Im Labor des guten Lebens
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von Martina Metzner
16.07.2014 Man könnte Dänemark aktuell als so etwas wie das Labor des guten Lebens beschreiben, auf das der Rest der Welt neidvoll blickt. Während andere Staaten mit Rezession und hoher Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und Energiemangel, mit Bürgerkonflikten und Perspektivlosigkeit zu kämpfen haben, scheinen derartige Zumutungen von dem kleinen Staat in der Nordsee wie von einem unsichtbaren Schutzschirm abzuprallen. Dänemark gilt schon seit Längerem als eines der wenigen Länder, in dem laut Umfragen die glücklichsten Menschen wohnen, Mensch und Natur sich im Einklang miteinander befinden, Demokratie und verantwortungsvolles Miteinander großgeschrieben werden, das Bildungssystem funktioniert, die Gleichberechtigung komplett vollzogen ist (an der Staatsspitze stehen mit Königin Margarethe II. und Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt zwei Frauen) und die Menschen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Und als wäre das noch nicht genug des Guten, schickt sich Dänemark seit einigen Jahren auch noch an, in Architektur, Design und Mode den Nerv der Zeit zu treffen – wie zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren. Wer nach Dänemark oder in die Hauptstadt Kopenhagen reist, hat gleichwohl einige Fragen im Gepäck: Wie machen die Dänen das bloß? Worin besteht ihr gestalterisches und zukunftsweisendes Erfolgsrezept? Was machen Architekten wie Bjarke Ingels von BIG oder Henning Larsen anders, was haben Designhersteller wie Muuto und Gubi und Modelabels wie By Marlene Birger und Day Birger Mikkelsen, was andere nicht haben? Solche Fragen sind nicht leicht zu beantworten, auch nicht auf dem wieder erstaunlich erfolgreichen Feld des Designs. Kann sich das aktuelle dänische Produkt- und Möbeldesign von Pionieren der Dänischen Moderne wie Arne Jacobsen, Hans J. Wegner, Finn Juhl und Børge Mogensen lösen? Oder bleibt vieles eine aktualisierte Wiederauflage bewährter Rezepte? Außerdem: Wird im Design tatsächlich sozial verantwortungsvoll und ökologisch korrekt vorgegangen, wie das die dänische Designbranche proklamiert? Oder steckt dahinter vor allem ein geschicktes Marketing? Eine gute Gelegenheit, solchen oder ähnlichen Fragen auf den Grund zu gehen, bot ein zweitägiger Besuch in Kopenhagen im Rahmen einer Pressereise zu den „3DaysofDesign“, gesponsert von den ansässigen und teilnehmenden Möbelanbietern. Bestes Wetter – für Ende Mai ungewöhnliche 27 Grad und Sonne pur – begrüßte die kleine Gruppe aus Pressevertretern aus acht europäischen Ländern, die angereist waren, um die „3DaysofDesign“ zu erkunden, ein junges Konzept, das Dänemark als Design-Standort stärken soll – zumal in dem Land keine internationale Designmesse oder ähnliches stattfindet. Rund 40 Firmen aus dem In- und Ausland waren vertreten, neben Arper, Boffi und Luceplan naturgemäß vor allem dänische Hersteller wie Boform, Carl Hansen & Son, Fredericia, Fritz Hansen, Georg Jensen, Gubi, Kvadrat, Louis Poulsen, Montana, Muuto, Onecollection, Paustian, PP Møbler, Vipp und Vola – um nur die Bekannteren zu nennen. Viele von ihnen haben einen Showroom im Pakhus, einer luftig und großzügig gestalteten Lagerhalle im Nyhavn. Dort wurde auch die Idee zu den Showroomtagen für Endverbraucher und Businesspartner ausgeheckt. In bester Verfassung Man hat sich viel Mühe gemacht, uns in jedem Showroom zu empfangen. Wir konnten mit Geschäftsführern sprechen und mit Designern, die mit den jeweiligen Firmen zusammenarbeiten. Dabei war schnell festzustellen: Die dänische Designbranche zeigt sich in bester Verfassung und auch in Institutionen wie dem Designmuseum Danmark und dem Dänischen Architekturzentrum (DAC) bemerkt man, dass die südeuropäischen Vertreter der Runde, wohl ob der Diskrepanz zur wirtschaftlichen Lage ihrer Heimat, immer stiller und andächtiger werden. Gleichwohl, die Vergangenheit ist trotz schicker Neubauten und einer betonten Gegenwarts- und Zukunftshaltung omnipräsent. Unsere Tour startet im Hafen unweit der kleinen Meerjungfrau bei Onecollection, dem Anbieter von Möbelklassikern eines Großen der Dänischen Moderne: Finn Juhl (1912 bis 1989). 1990 haben Henrik Sørensen und Ivan Hansen, die sich selbst „Furniture Nerds“ nennen, die Firma eröffnet, deren abenteuerliche Gründung ein wenig nach einer amerikanischen Garagen-Story klingt. Heute ist Onecollection ein etabliertes Möbelunternehmen, das aktuell 39 Finn-Juhl-Klassiker produziert, zum Teil in eigenen Werkstätten am Firmensitz in Ringkøbing, rund 400 Kilometer westlich von Kopenhagen. Behutsam bringt das Unternehmen nach und nach alte Entwürfe des Architekten wieder ans Tageslicht. Finn Juhl, erklärt Henrik Sørensen, sei kein Designer wie Hans J. Wegner gewesen, der für die Massen produzieren wollte. Juhl habe sich auf die Elite konzentriert. Die geschwungenen (viele nennen es organisch) Formen seiner Stühle, Tische und Polstermöbel mit ihren aufwendigen Übergängen hätten den Handwerkern damals viel Mühe gemacht (dank CNC-Fräsen geht das heute leichter) und vor allem von Amerikanern goutiert wurden. Vom Stereotyp „dänisch = demokratisch“ kann man sich zumindest hier schon einmal verabschieden. Adaptionen erwünscht Besonders stolz ist Henrik Sørensen auf die Ausstattung des Sitzungssaals des Treuhandrats im UN-Headquarter in New York, der Anfang der 1950er Jahre von Finn Juhl ausgestattet und im April 2013 nach zwei Jahren andauernden Renovierungsarbeiten wiedereröffnet wurde: 260 speziell angefertigte, blau gepolsterte Holzstühle, zudem 20 „Council Chairs“, eine Neuinterpretation des „Swan“ von Arne Jacobsen durch die beiden Designer Kaspar Salto und Thomas Sigsgaard zieren nun den so genannten „Finn Juhl Chamber“. Letzterer war Ergebnis eines Wettbewerbes, den das „Danish Arts Foundation Committee for Crafts and Design“ eigens für den Sitzungssaal im New Yorker UN-Gebäude ausgelobt hatte, um dänische Möbelklassiker neu zu interpretieren. Kurzum: Der Stuhl ist kein Lounger wie der „Swan“, sondern tritt feiner und filigraner auf. Nadja Lassen ist die Urenkelin des Architekten Mogens Lassen (1901 bis 1987), die vor drei Jahren zusammen mit ihrem Onkel Søren Lassen das Label „By Lassen“ gegründet hat. Sie begrüßt uns bei unserem nächsten Stopp in der Innenstadt. Auch sie hält die dänische Moderne am Leben, indem sie die Werke ihres Urgroßvaters und seines Bruders Flemming Lassen (1902 bis 1984), ebenfalls Architekt und beide bekannt mit Arne Jacobsen, wieder auflegt. Etwa den markanten, würfelförmigen Kerzenständer „Kubus“, den Mogens Lassen 1962 gestaltet hat, und das Regalsystem „Frame“ von 1943. Es sind erst wenige Dinge, die By Lassen im Portfolio hat, aber das Unternehmen verzeichnet seit Beginn ein jährliches Wachstum von mehr als 100 Prozent. „Die Leute lieben Klassiker, speziell in Dänemark“, erklärt Nadia Lassen diesen Umstand nonchalant. Auch Rasmus Graversen kümmert sich um ein Erbe. Der junge Mann mit akkuratem Outfit ist der Enkel von Andreas Graversen, der einst den Möbelanbieter Fredericia gegründet und eng mit Børge Mogensen zusammengearbeitet hat. Rasmus Graversen ist noch nicht lange im Unternehmen. Er hat in Berlin studiert und will Fredericia in die Zukunft führen. Er erzählt uns, wie er seit seiner Kindheit von Möbeln Børge Mogensens umgeben ist. Sein Lieblingsstuhl sei der „Hunting Chair“, den Mogensen 1950 entworfen hat. Aus Anlass des 100. Geburtstags des großen Wegbereiters der Dänischen Moderne steht der Fredercia-Showroom an der Frederiksborggade in Zentrumsnähe ganz im Zeichen Mogensens. An der Wand hängt ein übergroßes Bild des „Architekten-Designers“, wie man hier Designer mit Architektur-Ausbildung gerne nennt, liegend auf seinem Sofaklassiker „2213“. Mogensen hat den Dänen darüber hinaus den Stuhl mit der Nummer „J39“ geschenkt, vielleicht der Prototyp des dänischen Esstischstuhls aus Rundhölzern mit schmaler Lehne und Bastsitz. Doch zurück in die Gegenwart: Graversen stellt uns den „Søborg Chair“ vor, den Mogensen 1952 entworfen hat, und erklärt, wie viel Mühe sich das Unternehmen gemacht habe, ihn anlässlich des Jubiläums in diesem Jahr wiederaufzulegen und den Entwurf im Detail an die heutige Zeit anzupassen. Es braucht nicht lange, da ist auch unsere Gruppe davon überzeugt, dass der „Søborg Chair“ nicht nur designhistorisch betrachtet ein Glanzstück darstellt. Nur einen guten Stuhl Es ließe sich noch weiter in Familienalben blättern, etwa gemeinsam mit Niels Jørgensen, dem Sohn des Möbelunternehmers Erik Jørgensen, der den „OX Chair“ von Hans J. Wegner und den „Corona“ Stuhl von Paul M. Volther auflegt und gerade mit Anne Boysen, einer 34 Jahre jungen dänischen Architektin das Projekt eines modular aufgebauten Sofas verfolgt. Oder im Fall von „Vipp“ mit Sofie Eglund, der Enkelin des Erfinders des blechernen Treteimers, die zusammen mit Mutter und Bruder das Portfolio der Firma gerade um eine ganze Küche erweitert hat. Ganz zu schweigen von der Ausstellung „Just one good chair“, die das Designmuseum Danmark Hans J. Wegner aus Anlass seines 100. Geburtstages widmet, eine umfangreiche Schau, durch die uns Museumsleiter und Kurator Christian Holmsted Olesen führt – der dem jungen Hans J. Wegner überraschenderweise zum Verwechseln ähnlich sieht. Alle diese Geschichten zeigen, dass sich die Dänen der reichen Vergangenheit ihrer Möbelkultur bewusst sind und diese beherzt, aber auch mit viel Sinn für die Gegenwart pflegen. Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Im Designmuseum Danmark ist Hans J. Wegners Arbeitstisch samt auf den Tisch gepinnter Zeichnungen zum Anfassen nah aufgestellt. In Deutschen Museen wäre das ausgeschlossen. Mit welcher Selbstverständlichkeit mit „Klassikern“ umgegangen wird, zeigt ein anderes Beispiel: Der „Council Chair“, bei dem Salto & Sigsgaard den „Swan“ von Arne Jacobsen einfach den heutigen Anforderungen angepasst haben. Teil 2 des Artikels finden Sie hier: Neue nordische Perspektive: Produzieren die Dänen tatsächlich nachhaltig und im eigenen Land?
Ausstellung "Wegner - Just One Good Chair" Buch zur Ausstellung im Designmuseum Danmark: Hauptsache solide: Das große Special zum Thema „Design aus Skandinavien". |