auf Zusammenhänge der Wirklichkeit projiziert werden. Weshalb sie unseren Alltag prägen, auch wenn wir zumeist wenig davon mitbekommen. Das metrische System etwa oder all die DIN-Normen, aber auch das Betriebssystem unserer Rechner oder Smartphones, alles Systeme, bis hin zur – oft nicht sehr leckeren – Systemgastronomie. Selbst unser kosmischer Wohnort, der schöne blaue Planet Erde, hat seine exakte Position innerhalb unseres Sonnensystems. Und, und, und.
Beruht der Systemgedanke, wie es die Ankündigung zur Schau nahelegt, tatsächlich „auf dem Wunsch, das Chaos dadurch zu bewältigen, dass wir eine überschaubare Anzahl von einzelnen Elementen verbinden und dadurch einen Zusammenhang herstellen“? Sind es weniger autonome Objekte als vielmehr Reihen, Serien und Programme, die in der Gestaltung im Vordergrund stehen und diese prägen?
Die Sache verspricht spannend zu werden, zwischen Legobaustein und USM-Haller-Knoten, Leica-Kamera und W-Lan, Car-Sharing und Schnittstelle. Mehr als 150 Beispiele versammelt die Ausstellung, von mehr als 80 Gestaltern wie Otl Aicher, Werner Aisslinger, Peter Behrens, Mario Bellini, Marcel Breuer, Wim Crouwel, Ray + Charles Eames, Egon Eiermann, Willy Fleckhaus, Richard Buckminster Fuller, Konstantin Grcic, Hans Gugelot, Fritz Haller, Josef Hoffmann, Jonathan Ive, Ferdinand Kramer, Le Corbusier, Enzo Mari, Ingo Maurer, Josef Müller-Brockmann, Bruno Munari, George Nelson, Otto Neurath, Frei Otto, Verner Panton, Joseph Paxton, Dieter Rams, Richard Sapper, Mart Stam, Oswald Mathias Ungers, Massimo Vignelli, Wilhelm Wagenfeld und Marco Zanuso.
Für all jene, die nun glauben, die Sache mit den Systemen sei einfach, bleibt hinzuzufügen, dass es – siehe oben – konkurrierende Systeme gibt und jedes neue System (man denke nur an Stecker- oder Betriebssysteme) wiederum neues Chaos, sprich Inkompatibilität, erzeugt. Am besten, Sie schauen sich das Ganze an. Wobei der Musil-Biograph Carl Corino uns eine der Musilschen Formeln an die Hand gibt, die uns nur noch nachdenklicher stimmt und die lautet: Ein Mann ohne Eigenschaften ist ein Mann ohne System in einer Welt ohne System. Alles klar?
System Design
Makk – Museum für Angewandte Kunst Köln
20. Januar bis 7. Juni 2015
Dienstag bis Sonntag: 11-17 Uhr
1. Sonntag im Monat: 10-17 Uhr
1. Donnerstag im Monat: 11-22 Uhr
Sonderöffnungszeiten während der imm cologne
20. bis 25. Januar 2015: 11-21 Uhr
www.museenkoeln.de
Außerdem wurde Michele De Lucchi zum A&W-Designer des Jahres 2015 gekürt, womit nicht nur ein Hauch von heroischer Geschichte – De Lucchi war Gründungsmitglied der legendären Designbewegung Memphis – durch die Halle des Kölnischen Kunstvereins wehen dürfte, sondern auch jede Menge Entdeckungen zu machen sein könnten. Schließlich ist De Lucchi Architekt, Designer, Bildhauer, Fotograf und Schriftsteller, Professor und einiges mehr. Kurz, er ist, wie das heute so schön heißt, multipel tätig, vielleicht sogar eine Spielart des „uomo nuovo“ im Sinne der Renaissance. Sein bekanntestes Objekt ist jedenfalls ganz sicher die Tischleuchte „Tolomeo“, die er 1987 für Artemide entworfen hat.
Und nicht zu vergessen, für den A&W-Mentorpreis 2015 hat Maestro De Lucchi den französischen Designer Philippe Nigro nominiert.
A&W-Designer 2015: Michele De Lucchi
Kölnischer Kunstverein
19. bis 25. Januar 2015
Montag: 11–20 Uhr, Dienstag: 11-22 Uhr
Mittwoch bis Samstag: 11-20 Uhr
Sonntag: 11-18 Uhr
www.awmagazin.de
In den Messehallen der imm cologne erscheint nach wie vor vieles ziemlich Pure. Entsprechend heißen die einzelnen, aus dem weiteren Messegeschehen der Rubriken Global Lifestyles, Comfort, Smart, Sleep und Prime herausgehobenen Abteilungen in diesem Jahr denn auch:
Pure – „Der Freiraum für die Stammbesetzung des Design-Segments“, zu finden in Halle 10.1 und 11
Pure Editions – das „Format für Herausgeber visionärer Möbel- und Einrichtungskonzepte“, Halle 2.2 und 3.2
Pure Startup – die „professionelle Plattform für junges Design“, Halle 2.2
Pure Talents – die „Plattform der imm cologne zur Förderung internationaler Nachwuchsdesigner“, Halle 1
Pure Textile – ein Sonderformat, „in dem alle zwei Jahre ein fester Kreis europäischer Top-Editeure hochwertiger Wohntextilien“ präsentieren, Halle 3.2
Pure Village – die „demokratische Design-Plattform für etablierte wie debütierende Marken und Designer mit einem innovativen Sortiment-Mix aus dem gesamten Spektrum des Interior Designs“, Halle 2.2
Womit auch auf der Messe unmissverständlich deutlich werden wird: Das hat System!
Und wie könnte es anders sein, auch diesmal gehört eine neue Version der „begehbaren Inszenierung“ „Das Haus – Interiors on Stage“ zum Programm. Die aktuelle Version hat das Neri & Hu Design and Research Office aus Shanghai entwickelt. Man darf gespannt sein, liegt nach der Inszenierung der dänischen Designerin Louise Campbell im vergangenen Jahr die Messlatte doch besonders hoch. „Memory Lane“ haben die beiden Architekten Lyndon Neri und Rossana Hu ihre Inszenierung genannt, bei der sie sich von Shanghaier „Lane Houses“ haben inspirieren lassen. Mal sehen, ob und wie es ihnen gelingt, chinesische Traditionen mit zeitgenössischem Design zu verknüpfen (mit oder ohne System). Zumal die beiden bereits erklärt haben, ihr „Haus“ solle die Menschen eher „beunruhigen“, „denn wir wollen sie herausfordern, sodass sie nicht nur eine Messe mit den schönsten Möbeln und besten Materialien sehen, wenn sie ‚Das Haus‘ verlassen, sondern wirklich anfangen zu hinterfragen, wo wir heute stehen – gerade auch in China. Ob wir Möbel in der richtigen Weise gebrauchen? Wie viele wir brauchen? Und was das eigentlich wirklich ist: das Heim?“ Ob das Haus wohl etwas „trash“ beherbergt? Mal sehen, ob wir zu beunruhigen sind.
Bleibt noch zu erwähnen, dass in diesem Jahr, alternierend mit dem Mailänder Salone, mit „LivingKitchen” das „internationale Küchenevent“ in den Hallen 4 und 5.2 das Programm abrundet.
Und drumherum wie immer: die Passagen. Aus deren abermals reichhaltigem Angebot haben wir, um sparen zu lernen und die Sache nicht allzu sehr ausufern zu lassen, fünf Veranstaltungen ausgewählt, die uns besonders vielversprechend zu sein scheinen:
1 – Rems Werkzeuge
Wer’s 2013 in Mailand in der Fondazione Prada verpasst hat oder noch einmal sehen möchte: Das Ungers Archiv für Architekturwissenschaft, kurz UAA, präsentiert zwei Möbelstücke aus der Kollektion „Tools for Life“, die Rem Koolhaas für Knoll International entworfen hat. Angeblich sind sie so flexibel wie ein – gut aufgeräumter und sehr edler – Werkzeugkasten. Doch wie dem auch sei, neben den Möbeln werden auch Modelle und Zeichnungen gezeigt, die den, welch Wunder, „forschenden Entwurfsprozess“ von Koolhaas dokumentieren.
Rem Koolhaas – OMA Tools for Life
UAA – Ungers Archiv für Architekturwissenschaft
19. bis 25. Januar 2015
Pre-Opening: 18. Januar, 16-18 Uhr
Montag bis Donnertag: 11-16 Uhr
Freitag bis Sonntag: 11-18 Uhr
www.ungersarchiv.de
2 – Begrenzter Radius
Im schmalsten Haus Kölns – geplant von den renommierten Architekten Arno Brandlhuber und Bernd Kniess – präsentieren Radius Design und Absolut Lighting ihre neuen Stuhl- und Tischserien von HanYi Huang und Ralph Kraeuter sowie die neue Pendelleuchte Hayashi, die mit dem Interior Innovation Award 2015 ausgezeichnet worden ist.
Tabledance im Radius House
19. bis 25. Januar 2015
Montag bis Samstag: 12-20 Uhr
Sonntag: 12-18 Uhr
www.radius-design.com
3 – Leider ohne Villa
Die Villa Noailles in Hyères muss schon deshalb erwähnt werden, weil sie – erstens – einen klangvollen Namen trägt, und weil die von Robert Mallet-Stevens entworfene Villa – zweitens – eines jener Gebäude ist, bei dem das Herz eines jeden Modernisten unweigerlich seine Schlagzahl erhöht. Wer derart elegant und gutaussehend wie Mallet-Stevens war, der braucht kein System, der muss einfach schöne Häuser bauen. Heutzutage organisiert die Villa Noailles jedes Jahr einen internationalen Wettbewerb für Newcomer. Prämierte Designer der Design Parade 2013 stellen nun – in Kooperation mit dem Institut français Köln – ihre Entwürfe in Köln aus. Mathieu Peyroulet-Ghilini ist mit seinen Vasen, Spiegeln und Raumteilern Preisträger des Grand Prix. Laureline Galliot erhielt für ihre Vasen den Prix du design du Conseil Général du Var. Einen Haken hat die Sache allerdings: Die Villa ist, weil schwer zu transportieren, in Köln nicht zu sehen. Sehr schade!
Design Parade: Mathieu Peyroulet-Ghilini & Laureline Galliot
Showroom der Galerie Biesenbach
19. bis 25. Januar 2015
Montag bis Samstag: 12-20 Uhr
Sonntag: 12-16 Uhr
www.institutfrancais.de/koeln
www.villanoailles-hyeres.com
4 – Rund ums Lagerfeuer
Etwas entfernt vom Stadtzentrum, genauer in Bergisch-Gladbach, widmet sich das Kunstmuseum Villa Zanders in einer Ausstellung Topf und Deckel – Kunst und Küche, mithin dem Thema Kochen aus künstlerischer und kulturhistorischer Perspektive. Anlässlich der Passagen wird die Ausstellung mit eggs-perimentellen Beiträgen über „Die Metamorphose des Lagerfeuers“ ergänzt und erweitert, und zwar von Studierenden der Köln International School of Design KISD und unter Leitung von Wolfgang Laubersheimer. Nun denn, wir wünschen gutes Kochen!
Die Metamorphose des Lagerfeuers
Topf und Deckel – Kunst und Küche
Kunstmuseum Villa Zanders
Konrad-Adenauer-Platz 8
51465 Bergisch Gladbach
21. Januar: 18 Uhr Führung durch die Ausstellung
18–20 Uhr Cocktail
Dienstag bis Samstag: 14-18 Uhr
Donnerstag: 14-20 Uhr
Sonntag: 11-18 Uhr
www.villa-zanders.de
5 – MAD
Schließlich zeigen im Belgischen Haus in Köln 24 Designer aus Brüssel unter dem Titel „MAD ABOUT LIVING“ ihre Entwürfe in einer – halbwegs – realen Einrichtungssituation. Es gibt zumindest ein Schlaf- und ein Wohnzimmer und bei den Objekten handelt es sich sowohl um Prototypen als auch um speziell für die Belgischen Häuser entwickelte Projekte sowie um Objekte, die bereits in Produktion sind. Organisiert wird das Ganze von den Institutionen Brussels Invest & Export und MAD Brussels. Szenografie: Hopop Studio.
MAD ABOUT LIVING
Belgisches Haus / Belgisches Generalkonsulat
Vernissage 20. Januar 2015 ab 18.30 Uhr
19. bis 24. Januar 2015
Montag bis Freitag: 9-13 Uhr und 14-17 Uhr
Samstag: 10-18 Uhr
Und darüber hinaus gibt es noch
jede Menge Möbel in der Designpost, Finn Juhls „Pelican Chair“ und die Polstermöbel der Gebrüder Petersen im Hotel Chelsea. Konstantin Grcic und Toan Nguyen erkunden bei ultramarin im Alten Gaswerk Laufens Saphir-Keramik, im Atelier Colonia in Ehrenfeld erzählt die Stiftung Zukunftsfähigkeit Futurzwei „Geschichten des Gelingens“ und in der ZigarrenWelt am Kaiser-Wilhelm-Ring kann man vermutlich nicht nur Humidore bestaunen.
www.designpostkoeln.de
www.voggenereiter.com/passagen2015
Bleibt, was die Frage nach dem System und nach der Systemtheorie angeht, eigentlich nur noch, den großen Systemtheoretiker Niklas Luhmann zu zitieren, der in einem Aufsatz über „Schwierigkeiten bei der Beschreibung der Zukunft“ empfiehlt, „von Was-Fragen’ zu ,Wie-Fragen’ überzugehen, weil man damit in eine Perspektive der Beobachtung von Beobachtern gerät. Was in unserem Fall nichts anderes heißt, als in Köln genau hinzuschauen, wer wie was präsentiert. Also, wir sehen uns! Und immer schön aufs System achten!