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Inszenierte Wissenschaft oder Zwischen Illusion und Konstruktion
von Sandra Gottwald | 25.09.2011

Carlo Mollino. Zugegeben, den Namen des italienischen Architekten hat man schon einmal gehört. Vielleicht auch, dass er ein Genie war, ein Multitalent, für dessen Möbelentwürfe Sammler Rekordsummen in Millionenhöhe bieten. Ein elitärer Dandy, der surreale Interieurs schuf, ein begeisterter Skifahrer mit einem Faible für Rennwagen, Flugzeuge und natürlich Frauen, die er – bekleidet oder unbekleidet in unzähligen Fotos verewigte. Doch nur wenige wissen, dass eben jener Carlo Mollino (1905 bis 1973) in erster Linie einmal Ingenieur und Architekt war. Vielleicht bedurfte es deshalb zweier Architekten, die sich dem Leben und Wirken dieser schillernden Persönlichkeit einmal auf eine neue, sachliche Art und Weise nähern. Unter dem Titel „Maniera Moderna" zeigen die Kuratoren Wilfried Kuehn und Armin Linke zusammen mit Chris Dercon, welche Bedeutung heute und in Zukunft vom Werk Mollinos ausgehen wird.

Die Ausstellung im Münchner Haus der Kunst ist nicht das erste Projekt, das dem bemerkenswerten Schaffen des Turiner Architekten gilt. Doch es ist das bislang Ehrgeizigste, da es Carlo Mollinos Gesamtwerk gewidmet ist. Zum ersten Mal haben Wissenschaftler, Künstler, Sammler, Archive und Institutionen zusammengearbeitet, um Mollinos Kunst – Architektur, Design, Fotografie – in Szene zu setzen und auf neue, sachliche Weise zu analysieren. Die Werksauswahl spiegelt die Vielseitigkeit seines Oeuvres: Zu sehen sind seine Zeichnungen und Architekturpläne, Möbel und Einrichtungsgegenstände, sein Rennwagen „Bisiluro", seine Fotomontagen, die Polaroids mit den weiblichen Aktdarstellungen, seine Essays über Architektur, Fotografie und Abfahrtsski. Ein fotografischer Essay von Armin Linke, der anlässlich der Ausstellung entstanden ist, gibt einen Überblick über Mollinos Bauten und ihren Erhaltungszustand.

In unverklärten Fotos, die besonders den ersten Ausstellungsraum flankieren, erzählt Linke von den wenigen Turiner Bauwerken Mollinos, die seine Zeit überdauert haben: Das imposante Auditorium des Radiosenders RAI, das Teatro Regio, welches vor allem Bühne für seine Besucher ist, oder der Tanzclub Lutrario. Linke reiste auch zu den alpinen Bauwerken Mollinos: zu einem aufgestelzten Bauernhaus in Agra, das noch heute die Originalausstattung des Meisters birgt, zu einer futuristischen Skihütte am Lago Nero und einer scheinbar in Vergessenheit geratene Seilbahnstation Furggen auf 3.500 Metern Höhe. Gerade in diesen Fotografien zeigt sich der nachlässige Umgang mit Mollinos Bauten: Im Inneren des holzvertäfelten Raumes liegt Zentimeter hoher Schnee. Die Fenster sind undicht. Leere Weinflaschen stehen herum. Ein Teil des Mobiliars ist noch vorhanden. Kaum jemand würde vermuten, dass es sich hierbei um Entwürfe eines Künstlers handelt, dessen Design auf dem Kunstmarkt Höchstpreise erzielt.

Wer den nächsten Ausstellungsraum betritt, versteht warum Mollino bei Sammlern hoch geschätzt und teuer gehandelt wird. Ein Tisch von Mollino ist nicht einfach ein Tisch, er ist ein Kunstwerk. Unter seinem energischen Strich wurden Möbel zu Kreaturen. Ein Tischgestell gleicht den sehnigen Beinen eines rennenden Windhundes, ein anderes den gebeugten Läufen eines Rehes. Ein frisch restaurierter grüner Ohrensessel, den Mollino 1949 für die Casa Orengo entwarf, ist wie Fulvio Ferrari, der Leiter des Museums Casa Mollino in Turin bestätigt, der Silhouette der Marquise nachempfunden, für die er einst konzipiert war. Im Ambiente des White Cube auf Sockeln präsentiert, sind die verschiedenen Stühle, Sessel, Leuchten und Konsolen in ihrer Form und Materialität zum Greifen nah. Was dem Betrachter jedoch verborgen bleibt, ist der Kontext, oder besser gesagt das Interieur, für welches die Stücke einst entworfen wurden. Denn wie seine Fotos war auch der Raum für Mollino eine Collage, in der jedes noch so kleine Detail einen Sinn hatte und minutiös inszeniert wurde.

So klar und ästhetisch die Ausstellung auch aufgebaut ist, als Besucher muss man sich die Informationen zu den einzelnen Exponaten mühsam erarbeiten, sprich in dem die Ausstellung begleitenden Büchlein nachlesen. Hier erfährt man zum Beispiel Details zur kupfernen Schlangengarderobe am Eingang der Ausstellung, die Mollino für seinen Malerfreund Italo Cremona entworfen hat. Und wie wichtig das Video mit der schnatternde Italienerin unten im Entree am Fuße des Treppenaufgangs war. Denn die Malerin Olga Carol Rama ist eine Zeitgenossin Carlo Mollinos und kann deshalb ein paar wertvolle Details zu seiner Person erzählen. Es lohnt sich also, ihr zuzuhören.

Carlo Mollino - Maniera Moderna
Vom 16. September 2011 bis 8. Januar 2012
Haus der Kunst, München
www.hausderkunst.de

Innenansicht der Casa del Sole, Cervinia, 1947-55, Foto: Armin Linke
Lutrario Ballsaal in Turin, 1959, Foto: Armin Linke
Armchair für Casa Minola, 1946
Polaroid ohne Titel, 1960er
Bisiluro da corsa, Nardi – Mollino – Giannini, 1955, Foto: Alessandro Nassiri, Archivio Museo Scienza
Carlo Mollino in seinem Bisiluro Auto, 1955, Foto: Invernizzi
Maniera moderna: Installationsansichten des Haus der Kunst, 2011, Fotos: Juergen Ueberschaer
Casa Mollino, 1960-68, Foto: A. Bartos
Teatro Regio, 1965-73 (Detail), Foto: Armin Linke
Teatro Regio, 1965-73, Foto: Cavalli
Stuhl für Mollinos Studio in the Architekturfakultät, 1959
Polaroid ohne Titel, 1960er
Lenkrad von Enrico Nardi, 1955, Foto: Alessandro Nassiri, Archivio Museo Scienza